Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1904

Jim Morgen

Cs duftet der frühe Morgen
So Kühk und frisch behaucht,
Hkeich einem fungen Weibe,
Das mit dem bkühenden Isteike
Aus feinem Vade taucht.

Sie reckt die sehnenden Arme
Wohkig empor in's Vkau
And über die ktanlren Gkieder
Ricfekn noch keife nieder
Die Letzten Tropfen Thau ...

Doch ach, kakd mutzt Du traurig
An^iehu Dein Tagesgewand.

Cs Kommen die harten Stunden
And decken mit Staub und Wund^'
Deine feine Feenhand.

And bis der Abend wieder
Aeber der Wekt vergküht,

Ach, wirft Du fein wie die Andern ^
Schmutzig und heitz vom Wandern
And müd — jum Sterben müd.

A. I»c

Der Zahnbürftenonkel

lärmende, stoßende, hüpfende Wild-
er bach des Lebens hatte sich eben auf
die Straße ergossen. Obschon ich Eile
hatte, so nahm ich mir doch Zeit, durch das
Gewühl der schreienden Kinder hindurch-
zukommen, die eben das Schulhans ver-
lassen hatten. Denn es ist immer interes-
sant, junge Menschen zu beobachten, zumal
in der Unordnung des Auflaufs, wo sich
eines jeden Kraft und Gemüthsart anders
gebärdet, und bei einem so fröhlichen Ge-
schäfte, wie es die Heimkehr aus der Zwing-
burg des Einmaleins immer war und ewig
bleiben wird. Besser, als beim Examen,
lassen sich hier des Einzelnen Lebensschick-
sale vorausahnen.

Aber diesmal war es nicht in München,
sondern in einer Vorstadt Stuttgarts, und
ich wollte vor dem Abgang des Zuges noch
eine Ludwigsburger Porzellanfignr auf-
suchen, die dort in der Nähe bei einem
uralten Fräulein ihr Dornröschendasein
friste» sollte. Da fiel mir in dem Gewühl
der Kinder eine Grupve auf, die sich um
einen feingekleidetcn Herrn drängte. Der
Alaun vertheilte irgend etwas. „Wie dumm,
wie ungehörig," hätte ich ihm gern zuge-
rnfen, den» ich meinte, daß er den Kleinen
Geld oder Süßigkeiten gebe. Aber nun
liefen ein paar pausbäckige kleine Schwaben
bei mir vorbei, von denen der eine eine
Zahnbürste, der andere eine Nagelbürste
hoch hielt.

Das war mir neu Also ein edler
Menschenfreund, ein Volkswirth, ein Wohl-
fahrtsmensch, ein Denker. Da schüttelte
er lachend die Hände in der Luft und
vertröstete die Bittenden auf morgen. Sein
Blick fiel ans mich, er fixierte mich, und
unwillkürlich griff ich nach dem Hute, dem
eigenartigen Wohlthäter der Menschheit
meine Sympathie auszudrücken. Aber er
kam mir zuvor, streckte mir freudig die
Hand entgegen und rief mir meinen Kose-
namen „Schorsch" in so unverfälscht thü-
ringischem Dialekt und mit einer Stimme
zu. daß ich sofort von heimatlichen Bildern
umgaukelt war.

Also der war's, mein alter Pennal-
nachbar. Wir hatten uns an die zwanzig
Jahre nicht mehr gesehen. Alich hatte er
sofort erkannt, ich hätte nrich, den Schnurr-
bart abgerechnet, „gar nicht verändert",
— damals ärgerte mich das noch, jetzt wäre
ich froh darum! Aber er hatte sich sehr
verändert und ich mußte ihn noch lange
prüfend aniehen. Aus dem blassen, ver-
zärtelten Muttersöhnchen war ein schöner
Mann geworden, stattlich allerdings noch
mehr durch nachlässigvornehme Haltung

als durch Knochen und Muskeln. .„
hatte etwas an sich, was man Enem
schlummer nennen könnte, und was män^^
kundige Frauen so gerne auf die Pro
stellen.

Aber viel mehr, als seine neue n>ä»ü
liche Erscheinung interessierte mich fd)?1*
der ersten Viertelstunde unseres W>^
sehens die Beobachtung, daß er im
seines Wesens der Alte geblieben war: e
Unzufriedener. Schon als Knabe hatte '
der Vornehme und Verwöhnte, einen
überwindlichcn Hang zur Kritik, zumÖera'j,
finden des Unvollkommenen an sich,.ff.,,
Anderen, zur Betonung der antipatbu«
Momente. An Allem und Jedem haue .
etwas auszusetzcn gehabt; und wie dies
jungen Menschen natürlich, war seist
theil an Aeußcrlichkciten hängen geblic^
er vermied die Häßlichkeit und verabsaiu
den Schmutz, die nachlässige Haltung-
Zeichen jeglicher Verwahrlosung, ja '
der Armutb, wenn sie zugleich den Ste>m f
der Liederlichkeit trug. Die meisten st" y
Alitichülcr hielten ihn deshalb für stai^ge
hochfahrend. Mit Unrecht, denn er ö*
ein gutes Herz, und jede seiner Antipau,,.,,
verursachte ihm nicht nur Unbehagen,
geradezn Schmerz, er empfand sie wie - ,
wundungen eines leidenschaftlich g^^.ur
Ideales. Im Grunde seiner Seele
eine ungestillte Sehnsucht nach Menlnk,-
beglückung. Auch mit jenen seiner
schüler und Lehrer, von denen er sich
ihrer grünen Zähne, schwarzen Nägel 1
ungewaschenen Manieien abgestoßen
hatte er Mitleid, er hätte sie gerne a>i^
gehabt, ohne alle diese plebejischen Ervl
und Unarten.

Er war einer der gewissenhaftesten ^
besten Schüler. Für mich hatte er |tj
vielmehr wegen seiner vornehmen Omer
des Acußerlichen etwas Imponieren §
denn meine Schülererfahrungen bestaun,^
seine Devise: „In einem Schmntzfinken
keine reinliche Seele wohnen." Ich z>>
daher Mühe, seinen Ansprüchen geft^ el
werden, und zum Lohne dafür zeichu^^,,-
mich, ohne doch jemals „warm" zuJ°
durch größere Mittheilsamkeit aus. ftr jge"
aufrichtigen Aulheil an meinen.tra .
Verhältnissen und freute sich an meme „,jl
willigen T Hatkraft, an dem Bärenappe
dem ich in der Freiviertelstunde außer m
auch noch sein Frühstück verzehrte, '
der Geringschätzung, die ich den Zw
kommenden Sorgen entgegenbrachltz

Unsere Wege trennten sich f1*1
Er konnte jahrelang studieren u»o^ ,,>w
während ich gezwungen war, für »

G Petzold (München)
Register
A. De Nora: Am Morgen
Gustav Petzoldt: Zierleiste
Georg Hirth: Der Zahnbürstenonkel
 
Annotationen