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1904

JUGEND

Nr. 53

Ich wäre in Berlin nicht zum Klavier gegangen
~~ hier that ich's und spielte, so gut es ging, die
Beethovensonate oxns 90. Hauptmann saß, als ich
geendet, noch eine Weile schweigend da, in jener
Haltung, die ich am schönsten an ihm finde — ich
blickte verstohlen hin und sah ihn so. Die schmale
Nervenhand an seiner mächtigen Stirn, etwas vor-
gebeugt, der blaue Blick im bleichen Antlitz fest und
weich, doch liebevoll, in die Ferne der Schönheit
gerichtet.

Es wurde früh Nacht gemacht. Am nächsten
Tage kamen grohe Spaziergänge, frisch und jung,
>n lebhaften Gesprächen — Hanptmann ist der beste
Wanderer, den ich kenne. Nie ist er so er, so
Mensch, so unbekümmerter Dichter, der dem Freunde
seine Pläne ausdeckt, herrliche Improvisationen oft
von holder Vergänglichkeit. Nur Abends, im Hause,
ermattete er — beschlichen von Sorge und Gram —
er saß am Tisch, uns gegenüber und starrte vor sich
hin. „Dich, abendliche Stunde, lieb' ich nicht...",
sagt Meister Heinrich. Er verlieb uns — nach einer
Weile kam er wieder. Er konnte nicht allein sein.
Angeregter brachte er ein Buch, das er soeben von
der Post erhalten hatte. Es war das neu erschienene
Werk von Henrik Ibsen: John Gabriel Borkman
war es. Nie werde ich vergessen, wie wir in dem
warmen, winterstillen Zimmer sahen und Ibsens
wundersame Gabe lasen. Aus einem anderen Winter
brachte sie uns Grüße. Rauher, wilder, hoffnungs-
loser — die große Klage des Alters. Wir waren
jung.

Vom dritten Tage will ich noch erzählen. Er
brachte die ersehnte Schlittenfahrt. Wir stiegen zu

Dreien, im klaren Mittagslicht, zur neuen schlesi-
schen Baude hinauf, um einen Weg, der Stunden
lang auswärts führt, in einer Viertelstunde abwärts
zu machen. In der Freude aus den Lohn der Schlit-
tenfahrt wurde man des langen Aufstiegs kaum ge-
wahr — er war auch schön genug, am Zackenfall
vorbei, unter dick beschneiten Tannen. Der Höhe
zu veränderte sich die Vegetation. Der Kamm trägt
Knieholz, weite, kurzgewachsene Wälder aufden breiten
Bergrücken. In der einsamen Baude sah es gar nicht
so einsam aus. Die Wirthsleute begrüßten Haupt-
mann als alten Bekannten; die Schlitten wurden
herbeigeschafft. Ich sehe ihn noch mit diesen Män-
nern stehen, lachen, gestikulieren — in seiner Pelz-
mütze, die er über die Ohren gezogen hatte, war er
oft schwer von ihnen zu unterscheiden. Ein neuer
Bauersmann schien unter sie getreten zu sein, mit
seiner schlanken und doch kernigen Gestalt, mit seinem
harten Profil, dem deutschen Holzschnitt ähnlich, ein
lebendiger Dürer.

Brahm fuhr im Hörnerschlitten voraus — ich ließ
mich in meiner hier geweckten Kühnheit von Haupt-
mann überreden, wie er, einen Sportschlitten zu be-
steigen. „Hirschfeld, das ist doch selbstverständlich!"
rief er. Er setzte sich auf das kleine Holzding — im
nächsten Moment war er den abwärts sührenden
Weg entlang verschwunden. Ich hatte das Nach-
sehen. „Selbsterständlich" war die Sache gerade
nicht. Ich kam zum ersten Mal aus einen Sport-
schlitten und mußte eigentlich erst lernen, was man
können mußte. So hatte ich denn zunächst eine arge
Lcidensstrecke zu überstehen. Mein Schlitten kam
immer wieder, ungeschickt gelenkt, vom Wege ab,

und mehrmals wälzte ich mich wie ein vergnügter
Hund im Schnee herum. Nicht ganz so vergnügt
freilich — ich hatte vor Allen: Angst, meinen Schlitten
zu verlieren. Allmählich aber, die „einsame Noth"
— ich begriff, worauf es ankam — lernte das Lenken,
und meine Standhaftigkeit wurde belohnt. Die
längste Strecke fuhr ich besser, zuletzt sogar sehr gut,
und am Zackenfall hatte ich die Freude, in stolzer
Haltung bei Hauptmann zu landen, der dort auf
mich gewartet hatte. Es stand jetzt nämlich noch die
steilste Strecke bevor — vom Zackenfall nach Schreiber-
hau hinunter. Hier wurde es so abschüssig, daß
Ungeübte in Gefahr kamen, sich beim Sturze zu
überschlagen.

Hauptmann übernahm deswegen die Führung.
Er setzte sich auf meinen Schlitten, als Vorder-
mann, ich mußte ihn fest umschlingen und sitzen
bleiben, sitzen bleiben, sitzen bleiben. So ging's
im Sausetempo hinunter. Ein schweres Stück Arbeit
für den Lenker — Hauptmann wurde es leicht. Im
Nu waren wir unten, bei Königs Hotel und wurden
dort von Brahm erwartet. Als ich vom Schlitten
stieg und ihm in meiner Begeisterung schildern wollte,
wie alles gewesen, wie schön, wie neu, wie nach
„mehr" schmeckend — da unterbrach er mich lachend
und zeigte aus meine Nase.

„Sogar verwundet!" rief er.

Ich wußte nicht, wo ich mich aufgeritzt hatte.
Wenn's so hinuntergeht, im Sausetempo, einen
Hauptmann in den Armen, achtet man auf einige
Blutstropfen nicht.

Georg Hirscbkelck

Gerhart Hauxtmann-Plutarch

Von Hrpad Scbmidbammer

Gerhart Hauptmann wurde von einem
Redakteur der „Jugend" gefragt, warum er der
„Jugend" nur ein Gedicht und kein Drama
zur Veröffentlichung überlassen habe?

„Ein Drama??"

„Dös geht den Brahm a'," erwiderte
Hauptmann heiter.

Oskar Blumcnthal meinte lächelnd, cs gäbe
wenigstens einen Menschen, der ihn mit Ger-
hart Hauptmann gleichschätze.

„wer denn?" wurde er gefragt.

„Der Berliner Lensor!"

Siegfried Iakobsohn wurde gefragt, was
er von Gerhart Hauptmann hielte?

„Einen Augenblick! Ich will mal Nach-
sehen!" lautete die sonderbare Antwort.

Leutnant a. D. Bilsc begegnete einem be-
kannten Offizier.

„Ich bin jetzt Schriftsteller," sagte Bilse,
„aber in Livil."

„In Livil werden Sie nie ein Hauptmann
werden," meinte der Offizier sehr richtig.

Eine Gesellschaft von Bohemiens stellte
die Dramen Gerhart Hauptmann» zusammen,

vergaß aber verschiedene Erstlingswerke. „Ger-
hart Hauptmann hat auch ein Stück ,Vor
Sonnenaufgang' geschrieben," meinte ein An-
wesender.

„Nein, ist der aber fleißig!" rief die ganze
Gesellschaft bewundernd.

Ein Arzt klärte Gerhart Hauptmann dar-
über auf, daß das Rrankheirsbild des „armen
Heinrich" total verfehlt sei. — „Der Mann
ist zu ruhig, der jammert zu wenig, viel zu
wenig," meinte der Arzt.

„Damals gab's halt noch keine solchen
Aerztcrechnungen, wie heute," cnrgegnete
Hauptmann.

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Plutarch [Pseud.]: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Arpad Schmidhammer: Illustrationen zum Text "Gerhart Hauptmann-Plutarch"
 
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