1904
JUGEND
Nr. 52
Weltchronik der „Jugend"
Ereignet hat sich mancherlei —
verzeichnen will ich's pflichtgetreu:
3» unsrer Reichsstadt an der Spree
Mar neulich opörn pnrö
Ulan aal', was schier unfaßbar schien,
Endlich den „Roland von
Berlin",
Dran sich zehn Jahre, wie man sagt,
Leoncavallo hat geplagt,
Mit großem Jubel und Äpplause
Im Königlichen Dpernhause.
In den Kritiken steht zu lesen,
Die Mper sei recht nett gewesen,
Doch für den Riesenapparat,
Für die Reklame, den Spektakel,
Mars eben doch halt kein lNirakel
Und keine große Künftlerthat,
Und, war der Auftrag hier
geblieben,
Der den mnostrc» hoch geehrt,
Mar vor viel Jahren schon
geschrieben
Ein Bpus von »iä't mindern»
Werth! —
So nörgeln sie — es muß auf Erden
Palt leider stets gcnörgelt werden! —
Im frommen Speyer gab
der kühne
Direktor einer Bauer »bühne
Don Anzengruber „Kirchfelds
Pfarrer" —
Entrüstet schrieb ein schwarzes Blatt,
Der Einfall sei ein frech-bizarrer,
Weil in die „alte Lischofsstadt"
Ein solches Stück sich nicht gehöre,
Das jeden Kleriker empöre.
In jenem Stück kommt, wie
Ihr wißt,
Ei» junger Pfarrer auf die Scene,
Der wohl zugleich ein guter Christ
Und auch ein Mensch ist, notudsuel
Dem cs in heißem Kampf gelingt,
Daß er das eigne perz bezwingt,
Der milde denkt und tolerant —
Und solch ein Pfarrer, ivie bekannt,
Ist auf die Lentrnins-Rcligion
Ja allerdings, der reine pohn! —
Der Herr Direktor dort in Speyer
Bat reagiert auf jene Schreier!
Aus München weiß ich auch
so »vas:
Da hörte der Minister wehner
A tempo auf die wünsche Jener,
Die ein Geschimpfe, ohne Maß,
Als sei das Bayernland in Noth,
Erhoben, weil Professor G r o t h
Am Sonntag hielt ein Praktikum
Für's mineralogische Studium.
Ein Centrums Wurstblatt dort
am Lech,
Patcntkatholisch abgestempelt.
Und immer ganz besonders frech,
Pat den Professor angerempelt,
Und als er dieses ignoriert,
Ihn beim Minister denunziert!
Und jetzo ist es ans und um
Mit dem genannten Praktikum;
Es triumphiert der Denunziant —
Aecht nette Gegend
hierznlandl —
Doch, scheint mir, eines viel
verfluchten»
Zustandes noch erfreut
sich Schlüchtern,
Ein Nest, das unweit liegt
von Mannheim.
Dort kam ein Mädchen ohne
Mann heim,
Jedoch, ivie halt so Mädchen sind,
Uiit Aussicht auf ein kleines Kind.
Das hörte »nit Berserkerzorn
Der Pfarrer dort niit Namen porn
Und schrieb des Mädchens
Mutter einen
Protcstbrief, einen hundsgemeinen,
Drin er die Maid des Vrts verwies
Und schrieb: wenn sie sich'?
träumen ließ',
Ihr Kind — o Leserin verzeihe,
wenn ich Dein keusches Ghr entweihe
Mit einem Wort für starkeNervenl —
Ihr Kind in Schlüchtern
„auszu werfen"
Und ihm sein Taufbuch
zu verschandeln,
So wolle er im Gotteshaus
Das Mädchen von der Kanzel aus
So christlichliebevoll behandeln,
Daß sie sich in der peimath Gassen
Nicht wieder könne sehen lassen.
Pfui Teufel! muß ich rufen schon:
An Menschenthum und Religion,
An Geist und Bildung und Gemüthe
Ist das ein perr von letzter Güte l —
vernommen habe ich aus Kiel
Ein Faktum, das mir mehr gefiel,
weil's das Marinekriegsgericht
Erscheinen läßt in schönem Licht:
Ein Kriegsschiffheizer war verklagt,
weil er, sich wehrend, es gewagt,
'nen ruppigen Maschinenmaat,
Der ihn frivol mißhandelt hat,
In Todesangst nun ebenfalls
Zu würgen auch an dessen pals.
Das Kriegsgericht sprach Jenen frei,
weil Nothwehr hier erwiesen sei! —
In Dessan war das Kriegsgericht
Bekanntlich solcher Meinung nicht
Und sprach: wenn Dich der Vorgesetzte
Auch niederschlüge und verletzte
Und prügelte Dich blau und braun,
Und Du Dich solltest dann getrau'n,
Dich anders, als passiv zu
wehren,
lvird Dich das Zuchthaus
rnores lehren! —
0) Mensch, der Du verhandelt wirst,
Sieh zu, daß Du Dich ja nicht irrst,
In der Adresse des Gerichts,
Denn, ach! sonst steh' ich Dir
für nichts! —
von Syvcton habt Ihr gehört,
Der alle Welt damit empört,
Daß er den greisen Kriegsminister
von rückwärts feig und tückisch .
schlug?
Recht plötzlich nun verstorben ist er
Und da verbreitet, flink genug,
Nattonalisten-Preßgesindel
verläumdcrischen Trug und
Schwindel,
Ermordet sei der Syveton
von einem schnöden
Franemagon,
weil er ein peld, ein ganz famoser,
Ein Patriot, ein tadelloser.
Es priesen ihn Lemaitre danit
Und Franz Loppöe als großen Mann!
Die Niedertracht, in fetten Lettern,
Stand auch in deutschen
Centrumsblättern —
Und nun stellt sich bestimmt heraus,
Daß Syveton in» eignen paus
Sich als ein Schweinehund erwiesen
Und mußte Selbstmord
sich erkiesen
Als letztes Rettungsmittel, weil
Das Zuchthaus sonst sein sichrer
Theil!
Ihr Berrn Lemaitre und Loppöe,
Ihr wackeren Nationalisten,
Ihr Mode- und Reklame-Lbristen,
wie fürchterlich seid ihrblärnös!—
E. Wilke
Der Kronprinz von Monaco
Albert (tu einem Oldenburger Herrn): „Du bist der
Würdigste, Du sollst mein Nachfolger werden!"
Das böse deutsche Witzblatt
schafft
Graf Bülow Sorgen, massenhaft.
Ls nennt in gar nicht delikater
Art oft den Kater einen Kater,
Selbst wenn's mit diesem
Vuadruped
Das edle Zarenreich versteht!
wo anders sind die Diplomaten
Nicht so mimosenhaft gerathen,
Und ais in» selben Rußland drüben
Lin Kerl jüngst im „Swiet"
geschrieben,
Daß Deutschlands Schmeichelei
und Lüge
Die Schuld an vielem Unheil trüge.
Im lieben, guten Russenvolk,
pat sicher Fürst Swiatopolk
Den Schuft, der so uns angeflegelt,
Nicht auf gut Russisch maßgereqelt!
Und der Regierung dort im Dsten
Thät's wahrlich blos ein
wöistlein kosten,
Daß er dem Pack das Handwerk
legt,
wo Jeder sonst den Maulkorb
trägt! —
Doch halt: es scheint, daß drüben itzt
Der Maulkorb manchmal lockrer sitzt:
Es bringt auf's herrschende System ja
'neu Angriff die „Nowoje wremja"
von dem Kapitänleutnant K l a d o—
So was war unerhört bis dato!
Der sagt die Wahrheit kühnen
Muthes
Der russischen Marineleitung
Und ihrer Feldzugsvorbereitung,
Und diese Wahrheit ist nichts Gutes!
Man hört, ganz schauderhaft verrotte
Die gar nicht flotte Rnsscnflotte
Und wenn man sich nicht rasch
besinne
Und ganz energisch jetzt beginne,
So käm's zum Siege des Mikado.
Das bringt der brave Leutnant Klado
Dem vaterlande zu Gehör. —
Es heißt, ein hoher Lommandör
Der habe oftmals schon mit flotten
pariser Dämchen und Locotten
Das Geld verputzt, das jenes Land
Für seine Schiffe aufgewandt;
Er heißt — den Namen würg'
ich nieder,
Sonst schimpft der Herr Graf
Bülow wieder!
llerodot
Juristendeutsch und
Juristen recht!
Der oberste Gerichtshof in
Wien erachtete die in Ungarn ge-
schlossene Ehe eines Wieners jüdischer
Neligion mit einer Engländerin an-
glikanischen Bekenntnisses für ungül-
iig, weil das Ehehinderniß der Rc-
ligionSvcrschicdcnheit „den Abgang
des sittlichen Vermögens zur Ehe-
schlietzung" betrisst und „die den
Charakter eines zwingenden Verbots-
Gesetzes tragende Norm" enthält, daß
ein Christ sich mit einem Nichtchristen
nicht verehelichen darf.
Im Allgemeinen aber kann man
wohl sagen, daß bei den Ehen zwi-
schen Christen und Juden meist
nicht das „sittliche Vermögen"
sondern dar konkrete Vermögen
in Frage kommt.
Zur gefl. Beachtung!
Eine unserer nächsten aktuellen
Hei lagen erscheint als
„Das neutrale Witzblatt“,
herausgegeben vom Oberfeuerwerker
Bülow.
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JUGEND
Nr. 52
Weltchronik der „Jugend"
Ereignet hat sich mancherlei —
verzeichnen will ich's pflichtgetreu:
3» unsrer Reichsstadt an der Spree
Mar neulich opörn pnrö
Ulan aal', was schier unfaßbar schien,
Endlich den „Roland von
Berlin",
Dran sich zehn Jahre, wie man sagt,
Leoncavallo hat geplagt,
Mit großem Jubel und Äpplause
Im Königlichen Dpernhause.
In den Kritiken steht zu lesen,
Die Mper sei recht nett gewesen,
Doch für den Riesenapparat,
Für die Reklame, den Spektakel,
Mars eben doch halt kein lNirakel
Und keine große Künftlerthat,
Und, war der Auftrag hier
geblieben,
Der den mnostrc» hoch geehrt,
Mar vor viel Jahren schon
geschrieben
Ein Bpus von »iä't mindern»
Werth! —
So nörgeln sie — es muß auf Erden
Palt leider stets gcnörgelt werden! —
Im frommen Speyer gab
der kühne
Direktor einer Bauer »bühne
Don Anzengruber „Kirchfelds
Pfarrer" —
Entrüstet schrieb ein schwarzes Blatt,
Der Einfall sei ein frech-bizarrer,
Weil in die „alte Lischofsstadt"
Ein solches Stück sich nicht gehöre,
Das jeden Kleriker empöre.
In jenem Stück kommt, wie
Ihr wißt,
Ei» junger Pfarrer auf die Scene,
Der wohl zugleich ein guter Christ
Und auch ein Mensch ist, notudsuel
Dem cs in heißem Kampf gelingt,
Daß er das eigne perz bezwingt,
Der milde denkt und tolerant —
Und solch ein Pfarrer, ivie bekannt,
Ist auf die Lentrnins-Rcligion
Ja allerdings, der reine pohn! —
Der Herr Direktor dort in Speyer
Bat reagiert auf jene Schreier!
Aus München weiß ich auch
so »vas:
Da hörte der Minister wehner
A tempo auf die wünsche Jener,
Die ein Geschimpfe, ohne Maß,
Als sei das Bayernland in Noth,
Erhoben, weil Professor G r o t h
Am Sonntag hielt ein Praktikum
Für's mineralogische Studium.
Ein Centrums Wurstblatt dort
am Lech,
Patcntkatholisch abgestempelt.
Und immer ganz besonders frech,
Pat den Professor angerempelt,
Und als er dieses ignoriert,
Ihn beim Minister denunziert!
Und jetzo ist es ans und um
Mit dem genannten Praktikum;
Es triumphiert der Denunziant —
Aecht nette Gegend
hierznlandl —
Doch, scheint mir, eines viel
verfluchten»
Zustandes noch erfreut
sich Schlüchtern,
Ein Nest, das unweit liegt
von Mannheim.
Dort kam ein Mädchen ohne
Mann heim,
Jedoch, ivie halt so Mädchen sind,
Uiit Aussicht auf ein kleines Kind.
Das hörte »nit Berserkerzorn
Der Pfarrer dort niit Namen porn
Und schrieb des Mädchens
Mutter einen
Protcstbrief, einen hundsgemeinen,
Drin er die Maid des Vrts verwies
Und schrieb: wenn sie sich'?
träumen ließ',
Ihr Kind — o Leserin verzeihe,
wenn ich Dein keusches Ghr entweihe
Mit einem Wort für starkeNervenl —
Ihr Kind in Schlüchtern
„auszu werfen"
Und ihm sein Taufbuch
zu verschandeln,
So wolle er im Gotteshaus
Das Mädchen von der Kanzel aus
So christlichliebevoll behandeln,
Daß sie sich in der peimath Gassen
Nicht wieder könne sehen lassen.
Pfui Teufel! muß ich rufen schon:
An Menschenthum und Religion,
An Geist und Bildung und Gemüthe
Ist das ein perr von letzter Güte l —
vernommen habe ich aus Kiel
Ein Faktum, das mir mehr gefiel,
weil's das Marinekriegsgericht
Erscheinen läßt in schönem Licht:
Ein Kriegsschiffheizer war verklagt,
weil er, sich wehrend, es gewagt,
'nen ruppigen Maschinenmaat,
Der ihn frivol mißhandelt hat,
In Todesangst nun ebenfalls
Zu würgen auch an dessen pals.
Das Kriegsgericht sprach Jenen frei,
weil Nothwehr hier erwiesen sei! —
In Dessan war das Kriegsgericht
Bekanntlich solcher Meinung nicht
Und sprach: wenn Dich der Vorgesetzte
Auch niederschlüge und verletzte
Und prügelte Dich blau und braun,
Und Du Dich solltest dann getrau'n,
Dich anders, als passiv zu
wehren,
lvird Dich das Zuchthaus
rnores lehren! —
0) Mensch, der Du verhandelt wirst,
Sieh zu, daß Du Dich ja nicht irrst,
In der Adresse des Gerichts,
Denn, ach! sonst steh' ich Dir
für nichts! —
von Syvcton habt Ihr gehört,
Der alle Welt damit empört,
Daß er den greisen Kriegsminister
von rückwärts feig und tückisch .
schlug?
Recht plötzlich nun verstorben ist er
Und da verbreitet, flink genug,
Nattonalisten-Preßgesindel
verläumdcrischen Trug und
Schwindel,
Ermordet sei der Syveton
von einem schnöden
Franemagon,
weil er ein peld, ein ganz famoser,
Ein Patriot, ein tadelloser.
Es priesen ihn Lemaitre danit
Und Franz Loppöe als großen Mann!
Die Niedertracht, in fetten Lettern,
Stand auch in deutschen
Centrumsblättern —
Und nun stellt sich bestimmt heraus,
Daß Syveton in» eignen paus
Sich als ein Schweinehund erwiesen
Und mußte Selbstmord
sich erkiesen
Als letztes Rettungsmittel, weil
Das Zuchthaus sonst sein sichrer
Theil!
Ihr Berrn Lemaitre und Loppöe,
Ihr wackeren Nationalisten,
Ihr Mode- und Reklame-Lbristen,
wie fürchterlich seid ihrblärnös!—
E. Wilke
Der Kronprinz von Monaco
Albert (tu einem Oldenburger Herrn): „Du bist der
Würdigste, Du sollst mein Nachfolger werden!"
Das böse deutsche Witzblatt
schafft
Graf Bülow Sorgen, massenhaft.
Ls nennt in gar nicht delikater
Art oft den Kater einen Kater,
Selbst wenn's mit diesem
Vuadruped
Das edle Zarenreich versteht!
wo anders sind die Diplomaten
Nicht so mimosenhaft gerathen,
Und ais in» selben Rußland drüben
Lin Kerl jüngst im „Swiet"
geschrieben,
Daß Deutschlands Schmeichelei
und Lüge
Die Schuld an vielem Unheil trüge.
Im lieben, guten Russenvolk,
pat sicher Fürst Swiatopolk
Den Schuft, der so uns angeflegelt,
Nicht auf gut Russisch maßgereqelt!
Und der Regierung dort im Dsten
Thät's wahrlich blos ein
wöistlein kosten,
Daß er dem Pack das Handwerk
legt,
wo Jeder sonst den Maulkorb
trägt! —
Doch halt: es scheint, daß drüben itzt
Der Maulkorb manchmal lockrer sitzt:
Es bringt auf's herrschende System ja
'neu Angriff die „Nowoje wremja"
von dem Kapitänleutnant K l a d o—
So was war unerhört bis dato!
Der sagt die Wahrheit kühnen
Muthes
Der russischen Marineleitung
Und ihrer Feldzugsvorbereitung,
Und diese Wahrheit ist nichts Gutes!
Man hört, ganz schauderhaft verrotte
Die gar nicht flotte Rnsscnflotte
Und wenn man sich nicht rasch
besinne
Und ganz energisch jetzt beginne,
So käm's zum Siege des Mikado.
Das bringt der brave Leutnant Klado
Dem vaterlande zu Gehör. —
Es heißt, ein hoher Lommandör
Der habe oftmals schon mit flotten
pariser Dämchen und Locotten
Das Geld verputzt, das jenes Land
Für seine Schiffe aufgewandt;
Er heißt — den Namen würg'
ich nieder,
Sonst schimpft der Herr Graf
Bülow wieder!
llerodot
Juristendeutsch und
Juristen recht!
Der oberste Gerichtshof in
Wien erachtete die in Ungarn ge-
schlossene Ehe eines Wieners jüdischer
Neligion mit einer Engländerin an-
glikanischen Bekenntnisses für ungül-
iig, weil das Ehehinderniß der Rc-
ligionSvcrschicdcnheit „den Abgang
des sittlichen Vermögens zur Ehe-
schlietzung" betrisst und „die den
Charakter eines zwingenden Verbots-
Gesetzes tragende Norm" enthält, daß
ein Christ sich mit einem Nichtchristen
nicht verehelichen darf.
Im Allgemeinen aber kann man
wohl sagen, daß bei den Ehen zwi-
schen Christen und Juden meist
nicht das „sittliche Vermögen"
sondern dar konkrete Vermögen
in Frage kommt.
Zur gefl. Beachtung!
Eine unserer nächsten aktuellen
Hei lagen erscheint als
„Das neutrale Witzblatt“,
herausgegeben vom Oberfeuerwerker
Bülow.
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