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Mroöaük

Alois, Kolb (München)

Die Ahnen

Seinsamer Kette» bin ich tunkles Ende.

E n Duell, ein Stern, sieh, ist nur eben er,
Dies weiße Haus hat seine eig'nen Wände —
Ich aber, Kind, Hab weniger und mehr:
Uralter Sehnsucht glühen meine Brande,
Uralter Hülle bin ich Wiederkehr.

Häng' ich verzückt an Deinem Nacken, schauen
Die Augen selig Deine zarte Glut,

Wie wagst Du denn, so lächelnd zu vertrauen,
Daß nicht verbuhlter Ahnen Lust Dir ruht
Im jungen Arm, daß nicht zu andern Frauen
Mich morgen Nacht schon reißt ihr

Sündenblut?

Drum, wisse,fühlst Du manchmal jäh mich beben
An Deiner Lipve» wildgeschloßnem Band.
Halb halt' ich Dich, halb aber ftiehn,

entschweben

Mir Deine Seufzer weit in dunkles Land,
Und schaudernd sah ich langsam sich erheben
Zn unser» Häupten eine totte Hand .. .

Hans Müller (Wien)

Der verschlossene Garten

von Georg Hirschscld

An der Mauer entlang, den herben Dust
der Hollundertrauben, die da'übkr hingen, in
der Nase, schlich Jens, der Försterssohn, tagtäg-
lich — barhäuptig, heiß und ruhelos. Weit war
der Weg um die Mauer herum, groß war der
gräfliche Garten.

Es gab drei Thore. Das erste, am Walde,
breit, aus schwarzem Eisen, stti»»» und un-
durchsichtig. Der Vater hatte den Schlüssel dazu
— es diente der Jagdgesellschaft zum frühen Aus-
ritt. Nun tvurde seit einem Jahre nicht mehr
gejagt — seitdem die Söhne des Grasen wieder
daheim waren. Das Thor blieb geschlossen.

Das zweite Thor — an leuchtenden Rvggen-
scldern lag es. Unendlich tveit war dem Hinaus-
tretenden dort der Blick aus die Ebene gegeben.

es senkte sich das Land vom Grasenschlosse
aus, als wenn es sich dienstbar fühlte in seiner
fruchtbaren Schönheit. Goldene Welle»
im Julilicht, weithin. Und vorn, am
Rande, sah man das geheime Volk
der Feldblume», die den sittsamen
Aeh'ren nur ein Häppchen Sonne zu
stehlen. brauchten, um schöner zu
werden, als sie. Bei diesen unaus-
rottbaren Zigeunern, Kornblume»,
Rahden, und was es sonst »och geben
mochte, saß um die Mittagsstunde
täglich Aline, die Kleinmagd aus der
Meierei. Das wußte Jens. Aber er
achtete ihrer nicht, wenn er an ihr
vorüberkam — sie mit den schwarzen
Singen, spöttisch, weiße Zähncbcn in
die Unterlippe grabend, braune Hünd-
chen auf den abgerupstcn Blumen-
hausen gestützt — und er, so lang, so
ungeschickt, barhäuptig, heiß und ruhe-
los, die Augen in den verschlossenen
Garten gerichtet.

Das dritte Thor — an der Dorf-
straße lag es. Ja, und durchsichtig
ivar es, Gott sei Dank, zivei gewaltige
Gitterslügel aus alter Schmieoekunst,
mit goldenen Kronen zu oberst.
Knarrend gingen sie zuweilen auf,
wenn Jens das Glück hatte, gerade
dort zu sei» — dann fuhr der Graf
mit seinem steineri.en Gesicht im Cab-

riolet hinaus, doch Jens konnte ihn kaum »'
sehen, so instinktiv erschrocken grüßte er
Herrscher. Oder cs war nur der Herr von Sch"""
witz, Gutsverwalter, dem man das Wohllcm
zu jeder Stunde ansah. Die jungen Grasen ka»"
nie. Die blieben immer im Schloß. Ein Räthst"
Weil sie krank waren, sagten die Leute. Beide-"
Nie konnte Jens die jungen Grafen sehen- ,
Das war das dritte Thor. Jens liebte c-
am meiste». Obwohl der Weg vom Försterham,
weit war und immer an dem spöttischen,
haarigen Dirnchcn am Feldrain vorüber»''"'"'
Was kümmerte ihn die? Er hatte eine vom
Stunde, um durch das Gitter zu starren. ~cl
breiten Kiesweg entlang, der hinten bis 3",
schimmernden Herrenschloß sühne. Zu beide'
Seiten wölbten sich herrliche Baumwipscl, ""
stille Ncbenpfadc verloren sich geheininißvoll »
den Park hinein. Das war der „Irrgarten '
wie die Leute ihn nannten — Jens' Mutter hass
ihn gesehen. Dort sollte es Blumen geben,
es sonst nicht gab, dort rieselten silberne OucUcbe'
über moosige Steine, dort lebte ganz sicher d")
bleiche, wunderschöne Märchcnglücl, von dem e>
Mutter ihm aus Büchern vorgelesen. Ein Pr"',
zeßchen stand am Springbrunnen und jaini»c>'
um den verlorenen, goldenen Ball. Ein kleine''
grüner Frosch, der eine Krone trug, erschien, e"
verzauberter Königssohn, und Zwerge, n’i»J|j],
Dämmergestalten, trugen stöhnend ihre Schm
aus der Tiefe. Der Gras mit seinem seucrrol'st
Bart, mit seinem steinernen Antlitz — konnte^
nicht der Herr dieser Erdgeister sein? lltid st"'
kranken Söhne? ... Verzauberte Prinzen ivatt
sic aus jener Welt, die Jens nicht kannte.
Mauer des verschlossenen Gartens trennte »'
von ihr. ,,

Jens sah sie ein Mal. Ein einziges
sah er die jungen Grafen, als er in vrennc"^
Sehnsucht über eine Stunde am Gitterthor fl
standen und die Allee entlanggestarrl hatte,
war an einem Augustabend. Ta sah er die be'1’"
Jünglinge von rechts nach links die Allee iij"
schreiten. Sie kamen langsam aus einem dun'".
Seitenpsad und verloren sich in einem. Deus ",
konnte er ihre schlanken Gestalten sehen,
edlen Profile in der Rosengtut des Sonnt
Unterganges. Sie blieben bleich, auch in ^
Rosenglut, und Arm in Arm durchschritte»^
die Lichtung, die ihnen nicht lieb war. "J,
hatten sie für schöne, traurige Augen. Was schiel"
len sie aus ihren jungen Schultern für eine "
sichtbare Last? Ein Kukuk schlug in de» Wst'st,.
— fern — sie blieben stehen, eine Sekunde '
und sahen sich um, bevor sie im Dunkel vC^
schwanden. Ein Lächeln flog auf ihre Lippe"
schmerzlich, stolz Ich brauch' euch nicht- .

st

Jens liebte die Brüder von nun an
liebte sie, wie nur ein Knabe Knaben liebt,
reiner Inbrunst voll und sklavischer Ergebt" ^
Er dichtete sich ihr Schicksal. Und als er b>>.^
und taub für alles Außenlebende die Mauer "^
der entlang schlich, um zum Försterhause z»'"^,
zukehrcn, kam ihm plötzlich, die Tragestange'
den vollen Milchkübeln aus den Schultern,
die Kleinmagd, entgegen. Sie streifte ib"'
er sich an der Mauer an ihr vorüberdrückte, ,[t
Blick war Vorwurf, Haß, Verachtung- ^
schien ihn zu fragen: Siehst mich nid't*? *(|)
trünniger Du — erschrickst vor einem h""'"',,

Mädel? — Jens aber antwortete aus

ba»9e


Trotz heraus: Ich sch' Dich nicht. Ich crsck"
vor Dir. Ich liebe meinen Mnnncsweg, »
Mannesfchlcksal. Stör' mich nicht, Du bilt. (1-
kein Geheimniß. Das Gehcimniß, das i» »"
Seele schlummert, such' ich — bei jenen ei»'" „stk
stolzen, männlichen Menschen. Und erstM ^
davon, als hätte er wirklich solche trotzige -
gesprochen.

Drei Tage vergingen. Jens saß '»» '
Mutter und den beiden Forstgehilsen am iun-l>
tisch — cs war schon spät, der Pater »’»r Dl-,i
nicht hcimgekommen. Schon lauerten
Register
Georg Hirschfeld: Der verschlossene Garten
Hans Müller: Die Ahnen
Alois Kolb: Akrobatik
 
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