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Nr. 40

1904

Stunde des Dichters

f)<?ut Hab' ich soviel Sonnenpracht
In mich Hineingelrunken,

Oah unvermerkt in liefe Nacht
llas weite Lanck gesunken.

Ich fühl, es funkelt all mein Blut
gleich feurigem Zuwele,

Und übergieht mit seiner 6luth
Oie Bilder meiner Seele.

OUaltber Gnus

Russische Sprüchwörter und Sprüche

Ein Pfaffenbauch ist ans sieben Schaf-
fellen genaht; darum wird er auch nimmer
voll.

Der Morgen ist weiser, als der Abend.

Alles darf geschehen, — nur gib Acht:
Hübsch sacht!

Das eigene Auge ist ein Diamant, daö
fremde — ein Stück Glas.

Des Weibes Weg sei für und für
Von dem Ofen bis zur Thür.

Der Weise liebt zu lernen, der Narr
— z» lehren.

(Deutsch von Theodor Fröbergj

Trost

Weine nicht!

Silbernes klingendes Sternenlicht
Nieselt über die Baume.

Oben hoch vom blauen Meer
Leuchten zwei weiße Segel her,
Leuchten unsere Träume.

Weine nicht!

Wenn auch manches Boot zerbricht,
Eines findet den Hafen;

Eines findet die stille Stadt,

Wo die Schuld ein Ende hat
Und die Schmerzen schlafen.

Weine nicht!

Hebe Dein bleiches Angesicht
Hoch den Sternen entgegen.

Dort, dort liegt das Jnselland,

Wo die Erlösten im Festgewand
Wandeln auf goldenen Wegen.

Weine nicht!

Weil der Dornenkranz Dich sticht.
Silbern stehen die Bäume.

Oben hoch vom blauen Meer
Leuchten zwei weiße Segel her,
Leuchten unsere Träume.

Otto Klimmet

Meine Geschichten

von A Latz Ko

Ehe

„Du liebst mich nicht mehr," sprach e>"
Sperling schluchzend zu seiner Frau,
verdammten Nachtigall schleuderst Du gliÜÜ
ende Blicke zu, so oft sie Dir was vorsingt
Glaubst Du, ich kann nicht singen? 3l*‘
habe bloß keine Zeit! Ich muß das Ucst
für Dich bauen und die Nahrung für
Kleinen besorgen! Hätte ich Dich nick
gcheirathet, ich wäre gewiß auch C',|C
Nachtigall geworden!"

L’art pour l’art

lieber einen kolossalen Bücherschrank, ?rr
alle geistigen Schätze der Weltliteratur
seinen Fächern barg, hatte eine Spinne ihr
Netz gesponnen. Es war ein ganz
sonders feines Netz, nach allen Regeln der
Kunst verfertigt. Die Fliegen kamen, ocr'
wirrten sich in dem Netz und die Sp>""^
verspeiste sie mit vielem Vergnügen.

Da kain der Gelehrte, dem die Bibliothek
gehörte, von der Reise zurück, und sofort
ließ er das Spinngewebe mit einem Best"
entfernen.

„So ein verdammter Bourgeois!" schimpfte
die Spinne. „So wunderbar gesponnen war
mein Netz, so fein und symmetrisch, ^
reich an Invention und künstlerischer Eigen'
art! Bei Gott, die Fliegen sind doch d>r
einzigen lvesen, die noch etwas Knnstsi"'
haben!"

Selb'stbcwusitscitt

Gin Gchs und ein Pferd waren eA
einen Pflug gespannt und verrichteten
schöner Eintracht ihre Arbeit.

Eines Tages, während der lNittagspa"!^
gcriethen sie in Streit.

Das Pferd verlor zuerst seine Selbflbe'
herrschung und wieherte wütheud:

„Du Gchs!"

Außer sich brüllte der Gchse zurück:
„Du Pferd!"

llub beide waren beleidigt.

Rechrsgcfühl

„!Ttciu Rechtsgefllhl bäumt fid;..." v'1'
ein Herr an einem Eafähaustisch.

Ein Anderer aus der c5cfcllfd?aft,
preisgekrönter Ringkämpfer und Athlet vo
Beruf, — erzählte schmunzelnd:

In Paris wurde ich eines Abends vo"
einem Eambrioleur angefallen. Er hat
llleffer gegen meine Brust gezückt und Ulf
„Bourse oü la vie I“

Nun, Sie kennen ja meine berückstng 1
lllnskclkraft; ich packe den Kerl am Krage^
werfe ihn der Länge nach hin und bearl>c>
seinen Rücken mit Stockhieben.

Zwei-, dreimal erhebt er sich, aber ^
ergeht ihm nickst besser. Als er nun en
gültig in der Rinne liegt und die H"
erbarmungslos auf ihn herniederregne
brüllt er plötzlich aus voller Kehle: „

„Zu Hilfe! Polizei!... Polizei'

11. Nisle ■{■
Register
Walther Unus: Stunde des Dichters
Heinrich Nisle: Zierleiste
A. Latzko: Kleine Geschichten
Otto Klimmer: Trost
Unbekannt, russisch: Russische Sprüchwörter und Sprüche
 
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