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Öroßes 6pitapbium auf Hrmum 1904

Von Kassian Kluibenscbädel, (Tuifel«tnaler

Nunmehr» sank auch dieses arge Jahr voll Hader, Kampf und Streit,
Gestorben an Altersschwäche, in den unendlichen Schlund der langen Ewigkeit.
Ueble Nachrede hinterläßt es leider nur; in allen seinen Monden,

Tage» und Woche»

Hat es nur wenig Gutes verübt, doch desto mehr an

Scheußlichkeit verbrochen!
Ls schwinget in der Mandschurei des Krieges Furie unermüdet ihre Fackel,
Nach diesem bösen Lxempel gab es auch allenthalben kleinere Spektakel.
Der Mutter Kirche wurde ungehorsam Marianne zu aller frommen

Katholiken Jammer,

Injurien regnet es in den meisten Parlamenten, Dhrfeigen in

der französischen Kammer.

Der österreichischen Regierung versöhnungsxolitik hat endlich

es so weit gebracht,

Daß selbst im heiligen Land Tirol es kam zu einer

regelrechten Völkerschlacht,
Indessen der Magyarember voll Vbstruktio», Schwobenhoß und

endlosem Redeschwung

Muß demnächst geben sein ganzes Parlament in

die Mobiliarversicherung.

wohin das Auge schweift, haut man fich kurz und klein, gibt's

Zanken und Skandal —

Kein Wunder, daß bei fothanen Umständen immer mehr

„anechowärts" *) gehet die Moral!
Lin Lichtpunkt nur ist zu verzeichnen in dieser wüsten Fülle von Lrzcß,
Lin Stern am wolkenschweren Weltenhimmel: Der Kölner

Sittlichkeitskongreß!

Denn was sind Dstasiens Armeen gegenüber diesem Heer von

Nuditätenspähern,

Lcntrumspfäfflein, Schnüfflern, Hehkaxlänen, Muckern und Pharisäern!
was bedeuten alle Kriege, die je geworfen unfern

Globus ans dem Geleise,

Gegen den erbitterten Sturnr auf das Port Arthur der

nackten Busen und dekolletierten Steiße 7-

*) Neues,vom„SchwarzenAujust" erfundenes Wort für „rückwärts"!

Der pathologische Jakobsohn

In der „Zukunft" Marimilian Hardens, der selbst
im Abschriftsteller Jakobsohn eine zu Unrecht ge-
knickte Lilie erblickt, bricht nun auch ArthurSchnitz-
ler eine „warme Lanze" für den entgleisten Jüngling,
vr.msck.und prakt.ArztArthur Schnitzler fasst Jnkob-
sohn pathologisch auf und konstatiert (im Gegensätze zu
dem Patienten selbst, der an einer krankhaften Hyper-
trophie des Gedächtnisses leiden will) ein „zeit-
weiliges Versagen der Urtheilskraft aus Grund einer
Psychischen Störung, die als gegensätzlich
zur Hypochondrie" auszufassen ist. Es würden
bei dem armen kranken kleinen Jakobsohn durch jene
Störung „auch die Nächstliegenden Erwägungen
über die höchstwahrscheinltchen Folgen einer inner-
halb des schriftstellerischen Berufes als unerlaubt
geltenden Handlung ausgeschaltct."

Dieser so haarsträubend gelehrt klingende Satz
ist in Wahrheit haarsträubend banal! Wenn in
einem Modcmagazin eine Weltdame einen Spitzen-
shawl unter dem Rock verschwinden läßt, den sie
recht wohl bezahlen könnte oder jedenfalls nicht
nöthig hat, so ist sie ganz im gleichen Fall wie der
Kritikus, der sonst so unmenschlich viel Geist hat
und nur gelegentlich der Krähe seines Genies ein

Paar fremde Federn in den Schwanz steckt. Patho-
logisch ist aber nach Schnitzlers Auffassung Jeder,
der Dinge thut, bei denen er sich nicht erwischen
lassen darf — ob es sich nun um Straßenraub,
Wechseliälschung, Lustmord, Landesverrath, Sadis-
mus, Diebstahl, um ein Plagiat, oder sonst eine
ganz gewöhnliche Schmutzerei handelt! Pathologisch
ist auch sonst noch mancherlei aus dieser Welt. Pa-
thologisch ist ein Publikum, dem es Vergnügen
machen kann, sich jeden Montag von einen! ein
bis dreiundzwanzigjährigen kritischen Wunderknaben
einen unglücklichen Dramatiker am Spiest braten zu
lassen, pathologisch ist dieses frühreife Genie an sich,
das eigenen Geist hat, wenn es schimpfen darf
und abschreibt, wenn es loben muß, und patho-
logisch sind die journalistischen Kopseqnilibristen vom
Schlage Maximilian Hardens, denen der unglaublich
billige Tric, immer der gegentheiligen Meinung zu
sein, die Befriedigung ihres Lebens verschaffen kann!

Inlimes 2vc>iegespräck>

Mehring, der Leipziger: Nu gehnse
mer awer mit den gonservativen Wäche-
lagrern weg, mit den Zendrumsgaunern,
mit den barlementarüch n Strolch von
Gardorsf, mit den nationalmiserableu Ln-
dersch un mit den ganzen Gesindel.

Au just, der Berliner: Nanu, Leip-
ziger, Du bist woll dreejenklietrig? Wat
redst Du da for Kaleika? Da soll doch
jleich 'ne olle Wand wackeln. Wenn De
so wat noch emal sagst, dann kann et
Dich eklich in die Bude regnen. Ick de-
inentiere Dir.

Mehring: Hernse, Se, meiKutester,
da must ich Sie awer doch sehr bitten.

Mir Sachsen sein allecne helle un brau-
chen eich schwarzweisten Breisten ganz un
garnich. Un was die 78 reden, das is,
fuideisei, Gretinismus. Verschtehn Se
mich?

Äujust: Haltet mir, haltet mir, ick
kenne mir vor Wuth »ich. Jetzt kommt
wat Fürchterliches, aber ick must et
sagen, und wenn et Dir ooch zerschmet-
tert! — — Leipziger, Du bist heftig je-
wesen, heftig biste jewesen, nadierlich
nur in die Form, nicht in die Tendenz!!

-So, dem Hab' ick et aber jut je-

ieben •

Die Port Hrtbur-flotte

In einem Kühlen Grunde,

Da liegt ein Dampferrad.

Der Dampfer ist verschwunden
Zu dem's gehöret hat.

Jung Japan hat gesprochen
Mt Pulver und mit Blei.

Die Schraube ist gebrochen,

Der Kessel sprang entzwei.

Lin Schiff liegt auf der Seite,

Das andere sank in's Mer.

Die Flotte, ach. ist pleite,

Die Flotte, stolz und hehr.

Ach, auf die schlechtsten Dschunken
Blick' ich, von Tleid gequält.

Lin Kriegsschiff, das versunken,
Hat den Beruf verfehlt.

.1 Willi

Der Direktor des Münchner Bolkstheaters
hält Goethe-Vorlesungen. Infam, nicht wahr?
Daher schrieb ihm auch der ultramontane Rektor eines
Münchner Gymnasiums, wenn das Goethe'sche Ge-
dicht „Der Gott und die Bajadere" nicht vom
Programm abgesetzt werde, werde er seinen Schülern
den Besuch der Vorlesung verbieten.

Ob er an Stelle dieses frivolen modernen
Schmutzgedichtes ein Kapitel aus Alphons Liguori
in das Programm ausgenommen haben wollte,
wissen wir leider nicht.

Der durch.gebrannte serbische Kronprinz

„Lönigkichs Hoheit, da gehst her! Jetzt fahren wir wieder nach Belgrad I"
„Brauch ich auch keine Geschichtszahlen mehr zu kernen?"

Das Lied von den schwarzen Rusaren

Frei nach Theodor Körner

Was trübt uns im Lande den Sonnenschein?
Hör's näher und näher brausen?

Es zieht sich herunter in düsteren Reih'n
Bist Kläffen und Zetern und Schimpfen und Schret'n
Und füllt uns mit Ekel und Grausen.

Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist des Centrums wüste, verwegene Jagd!

Was schleicht dort im Finstern, die Fäuste geballt,
Bewehrt mit vergifteten Waffen?

Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt

Mit Lug und mit Trug, mit List und Gewalt,

Der Dummheit den Sieg zu verschaffen.

Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt:

Das ist des Centrums, wüste, verwegene Jagd!

Was schwört da: Wir halten zu Kaiser und Reich
Und wollen die Heimath beglücken?

Und hält's doch mit unseren Feinden zugleich
Und fällt, wo es angeht mit tückischem Streich
Alldeutschland mit Lust in den Rücken!

Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt:
Das ist des Centrums wüste, verwegene Jagd!

Was wirft in den Tempel der Wahrheit den Brand.
Erstickt sie in qualmenden Flammen?

Was mordet die Freiheit mit meuchelnder Hand,
Was trampelt die Blüthen der Schönheit im La»d
Mit polternden Hufen zusammen?

Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt:

Das ist des Centrnms wüste, verwegene Jagd!

Das ist der Hetzer verwegene Jagd,
Die gierig nach Herrschaft gelüstet
Und wenn nicht in Bälde ein

Morgen tagst

Ist Deutschland auf lange —

Gott sei cs geklagt!
Verdunkelt, verrathen, ,

verwüstet.

Und von Enkeln zu Enkeln sci's

uachgesggt-

Das war des Centrums wüste,

verwegene Jagd-

llermii"11

Rustland bemüht sich, den Su
dazu zu bewegen, er möge auS^o» •

keitsgriinden der Schwarze» wcc

Flotte die Durchfahrt durch die wa ^
danellen gestatten. Der Sultan «'am!
zwar an, dast Rußlands Grunde b u > -
seien, sie seien ihn, aber zu billig. Da^.
verdoppelte Rustland seine ®". o
Der gut gelaunte Sultan erwiderte• »..
»ein, o »ein, o nein, o nein, >»emo ,-t
man, der must theurer fein.

Rustland bemüht, neue Grunde aut
Wege einer Anleihe aufzubring-"
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Hermann, Herrmann [Ostini]: Das Lied von den schwarzen Husaren
[nicht signierter Beitrag]: Intimes Zwiegespräch
[nicht signierter Beitrag]: Der pathologische Jakobsohn
Kassian Kluibenschädl: Großes Epitaphium auf Annum 1904
Iwan: Die Port Arthur-Flotte
Paul Rieth: Der durchgebrannte serbische Kronprinz
 
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