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JUGEND

unangenehm ist und wohl von ihren haaren aus-
geht : schweren aschblonden paaren, die an den
Schläfen schon zu ergrauen beginnen. Ihrepände,
von denen sie langsam die Handschuhe abstreift,
um sie zu einem runden Ballen zu zerknüllen,
zeigen Spuren von häuslicher Arbeit.

Die junge Frau (stehend): Ich störe Sie?

Georg (sieht unwillkürlich zum Schreibtisch):
V nein.

Die junge Frau (mit einem schmerzlichen
Zucken des Mundes): Doch, doch. Ich komme
lieber zu gelegenerer Zeit.

Georg (herzlich): Mein Gott, wie echauffiert
Sie wieder aussehen, kleine Fraul Darf ich Sie
so nennen? Sie sind nicht böse darüber? Es
geschieht ganz unwillkürlich.

Die kleine Frau (versucht zu lächeln): Warum
sollen Sie mich nicht so nennen dürfen? (Mit
einem demüthigen Blick zu ihm aufschauend): Sie,
der Sie so groß sind I

Georg: So nehmen Sie doch einen Stuhl I
(Beide setzen sich.)

Georg (stellt ihr eine Tasse Thee hin): Geht
es schlecht?

Die junge Frau: V_so ... schlecht.

Georg (schweigt).

Die junge Frau: Ich würde ein großes Un-
glück gern ertragen, nur nicht diese täglichen
Nadelstiche. Was soll ich den Kindern antworten,
wenn sie fragen, warum Papa manchmal Nachts
nicht nach Pause kommt? Ich lüge, aber das
perz thnt mir dabei so weh. (Sie weint in ihr
Taschentuch).

Georg: Und Er?

Die junge Frau: Er schweigt. Immer schweigt
er. Im besten Lalle kritisiert er mein Gesicht.
Ich sähe so verweint aus und er könne das nicht
leiden. V ich fühle, daß er damit Recht hat.

Georg: Und Sie haben niemals über jenen
dunklen Punkt, hm, über sein Verhältnis ge-
sprochen?

Die junge Frau: In der ersten Zeit bat ich
ihn, mir zu sagen, wo er diese und jene Nacht
zubrächte. Das war vielleicht naiv ...

Georg (lächelnd): Und was hat er geantwortet?

Die junge Frau: Gelogen hat er! Und er
kann nicht lügen! Man bemerkt sofort, wenn
er die Unwahrheit spricht. Ich wurde für ihn
verlegen. — Im Grunde ist er ein so anständiger
Mensch.

Georg: Sie lieben ihn noch sehr?

Die junge Frau (wendet das Gesicht zur Seite
und schweigt). (paufe)

Die junge Frau: Dabei wäre ich heute so
glücklich, wenn er mich noch belöge I

Georg (blickt sie fragend an).

Die junge Frau: Jetzt nämlich hält er es gar
nicht mehr der Mühe werth, zu lügen I Ich bin
ihm so gleichgiltig geworden, daß er einfach
schweigt und meine Fragen überhört.

Georg: Soll er Ihnen denn die Wahrheit
gestehen ?

Die kleine Frau: Warum hat er mich denn
gcheirathet?

Georg: Weil er sie liebte.

Die kleine Frau: Und jetzt?

Georg (steht auf und streicht ihr über die
Band): Sie sind grausam gegen sich selbst, kleine
Frau. Ich verweigere Ihnen die Antwort.

(Pause.)

Die kleine Frau: Beirathen Sie nie!

Georg (zeigt die Zähne): Sie sind drolligI
Wenn ich nur eine Frau nach meinem Geschmacke
fände I

Die kleine Frau: verlangen Sie so viel?

Georg: Ich glaube nicht. Die Frau, die ich
suche, müßte . ..

Die kleine Frau (furchtsam): ... müßte?

Georg: Jung, hübsch, sympathisch, einfach und
nicht streitsüchtig sein. Sie dürfte weder Verse
machen, noch malen, müßte aber trotzdenr in Ge-
schmackfragen instinktiv das Richtige treffen. Wenn
sie gut kocht, sähe ich ihr auch ein paar ortho-
graphische Fehler uach.

Die kleine Frau (schnell): Freilich, freilich!

Georg: Sie dürfte keine gehäkelten Decken auf
die Möbel legen.

Die kleine Frau: Nicht wahr? In unserem
ganzen paushalt finden Sie nicht eine gehäkelte
Decke.

Georg: Und endlich (zündet sich eine Eigarctte
an) müßte sie ein nettes, kleines vermögen in die
Ehe bringen.

Die kleine Frau (niedergeschlagen): G ja,
freilich, ein vermögen (sie zerknüllt die paud-
schuhe), Geld im paushalt, das bewahrt vor allem
päßlichen.

(Pause. Es ist jetzt ganz dunkel geworden.)

Die kleine Frau: was fang ich nur an?

Georg: vielleicht ist doch etwas Anderes im
Spiele? (zündet Kerzen an). Nein, das war un-
überlegt, eine Frau trifft in solchen Fällen stets
das Richtige.

Die kleine Frau (wie im Selbstgespräch): Es
mußte etwas ganz Besonderes sein, denn er hat
nie ein Vergnügen darin gefunden, in Restaurants
oder Eafäs herumzusitzen. Skatspielen oder der-
gleichen ist ihm verhaßt. Eine Sache von ge-
heimnißvoller Anziehungskraft mußte es sein. Ich
beruhigte mich bei dem Gedanken, daß ich etwas
Bestimmtes ja nicht wüßte. Ein schlechter Trost,
nicht wahr? Man wird förmlich zum Kinde. Bis
ich einen Brief abfing. Nun hatte ich's schwarz
auf weiß. Pier ist der Brief (sie sucht im Pom-
padour). Um Geld bittet sie ihn, das Frauen-
zimmer.

Georg (nach der Lektüre kopfschüttelnd): Ich
begreife seine Sympathie für diese Person nicht,
(leiser) Sie muß ihm ein besonderes Vergnügen
gewähren. Sie verstehen mich vielleicht nicht?

Die kleine Frau: Ich glaube, Sie sehr gu-
zu verstehen. (Verbirgt das Gesicht in den pänden.)
Wie häßlich und gemein ist das!

(Pause.)

Die kleine Frau: Sie haben ihm neulich ein
Buch geliehen?

Georg: So?

Die kleine Frau: Einen Roman. Sie hätten
das nicht thun sollen. Ich habe darin gelesen und
gefunden, daß es als etwas Selbstverständliches
hingestellt wird — der Ehebruch nämlich. Dieses
Buch wird ihn in seiner Ansicht noch befestigen. Er
hat sich neulich schon darauf berufen, warum
geben Sie ihm ein solches Buch?

Georg: Er sah es bei mir liegen, verzeihen
Sie mir. Sie haben Recht, ich hätte es ihm nicht
lassen sollen.

Die kleine Frau: Seien Sie offen: Finden
Sie nicht, daß er mir himmelschreiendes Unrecht
zufügt? Wäre es Ihnen möglich, je derart ZN
handeln Ihrer Frau gegenüber, der Sie Treue
geschworen haben?

Georg (lächelnd): Der Schwur, von dem Eie
sprechen, ist der unvernünftigste, den ich kenne.
Wissen Sie denn in Ihrer Jugend, ob Sie einen
anderen Menschen ewig lieben werden? Wissen
Sie so bestimmt, daß niemals ein anderes Gesicht,
ein anderer Körper auf Sie Eindruck machen wird?
In der ganzen männlichen Welt, kleine Frau,
wird ein solcher Schwur lediglich als Formalität
empfunden.

Die kleine Frau: Also billigen Sie das ver-
halten meines Mannes?

Georg: Ich billige es nicht, weil Sie darunter
leide«. _ (Pause.)

Die kleine Frau: Sie plündert ihn aus!

Georg: Er wird sich wieder auf Sie besinnen.

Die kleine Frau: Nie haben wir mehr Geld
im paushalt. Ich habe mir das Mädchen ab-
schaffen müssen.

Georg: Wie lange dauert das verhältniß schon
mit jener Person?

Die kleine Frau: Sechs Monate, ganze sechs
Monate. Und ich habe stets ein so makelloses
Leben geführt! Er kann mir auch nicht einen
Unrechten Blick vorwerfen I (weint.)

Georg (ablenkcnd): Man bekommt Ihren Mann
nie mehr zu Gesicht.

Die kleine Frau: Er zieht sich von allen und
alle ziehen sich von ihm zurück. Welch eine trojt-
lose Einsamkeit ist um mich herum! Er fürchtet,
daß seine Freunde ihm Vorwürfe machen, und
daruni geht er ihnen aus dem Wege. Nur jenes
Geschöpf hat noch Einfluß auf ihn. Sie macht
ihn krank!

Georg: Er wird sich wieder auf seine kleine
paussrau besinnen, verlassen Sie sich darauf. Sic
müssen ihn schonen, thun, als ob Sie nichts be-
merkten. Jeden Tag den Tisch sauber decken und

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Albert Weisgerber: Huldigung
 
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