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EIN BESUCH

Der Saun

von Waldemar Schütkp

Sch lag im Dachauer Moos am Ufer der Amper,
, die ihre grünen Wasser leise rauschend thal-
wärt? gleiten ließ, und mein Blick schweifte in
gedankenlos glücklichem Genießen in die Ebene,
bis weit dort hinten, wo in blauer Ferne Erde
und Himmel in einander flössen. Lautlos, wie
Schneeflocken, schneiten rothe und weiße Blüthen
von den Bäumen, am tiefblauen Himmel schwam-
men nur vereinzelte lichte Wölkchen und rings-
um herrschte tiefe Stille, nur unterbrochen vom
Summen der Käfer und Mücken und dem Ge-
zwitscher der Vögel, die sich im goldenen Strahl
der Frühlingssonne badeten. So still und einsam
lag die Moorlandschaft in ungestörter Harmonie
— nur seitwärts dort am Saum des Gehölzes
stand eine Malerin und malte.

Als ich so geraume Zeit gelegen hatte, knackte
unweit im Gebüsch ein Zweig, und als ich lässig
hinsah, kam dort eben ein dunkles Haupt zum
Vorschein mit Bocksbart und Hörnern, darauf
ein brauner, sehniger Oberkörper und endlich ein
paar richtige Bocksfüße.

Sieh da, wie nett, ein Faun!

Ich hatte noch nie einen lebendigen Faun ge-
sehn und betrachtete ihn daher mit großem In-
teresse, wie er dort in der Sonne stand und ver-
gnügt blinzelnd die Hand über die Augen hielt,
um m die Ferne zu blicken. Ausgezeichnet, wirk-
lich famos I Ich mußte unwillkürlich die Beob-
achtungsgabe eines Böcklin, eines Stuck bewun-
dern, und als ich noch etwas schärfer hiusah —
natürlich, ich kannte den Gesellen ja, das war
niemand anders als der Faun von Rubens aus
der alten Pinakothek, der den freien Tag — es
war gerade Samstag — benutzt hatte, um einen
Frühlingsspaziergang zu machen. Ich muß wohl
einen Ruf der Ueberraschung ausgestoßen haben,
denn plötzlich bemerkte er mich und sprang mit
einem scheuen Satz in's Gebüsch zurück.

Es schien mir, als ob er hinter mir durch's
Gehölz schlich, denn hie und da sah ich seine braune
glänzende Haut, die von den Sonnenstrahlen ge-
troffen wurde, durch das frische Grün der Schwarz-
dornhccken schimmern, und richtig nach fünf Mi-
nuten erschien er ans der andern Seite unweit
der Malerin und begann sich derselben langsam
zu nähern. Gespannt verfolgte ich ihn hinter
meinem Strauch mit den Augen, was er wohl
beginnen möchte.

Er stellte sich dicht hinter sie, sah über ihre
Schulter auf das Bild — und grinste I

Endlich bemerkte sie ihn, drehte sich ein wenig
um und erwiderte auf sein höfliches „Grüaß Gott,
Freil'itl" nur so leichthin:

,,'n Tach, so sind Sie auch da- wie jcth's Ihnen
denn?"

„I dank schön, recht guat, a bissel spazier'»
bin i gang'», weil i hcint frei Hab und mi wieder
a bissel Hab erholen und z'ammricht'n wollen,
wissen's, 's hat ini a arg herg'nommen, wie S'
mi z'letzt kopiert Ham in der Pinakothek." Und
dabei grinste er wieder freundlich.

„Unverschämtheit, wirklich stark!" sagte die
Malerin mit indigniertem Nasenrümpfen, wandte
sich wieder ihrem Bild zu und strich sehr dick, sehr
theure Farben darauf, ohne den braunen Gesellen
weiter zu beachten, der sich hinter sie in's Gras
gesetzt hatte und anfing, sie mit Kennerblicken zu
mustern.

Nach einer weile fiel ihr etwas ein.

„Hören Sie," sagte sie, „Sie würden ausje-
zeichnet auf mein Icmälde passen, jchn Sie mal
da 'nüber und stellen Se sich unter den Baum dort —
na, so jehn Se dochl"

Doch der Faun blieb ruhig sitzen, blinzelte sie
vergnügt von unten herauf an und erwiderte:

„Na Freil'n, i mog net, i Hab heint mein
Griabigen, i niuaß a so 's ganze Jahr Modell
stehn und von Ehana laß i mi glei gar nimmer
mol'n."

„Na, ooch jut l Nee, aber wie diese Süddeutschen
unliebenswürdig sind, nicht zum sagen!" Und
wüthend drehte sie sich wieder ihrem Bilde zu und
strich von neuem sehr dick, sehr theure Farben auf.

Abermals entstand eine Pause, während der
die Malerin heftig malte und der Faun fortfnhr,
sic von hinten mit blinzelnden Augen zu betrachten
unter fortwährendem Hin- und Herwiegen des
Kopfes.

Plötzlich stand er auf, trat näher und zupfte
sie am Rock.

„Na, was jiebts denn schon wieder!" fragte
sie stirnrunzelnd.

Er stand breitspurig vor ihr, mit halb ver-
legenen», halb dreistein Lächeln und ineinte:

„Sie — Freilein — mögen's? "

„was?"

„No, i mein halt a so," erklärte er und ver-
suchte, sie um die Taille zu fassen.

Endlich hatte sie verstanden und nun geschah
etwas Schreckliches.

„Nee, so was, unerhört, beispiellos, woll'n
Sie mich wohl in Ruh lassen, Sie frecher Mensch,
Sie ungezogener, Sie roher, Sie wüster" u. s. w.,
und unter einer Fluth von Morten ergriff sie eine
große Tube (Delfarbe voll preußisch Blau, die sie
eben geöffnet hatte, um frische Farbe auf die Pa-
lette zu setzen und spritzte mit heftigem Druck
deren ganzen Inhalt unsrem Faun in's Gesicht,
daß er über und über blau wurde und auch die

Wilhelm Volz f

ganze Vorderseite von der herabrinnenden Farbe
in kurzem ein intensiv leuchteiidcs preußisch Blau
annahm.

Erschrocken fuhr er zurück niid starrte entsetzt
an seiner gefärbten Vorderseite hinab. Dann ver-
suchte er das preußisch Blau abzuwischen. Aber
so sehr er auch wischte, es wurde immer schlimmer,
anstatt besser.

Endlich wandte er sich mit vorwurfsvoller
Miene an die Malerin.

„Sie, Freil'n, dös war fei net schön von
Ehana, jetzat leichen S' mir wenigstens Ihr Ter-
pentinöl zum Abwaschen, a so konn i do net in
d' Pinakothek heimgehn I"

Doch mit unerbittlich strenger Miene streckte
sie nur den Arm aus und sprach:

„Fort!"

„Nachat können's — — — "

Ich glaubte noch eine bekannte Münchner
Redensart zu hören und sah dann, wie unser armer
Faun trübselig von dannen hüpfte und alsbald
im Gebüsch verschwand.

Gleich darauf packte auch die Malerin zu-
sammen und ging fort.

Ich blieb noch lange an meinem Plätzchen
liegen, dachte über Malerinnen und Faune nach
und ließ mir's wohl sein.

Als ich Abends heimging, war der erste Mensch,
der mir auf der Straße begegnete, eine feste
Dachauer Dirne.

Als sie näher kam, bemerkte ich, daß sie merk-
würdige blaue Flecke iru Gesicht, an de»l Armen
und an der Kleidung hatte.

lfm, hin!

Dann kamen ein paar alte Leute und nachher
in kurzen Zwischenräumen wieder einige junge
Dachauerinnen.

Letztere hatten wieder die merkwürdigen blauen
Flecke an sich.

So, so!

Je mehr ich mich Dachau näherte, desto mehr
weibliche Wesen fielen mir auf, welche diese be-
sonder» Kennzeichen trugen, ein Beweis dafür,
daß unser Freund, der Faun, bei der Land-
bevölkerung offenbar mehr Glück gefunden hatte
als bei der schlimmen Malerin.

Als am nächsten Montag mein Freund, der
Maler, der damals gerade ein Bild in der Pina-
kothek kopierte, zum Mittagessen kam, schimpfte
er fürchterlich, daß irgend so ein Malweib oder
so Jemand ihm sein ganzes Terpentinöl und seinen
Mallapxen gestohlen hätte.

Ich vermuthete wohl, wer das gewesen war
und warf im vorübergehen einen Blick auf den
Faun, der tadellos sauber in seinem Rahmen saß,
aber gesagt habe ich es nicht, denn mein Freund
hätte es mir ja doch nicht geglaubt.

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Register
Waldemar Schütky: Der Faun
Wilhelm v. Volz: Ein Besuch
 
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