Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Reinhold-Illax Eichler München)

Sommerluft

Rose sich schmerzhaft zusammen. ... Ich sende cs

Ihnen.Querido.“1)

Schon sinkt der Abend goldroth aus die Mauren-
stadt herab. Schon sammeln sich die „Gilanas" mit
den Rosen im Haar und den goldncn AtlnSschuhc» in
den kleinen Eabarets und Patios, um zu tanzen und
die Zukunft aus den Karten zu weissagen. Die
Alhambra mit den röthlichen Thürmen und bröckeln-
den Festungsmaucrn, deren Linien aus und nieder-
gehen über den Terrassen des purpurn strahlenden
Berges, schläft ein: — es ist die Stunde, in der die
„Rose der Alhambra" weinte, bis die wunderschöne
Mosleminenprinzessin Zorahayda wie ein Seufzer
dem Springquell entstieg und erlöst in die rosenfarbige
Abenddämmerung entfloh, zum Danke für ihre Er-
lösung ihre Silberlaute zurücklassend, deren Klang

alles Herzens Sehnen zu stillen wusfte.-

O diese Laute!-wer sie hätte!-

Wie geht es Ihnen heute? — — — Das leichte
Unwohlsein, das Sie beim Abschied befallen, hat
mich etwas beunruhigt. Sie sagten aber: .Kind,
es ist nichts!'-Sie sagten so Vieles noch..."

Sie hielt inne in ihrem Schreiben: „Sieh da, noch
so spät der Briesbote — was will der mir? Und
hier sucht er mich?-"

Dem alten Briesboten war sie schon wie eine
alte Bekannte; hatte er sie doch auch in srüheren
Jahren in Granada gesehen und ihr damals säst
täglich Briefe aus Madrid gebracht; er schwenkte
daher schon von weitem vertraulich ein Weihes Blatt.

Sie rih es auf....

„Kommen Euer Gnaden, wenn können, Seine
Durchlaucht ist erkrankt. Diener Jean."

„Mein Gott!"

Sie raffte Papier und Feder zusammen und sah
und hörte nichts mehr. Der alte Mann mit dem
allen Romanen eignen Taktgefühl, ahnte, dah sie ein
harter Schlag getroffen. Langsam folgte er ihr,
während sie über Steine und Geröll hinweg in den
Gasthof, den sie bewohnte, zurückeilte.

„Der erste Schnellzug nach Madrid, Portier?"

„La salido ya'"s)

„Um Gotteswillcn! Der nächste?"

„8ale por la nochel“3)

>) Querido „Lieber", ein in Spanten häufig gebrauchtes
Wort.

-) „Ist schon abgefahren."

>) „Fährt des Nachts."

„Gut, ich fahre heule noch!"

... Ziellos irrte sie bis zum Abgang des Zuges:
endlich sah sie im Waggon. Dunkel flogen die
Ebenen an ihr vorüber... „Cordova! — eine Stunde
Aufenthalt!" — Eine lange bange Nacht entsetzlicher
Unrast! ... der Morgen ... der Mittag . . . und
endlich ... „Madrid!"

„Tiene la Sefiora haules?“1)

„Nein!... ja doch! Hier mein Gepäckschein und
meine Adresse!"

Sie springt in eine Droschke und nimmt nur
die kleine Handtasche mit.

Ja, was will sie denn dorten eigentlich? Sie,
die Fremde, was ist sie ihm denn? Hat sie ein
Recht an diesen Mann, an sein Haus, an sein Heim
durch ihre Liebe gewonnen?

„Parase Cocherol“3)

. . . An einer Straßenecke steigt sie aus und ent-
läßt den Kutscher. Ihre Aufregung und Unruhe fällt
den Vorübergehenden aus: man schaut sich lächelnd
nach ihr um. Mit jedem Schritt wächst ihre Angst.
Was thun? Durch die Thoreinsahrt in die Portier-
loge eindringen und nach dem Herzog fragen? Den
wohlgenährten, streng seines Amtes ivaltenden Por-
tier mißtrauisch lächeln sehen? Sich selber und den
Mann, den sie liebt, in den Augen seiner Familie
herabsetzen? Nein, unmöglich! ... Bebend steht
sie vor dem großen Haus mit dem steinernen
Wappenschild, das über dem Portal von zwei Löwen

gehalten wird-und wagt keinen Schritt mehr.

--„Konventionen! Konventionen!" — auch

da noch, tvo das Herz die Neä>te der Natur mit
Diktatorstimme proklamiert!!... Blitzschnell zieht
Vergangenes an ihr vorüber, wie sie überzart dem
Leben gegcnübergeftanden und einem ungeliebten
Gatten/ der sie wir eine Taube in rauher Hand zer-
drückt haben würde, wäre nicht „der Andere" in ihr
Leben getreten. Er hatte sie wie eine Blume ge-
hütet, hatte ihre Schtväche mit seiner Kraft geschirmt,
ihre Verzagtheit mit seiner Thatkratt gedeckt, die so
viel Jüngere durch den Reichthum seines Geistes
erquickt.

Von einer neuen Ehe war nie zwischen ihnen die
Rede gewesen; nie hätte sie in seinen Pflichtenkreis,
in seine Familie mit herrischer Hand greifen wollen.
Er gehörte seiner grohen Gelehrtcnansgabe an,

>) „Hat die Senora Gepäck?"

»)„Halt! Kutschcr."

seinen Kindern und seiner Frau, jener ruhigen,
kalten, die sich von seiner begeisterten Seele schon
bei dem ersten Händedruck hochsahrend abgewandt
und das reiche Leben und Wirken nicht begriff, das
sich an ihrer Seite entfaltete. Sie stand wohl auch
heute wieder mit dem schlicht gescheitelten schwarzen
Haar und der korrekten Haltung am Krankenlager
und waltete ihres Amtes, wie es die äußeren Rück-
sichten verlangten. ...

Konventionen! ... Nichts als Konventionen!...

Die junge Frau wandte sich ab von dem großen
Hause mit dem hohen Portal, das starr und stolz
vor ihr verschlossen blieb. Müde schleppte sie sich
durch die Straßen, bis zu ihrem Hause. Wenige
Schritte davor blieb sie stehen und zuckte zusammen...
Wer ging da vor ihr her? War das nicht sein
Diener, der alte Jean?

„Jean, wohin gehen Sie?"

„Ach, Euer Gnaden sind es! Gott sei Dank, der
gnädige Herr Herzog fragt jede Stunde nach der
Frau Baronin. Seit zwei Tagen gehe ich nur
immerfort zwischen dem Palais und der Wohnung
hier hin und her."

„Wie steht es, Jean? Sagen Sie mir die Wahrheit!"

Der stramme, wohlerzogene Diener wußte, aus
der Straße sei Schweigen geboten.

„Ich habe einen Brief," sagte er ausweichend.

„Geben Sie her! " und sie flog durch's Hausthor
die Stiege hinauf. ..

„Meine goldene Liebe! Es geht mit mir zu Ende.
Meine alternden Kräfte überwinden's nicht mehr.
.Hatten wir nun nicht recht, daß wir uns das Beste
im Leben vorweg nahmen, weil es eben das Beste,
das Einzige war? Aus dem vollen Leben heraus
die Blüthe, die für uns blühte, ungeachtet des Weh
und Ach und all des Geschreis derer vom „jenseitigen
User" und — auch trotz der Verzagtheit Deiner un-
schuldigen Seele. Sollte Dein schönes Haupt wirk-
lich eivig unter dem Schleier der Entsagung ver-
graben bleiben, Deine Augen erblinden in der
Dunkelheit, che sic noch das Licht gekannt, und von
all dem Glanz, den sie ausstrahlen, nicht eine» Schein
in mein einsames Leben werfen und mid) heißen
Gutes und Nützliches zn vollbringen? . -. Jede
Stunde habe ick, aus Deine Wiederkehr geharrt —
ich wußte, Du würdest kommen und nun steigt in
mir der gewaltige Wunsch auf, der ohne jede Hilfe
ist — Dich zu sehen! - Oder fändest Du ei» letztes
Index
Reinhold Max Eichler: Sommerluft
 
Annotationen