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Nr. 40

JUGEND

1905

Das Festfpiek

burleske von .Harl fittlinger

Süden von Europa, zwischen dein inittel-
-oÄ ländischen Meer und der Nordsee, liegt irgend-
wo das Fürstenthum Blitzcnfels.

Ls wird begrenzt im Msten von dem Schlöffe
des Fürsten, im Westen von einer großen wiese,
im Norden von einem Aussichtsthurm und im
Süden von dem Tröppclbach, einem Slroine, dessen
Schiffbarmachung bis jetzt hauptsächlich daran
scheiterte, daß er im Sommer austrocknet.

Ist das Fürstenthum auch nicht übermäßig
groß, so ist doch das Gerücht übertrieben, der
Fürst verwüste, wenn er über einen Stein stolpere,
mit der Nase den Acker eines Nachbarstaates.
Dieses Gerücht war vielmehr der Ausfluß einer
Bosheit über des Fürsten nicht ganz proportion-
ierte Nase, die er hoch erhaben trug über vier-
tansenddreihuudertviernndsechzig Unterthaneu, wo-
bei der fürstliche Viehbestand nicht eingerechnet ist.

Die Kultur hat eine lange Zunge und so hatte
sic denn auch das Fürsteuthum Blitzeufels beleckt.
Der Fürst war eifrig um das wohi seiner Unter-
thanen besorgt und führte alle neuen Erfindungen,
»och ehe ihre Unbrauchbarkeit sich jeweils heraus-
gestellt hatte, in seinem Lande ein. wenn man
dem Berichte des Blitzenfelser Staatsanzeigers
glauben darf — und weshalb sollte man das
nicht? — so gab der Fürst nur deshalb seinem
Licblingsdackel einen pfirsichkcrn zu fressen, »in
die Verwendbarkeit der X-Strahlen zu erproben.

Im Jahre herrschte im Staate Blitzenfcls
große Aufregung.

Iährte sich dach am j- April zum hundertsten
Male der große Tag, an dem des Fürsten hoch-
seliger Vater den edlen Blitzcnfclscrn „in An-
betracht ihrer guten Führung und erprobten
Treue" eine Verfassung gab.

wenn auch diese Verfassung im großen
Ganzen nur darin bestand, daß ein stehendes
Peer von sechsunddrcißig Manu gebildet und
die Steuern um dreißig Prozent heraufgesetzt
wurden, so war doch der t- April yyon ein
Fest- und Ehrentag, zn dem sogar eine aus-
wärtige Zeitung einen Spezialberichtcrstatter
entsandt hatte.

Eine besondere weihe aber er-
hielt das Fest dadurch, daß der Fürst
ein Preisausschreiben für ein vater-
ländisches Festspiel erlassen hatte.

Der erste Preis bestand in drei-
hundert Mark baar, dem Blitzenfelser
Mrden für Kunst und Wissenschaft
und vierzig Zentnern Rohkartoffeln.

Dafür ging das preisgekrönte Stück
mit allen Rechten, auch dem der
Ueberietzung in fremde Sprachen, in
den Lefitz des fürstlichen Archive?
über. Den Verfassern war hinsicht-
lich der Wahl des Stoffes größte
Freiheit gelassen worden, nur mußte
Fürst Vtiokar von Blitzenfels-Tröp-
pclbach, feine erlauchte Gemahlin,
sowie beider Lieblingshnnd Karo
darin Vorkommen. Das Prcisrichler-
amt hatten der Fürst, der pofstall-
meister, der vofpredigcr und der
Redakteur des Blitzenfelser Staats-
anzeigcrs übernommen. So waren
denn die Auspizien die denkbar besten,
und es läßt sich begreifen, daß in
Blitzeufels und dessen näheren Um-
gebung auf allen Scheune» und pcu-
böden eine fieberhafte literarische
Thätigkeit begann.

Ls lebte aber damals in Berlin
ein gemeiner Mensch sozialdemokrat-
ischen Gemüthes mit Name» Alfred
Meyer, dem auch — Gott weiß
durch welchen Zufall — das Preis-
ausschreiben zu Gesicht kam. Und

da er von Beruf Schriftsteller war und infolge-
dessen bittere Noth litt, so beschloß er, sich auch
an dem Wettbewerb zn betheiligen und um den
Fürsten, seine erlauchte Gemahlin, und beider
Lieblingshnnd herum ein vaterländisches Festspiel
zu schreiben. Aber so boshaft war dieser Mensch,
daß er kein ernstes Stück schrieb, sondern ein
satirisches Drama, in welchem alle Nasenlänge
hurrah geschrieen wurde und alle Anekdoten vor-
kamc», die die pistoriker je nach ihrem Geburts-
ort deui Kaiser Joseph, dem Kaiser Friedrich oder
Napoleon dem Ersten zuschreiben. Dieses Drama
las er zn nächtlicher Stunde einer Anzahl gleich-
gesinnter Genossen vor, die davon so entzückt waren,
daß sie durch eine sofort veranstaltete Sammlung
den für die Frankatur erforderlichen Betrag ge-
meinsam aufbrachten.

pätte der Fürst geahnt, welche Arbeit er sich
durch den Erlaß des Preisausschreibens auferlegte,
er hätte nie und nimmer den Aufruf in die Welt
hinausgogeben, sondern sich damit begnügt, irgend
ein klassisches Drama durch seinen Pofprediger für
den gedachten Zweck umarbeiten zu lassen. Aber
nun war es zu spät. Nicht weniger als 72 Dramen
waren eingclaufen, jedes in einer anderen Mrtho-
graphie, von denen jedoch nur zwei in den engeren
Wettbewerb kamen. Das Eine hieß „Die Schlacht
beini Blitzeufels oder das goldene Fürstenherz"
und hatte zum Verfasser Peter Bakel, Schulmeister
zu Klcinkrotzenbach im Fürstenthum Blitzenfcls.
Das mindere hieß „tvttokar, Fürst von Blitzeufels,
oder der sichtbare Finger Gottes" und war ver-
faßt von Alfred Meyer, Berlin im Königreich
Preußen, Nollendorfplatz ZS2 Hinterhaus IV,
Lange tobte der Kampf. Aber da der Pofprediger
den „sichtbaren Finger Gottes" für außerordentlich
wirkungsvoll hielt und der pofstallmcister darauf
hinwies, welch guten Eindruck die Prämierung
eines Berliners auf Preußen machen würde, ging
Alfred Meyer als Sieger aus dem Wettbewerb
hervor.

Und das Stück wurde aufgeführt. Der fürst-
liche poforganist hatte die Chöre komponiert, der
Flurschütz der Residenz hatte der Theaterleitung
seinen Säbel als Requisit zur Verfügung gestellt
und die Jungfrau des Fürsteuthums hatte sich
bereit erklärt, die Rolle der erlauchten Fürstin zu
spielen.

Der Zuschanerraum war am Tage der Pre-
miöre so gestopft, wie eine Gans um Martini.

BilDniß Franz Xaver Pipers

Auf einem Podium in der Mitte des Saaies
standen zwei Stühle, die sich der hohen Ehre cr-
frenen dürften, von der Kehrseite des durchlaucht-
igen perrn Fürsten und seiner Gemahlin gedrückt
zu werden, welcher Paushofmeister hätte diese
Stühle nicht beneidet?

Auf ein dreimaliges Klingelzeichen theilte sich
der Vorhang, und der Sprecher des Prologs trat
hervor. Er redete von der Güte der Fürsten im
allgemeinen und der des Blitzenfcls'schen Stammes
im Besonderen, erwähnte eine Sonne, die sich
auf Wonne reimte, eine Gnade, die sich auf
Kanonade reimte, und ließ am Schluß ohne
jede sichtbare Ursache den Fürsten hochlcben. Der
Mann erhielt später das verdienstkrcnz und starb
kurze Zeit darauf am Größenwahn. Nach einer
kurzen Pause, in der frisch angestoche» wurde,
begann das eigentliche Festspiel.

Ein „Ah" des Entzückens erscholl, als sich der
Vorhang hob. Die Bühne stellte eine wiese dar,
auf der ein Schäfer sich einsam weidete. Auf
einer Schalmei blies er die Blitzcnfels'sche National-
hymne in ?-äur. Dreimal mußte er sieblasen,
che sich das begeisterte Publikum beruhigte. Dann
behauptete der Schäfer, er fei ein Schäfer, was
bisher noch Niemand bezweifelt hatte. Jeden
Tag hüte er seine Schafe, aber in letzter Zeit ver-
wüste iinmer ein Bär seine pcrd», theils indem
er dieselbe fresse, theils indem er sie von der
weide verjage. Dieser Bär sei eben gerade so
mächtig, wie der Bär im Wappen des Fürsten
von Blitzeufels, der infolgedessen dreimal hochlebcn
solle, pieranf trat der Chor auf und sang das
fchöne Lied: „Nun danket alle Gott," das wieder-
holt werden mußte. Dann ging er wieder ab,
was immer das Schönste an cineni Chor ist, be-
sonders in einem vaterländischen Festspiel, von
nun ab wurde die Handlung etwas verwickelt:
erst kam der Fürst von Blitzenfcls mit dem vom
Flurschützc» ausgeliehenen Säbel, behauptete, sein
Geschlecht sei noch nicht erloschen — worüber
einige Pos-Damen bcistimmend errötheten — rief
dreimal porridoh und ging wieder ab. Dann
kam ein Bär, sang ein Lied mit dem Refrain:
Und wer nicht liebt das Fürstenpaar,

Den frcß' ich auf mit paut und paar.

Dabei vergoß der Fürst Thränen der Rührung,
seine Gemahlin weinte zwei battistene und ein
halbseidenes Taschentuch mit äjour-Besatz windel-
weich und das Volk behauptete
einstimmig, so ein Viech sei noch
nicht dagewescn. (womit es na-
türlich den Bären meinte.)
Dann kam eine Denkmalsent-
hüllung, und dann tödtete der
Fürst von Blitzeufels eigen-
händig mit seinem punde Karo
den Bären, der sich nach seinem
Tode mit dem Rufe „es lebe
der Fürst von Blitzeufels!" in
eine Jungfrau verwandelte, die
der Fürst heirathete. Der Schäfer
verwandelte sich darauf in einen
Eremiten, segnete den Bund in
fünffüßigen Jamben und sang
mir dem herbcieilendcn Land-
volk den Schlußchor.

Donnernder Beifall erscholl.
Immer und immer wieder muß-
te» sich die Mitwirkenden ver-
beugen, der Fürst hielt eine
Ansprache an die Träger der
Uauptrollen und bestellte sogar
die Jungfrau für Abends in
das Schloß.

-Im Cafö westminster

unter den Linden saßen aber zur
selben Stunde fünf Menschen,
die eine Flasche Sekt nach der
anderen leerten und einen der-
artigen pöllenradau voll führte»,
daß sie entfernt werden muß-
K. Pfeiffer teil. Und am nächsten Tage
Register
Richard Pfeiffer: Bildniß Franz Xaver Pipers
Karl Ettlinger: Das Festspiel
 
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