Nr. 30
J UGEN D
1904
E l n p t 0 g t fl in m Erich Wilke (München)
Ls kommt mir weniger darauf an, daß man bei meinen Bildern etwas fühlen, als -aß man sich dabei nichts denken kannl"
Blumen darauf stellen. Reine Borwürfe machen.
Reine Leidensmiene aufsetzen.
Die kleine Frau: Sie gebrauchen seine eigenen
Worte. Er behauptet, meine Miene vertriebe ihn
vom Tische.
Georg: Legen Sie sie also ab, kleine Frau!
Tapfer sein, tapfer I Dann wird er zu Ihnen
znriickkehrcn.
(Sie schluchzt. Georg wirft einen wehmüthigen
Blick auf den Schreibtisch.)
Die kleine Frau: Sie verlangen Unmögliches.
Ich habe eine so häßliche Empfindung, wenn ich
mit ihm zusammen bin. Die Lnft ist ganz schwer
im Zimmer, so daß man nicht athmen mag. wir
fürchten uns beide vor unserer Unterhaltung. Jeder
Ton hat einen falschen Klang. Und wie lange
noch, dann merken es die Rinderl
Georg: Sie wollen sich nicht — trennen?
Die kleine Frau: Tausendmal Hab ich daran
gedacht! Tausendmal! Aber es geht nicht. Ich
habe es ihm einmal, nach einer häßlichen Scene,
vorgeschlagen. Lr hat müde, ach so müde geant-
wortet : Dazu brauchen wir Geld, mehr Geld, als
ich verdiene, Hätte ich nur etwas gelernt! B
Gott! (Sie senkt den Ropf. Panse.)
Die kleine Frau (steht auf und örückt Georg
die Hand): verzeihen Sie, daß ich Sie heute wieder
mit meinen Klagen gequält habe I Dies Alles
wissen Sie ja schon längst; aber ich muß mich
zuweilen aussxrechen. Sie sind so klug, und ich
weiß, daß Sie Antheil an mir nehmen. Ich hatte
gerade heute etwas Zeit und da wollte ich schnell
bei Ihnen anklopfen, vielleicht habe ich Sie nicht
zu sehr gestört? Jedesmal gehe ich erleichtert von
Ihnen weg; Sie haben eine so schöne, ruhige
Stimme. (Sie weist auf den offenen Flügel.)
Haben Sie gespielt, als ich kam?
Georg (lächelnd): Nein, aber wollen Sie etwas
hören?
Die kleine Frau (zieht die Uhr): Noch zehn
Minuten. Ich komme so selten zu guter Musik,
und in den Ronzertcn stören mich die vielen
Menschen.
Georg (am Flügel, das daraufstchende Heft
zuklappend): Nein, das ist zu melancholisch und
nichts für Sie.
Die kleine Frau: Spielen Sie es dennoch,
bitte. Gerade dieses Stück I wie heißt cs?
Georg: „Schumann, Leides Ahnung." Aber es
thnt sehr weh, Sie werden es bereuen.
(Georg spielt. Die kleine Frau sicht ihm mit
verschleierten Augen zu und zittert.)
Sie (leise): Mein Gott, wie schön! Und wie
gut Sie das spielen l Haben Sie noch etwas von
Schumann da? Der arme, arme Mensch!
Georg (blättert in den Noten und zieht ein
Pest heraus): Dieses hier liebe ich außerordentlich.
„In der Nacht" heißt es. Rennen Sie es?
Die kleine Frau: wenn Sie wüßten, welche
Freude Sie mir machen I
(Beim dritten Takte, in dem die ergreifend"
Melodie einsetzt, fließt eine tiefe Röthe über di"
Ivangen der jungen Frau. Sie faltet die Händ"
und athmet schneller. Ihre Pupillen sind weitaus-
gerissen. Sie macht den Eindruck eines großem
frommen, sehr musikalischen Rindes, das brausend"
Grgelklänge vernimmt.
Als der letzte Akkord verrauscht ist, bleib»
Georg, physisch und psychisch erschöpft, sitz"«-
Die Augen der kleinen Frau strahlen von höchste»'
Glück. Ls folgt eine lange Pause, und beide
glauben, ihre Herzen schlagen zu hören. Die et-
was herben Züge der jungen Frau scheinen wundep
bar verjüngt. Die ganze Keuschheit und süße
Einfalt ihres Seelchens steht wie ein verklärend""
Schimmer auf dem verhärmten Antlitz. Endlich
erhebt sie sich und will Georg danken. Ab""
kein Wort ringt sich über ihre Lippen).
Georg (holt einen Strauß Nelken aus einer
Vase): Nehmen Sie ein paar Blumen zum >lb'
schied. (Drückt sie ihr in die Hand.)
Die kleine Frau (vor Glück zitternd):
gut Sie sind I (fällt auf den Sessel zurück). Ich
fühle mich so schwach ... (sie reicht Georg
willkürlich die Hand).
Georg (streichelt ihr die Schläfen): So
Rind und sich verheiraten! Hat man je dergleich'»'
gesehen! Kleines Mädchen! was will ein solch"'
Rindskopf nur in der weltl l (Er küßt sie u"d
führt sie sanft zur Thür.)
J UGEN D
1904
E l n p t 0 g t fl in m Erich Wilke (München)
Ls kommt mir weniger darauf an, daß man bei meinen Bildern etwas fühlen, als -aß man sich dabei nichts denken kannl"
Blumen darauf stellen. Reine Borwürfe machen.
Reine Leidensmiene aufsetzen.
Die kleine Frau: Sie gebrauchen seine eigenen
Worte. Er behauptet, meine Miene vertriebe ihn
vom Tische.
Georg: Legen Sie sie also ab, kleine Frau!
Tapfer sein, tapfer I Dann wird er zu Ihnen
znriickkehrcn.
(Sie schluchzt. Georg wirft einen wehmüthigen
Blick auf den Schreibtisch.)
Die kleine Frau: Sie verlangen Unmögliches.
Ich habe eine so häßliche Empfindung, wenn ich
mit ihm zusammen bin. Die Lnft ist ganz schwer
im Zimmer, so daß man nicht athmen mag. wir
fürchten uns beide vor unserer Unterhaltung. Jeder
Ton hat einen falschen Klang. Und wie lange
noch, dann merken es die Rinderl
Georg: Sie wollen sich nicht — trennen?
Die kleine Frau: Tausendmal Hab ich daran
gedacht! Tausendmal! Aber es geht nicht. Ich
habe es ihm einmal, nach einer häßlichen Scene,
vorgeschlagen. Lr hat müde, ach so müde geant-
wortet : Dazu brauchen wir Geld, mehr Geld, als
ich verdiene, Hätte ich nur etwas gelernt! B
Gott! (Sie senkt den Ropf. Panse.)
Die kleine Frau (steht auf und örückt Georg
die Hand): verzeihen Sie, daß ich Sie heute wieder
mit meinen Klagen gequält habe I Dies Alles
wissen Sie ja schon längst; aber ich muß mich
zuweilen aussxrechen. Sie sind so klug, und ich
weiß, daß Sie Antheil an mir nehmen. Ich hatte
gerade heute etwas Zeit und da wollte ich schnell
bei Ihnen anklopfen, vielleicht habe ich Sie nicht
zu sehr gestört? Jedesmal gehe ich erleichtert von
Ihnen weg; Sie haben eine so schöne, ruhige
Stimme. (Sie weist auf den offenen Flügel.)
Haben Sie gespielt, als ich kam?
Georg (lächelnd): Nein, aber wollen Sie etwas
hören?
Die kleine Frau (zieht die Uhr): Noch zehn
Minuten. Ich komme so selten zu guter Musik,
und in den Ronzertcn stören mich die vielen
Menschen.
Georg (am Flügel, das daraufstchende Heft
zuklappend): Nein, das ist zu melancholisch und
nichts für Sie.
Die kleine Frau: Spielen Sie es dennoch,
bitte. Gerade dieses Stück I wie heißt cs?
Georg: „Schumann, Leides Ahnung." Aber es
thnt sehr weh, Sie werden es bereuen.
(Georg spielt. Die kleine Frau sicht ihm mit
verschleierten Augen zu und zittert.)
Sie (leise): Mein Gott, wie schön! Und wie
gut Sie das spielen l Haben Sie noch etwas von
Schumann da? Der arme, arme Mensch!
Georg (blättert in den Noten und zieht ein
Pest heraus): Dieses hier liebe ich außerordentlich.
„In der Nacht" heißt es. Rennen Sie es?
Die kleine Frau: wenn Sie wüßten, welche
Freude Sie mir machen I
(Beim dritten Takte, in dem die ergreifend"
Melodie einsetzt, fließt eine tiefe Röthe über di"
Ivangen der jungen Frau. Sie faltet die Händ"
und athmet schneller. Ihre Pupillen sind weitaus-
gerissen. Sie macht den Eindruck eines großem
frommen, sehr musikalischen Rindes, das brausend"
Grgelklänge vernimmt.
Als der letzte Akkord verrauscht ist, bleib»
Georg, physisch und psychisch erschöpft, sitz"«-
Die Augen der kleinen Frau strahlen von höchste»'
Glück. Ls folgt eine lange Pause, und beide
glauben, ihre Herzen schlagen zu hören. Die et-
was herben Züge der jungen Frau scheinen wundep
bar verjüngt. Die ganze Keuschheit und süße
Einfalt ihres Seelchens steht wie ein verklärend""
Schimmer auf dem verhärmten Antlitz. Endlich
erhebt sie sich und will Georg danken. Ab""
kein Wort ringt sich über ihre Lippen).
Georg (holt einen Strauß Nelken aus einer
Vase): Nehmen Sie ein paar Blumen zum >lb'
schied. (Drückt sie ihr in die Hand.)
Die kleine Frau (vor Glück zitternd):
gut Sie sind I (fällt auf den Sessel zurück). Ich
fühle mich so schwach ... (sie reicht Georg
willkürlich die Hand).
Georg (streichelt ihr die Schläfen): So
Rind und sich verheiraten! Hat man je dergleich'»'
gesehen! Kleines Mädchen! was will ein solch"'
Rindskopf nur in der weltl l (Er küßt sie u"d
führt sie sanft zur Thür.)