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Nr. 34

JUGEND

1905

Der Frie-enspapst

Der zehnte Pius — das ist wahr! —

Ist ein Friedensxaxst, wie Reiner war.

Er lächelt milde und sanft und spricht:
wir sind aus keinen Streit erpicht.

Italien hat Uns sehr gekränkt.

lvir wollen, daß Niemand mehr dran denkt.

Das lvahlenthaltungs-Schmollen ist
Lin Unsinn, wähle, katholischer Lhrist!

wähl' immer, bis Du einmal regierst
Und so ein zweites „Lentrum“ wirst.

Dann schnürst Du friedlich und voller Ruh
Dem bösen Staate die Rehle zu.

Der Vatikan, wenn es Gott so fügt,

Nimmt gern wieder Alles, was er kriegt.

Denn merke, was Dein Vater spricht:

Nur Alles mit Frieden! Und ohne Verzicht!

A. I». JI,

*

Die jwei Wege

Ein Soldat möchte sich wegen erlittener Uliß-
handlungen über seinen Unteroffizier beschweren,
getraut sich dessen aber nicht recht. „Na," meint
ein Kamerad, „wenn Du Dich nicht regelrecht be-
schweren willst, die Mißhandlungen aber doch an's
Tageslicht kommen sollen, mußt Du einfach
Selbstmord begehen!"

Homunculus in Siebt

Wie? Las ich recht? Ist nicht mein

Blick umflort

Dom pfirsichsüßtrank, den ich gestern schlürfte
Und dessen Dunst mir noch im Kopf rumort?
Wär's möglich, daß man's ernsthaft

glauben dürfte?

„Tin Forscher" — steht da unter

„Wissenschaft" —
Hat toten Leim mit Radium behandelt
Und ihn durch dieser

Räthselstrahlen Kraft
In lebende Materie umgewandelt!

D Geistesgroßthat! Heil'gen Schauders voll,
Den solche Worte wach im Geiste riesen,
Schaut nun der Denker, schier ekstatisch toll.
In wahrhaft ungeheure Perspektiven:

Denn ist's auch erst die nackte Zelle nur,
Sind's schleimige Moneren ohne Kerne,
Was da entsteht — schon deutet eine Spur
Auf neue Schöpfungsmittel in der Ferne!

Bald gründen Zellen einen Zellverein
Und ordnen sich zu kugeliger Blase,
Dieselbe stülpt sich zur Gasträa ein,

Des ersten Darmthiers ahnungsvoller Phase.
Dann kommt des niedern Wurmes Stadium,

Aus ihm — beeinflußt stets vom Werderuse
Der Zauberkräfte in dem Radium —
entwickelt sich des Amphioxus Stufe.

Ls kommt zum Wirbelthier, zum Zisch,

zum Lurch —

Das find dem Forscher künftig doch

Lappalien! —

Und durch des Schnabelthieres Zustand durch
Das Lier legt, zu richtigen Mammalicn;
Und — Fauste, Fauste, stehste wohl?!

— Zum Schluß

Entriegelt sich der Schöpfung letzte Pforte:
Der Affe hüpft, der Pithekanthropus,

Ls springt der Mensch aus gläserner

Retorte

Entvölkert wird dann künftig nie ein Staat
Wie Frankreich dasteh'n mit betrübten

Mienen —

Lr fabriziert sich, was er nöthig hat
An Menschen dann, in eignen Dffizinen!
Die Zukunftsweiber, die es müde find,

Sich mit dem Zwang der Kuhnatur zu plagen,
Die werden aus der Droguerie ihr Kind
Sich dann im Ridikül nach Hause tragen!

Und welch ein Segen für die Sittlichkeit!
Für jene Frommen, die es stets verdrossen.
Daß auch sie selber — sboking! — feiner Zeit
Der Sinnenlust gemeinem Trieb entsprossen.
Die um der Liebe goldnes Kalb getanzt
Lrröthend nur und, gegen alle Reigung,
Aus purem Pflichtgefühl sich fortgepflanzt
Rach der bisher beliebten Art von Zeugung!

Rein wird die Menschheit dann! Sie

wird sich auch

In puncto puncti scheiden von den Thieren,
Ls wird sich sanft durch Mangel an Gebrauch
Der Unterschied vom Weib und

Mann verlieren!

Dann wird gewiß der strengste Moralist
Richts mehr entdecken, was ihn reizt,

zu zetern —

Ich selber bin ja wohl zu dieser Frist
versammelt — hoffentlich! — zu

meinen Vätern!

Biedermeier mit ei

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Index
[nicht signierter Beitrag]: Die zwei Wege
A. D. N.: Der Friedenspapst
Biedermeier mit ei: Homunculus in Sicht
Arpad Schmidhammer: Die Trennung des Staates und der Kirche
 
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