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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 10.1905, Band 2 (Nr. 27-52)

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Offener Brief an die Slftlichkelts*
leufe in Magdeburg

Von Dr. ßelene Stacker (Berlin)

Aufrichtig bcbaure ich, baß ich nicht dort anwesend
sein konnte. Aber gerade zu der Zeit, wo Sie über
„Mutterschutz und neue Moral", die „Jugend" und
ihre freiheitliche, aufklärende Tendenz Ihre „christlichen"
Flüche regnen ließen, bcricthen wir in Berlin über eine
„Reform der Ehe", deren segensreiche Wirksamkeit uns
nicht weniger am Herzen liegt, als Ihnen.

Freilich: so leicht wie Sie haben wir es nicht.

Die unsäglich komplizierten Fragen des sexuellen Le-
bens, an deren Lösung sich die besten Geister ver-
gebens abmühen, — wie beneidenswerth einfach sind
sie für Sie! Sie predigen Entsagung bis zum dreiß-
igsten Jahre, sie nehmen die heutige Form der Ehe
»ach Batcrrecht als absolute, ideale Institution —
und nun haben Sie die sicherste Handhabe, wie man
die Menschen in „sittliche" und „unsittliche" ein-
theilen kann.

Wie gesagt, Sie sind zu beneiden. Nur eins macht
niich stutzig: das Verurthcilen zur „Nnsittlichkeit" scheint
Ihnen das stärkere Bedürfniß zu sein! Unser Be-
mühen, an der Vertiefung der konventionellen Sittlich-
keit zu arbeiten, wie der „Bund für Mutterschutz" und
dessen Zeitschrift „Zur Reform der sexuellen Ethik"
sich zum Ziel setzen, wurde von Ihnen mit Schmähungen
empfangen, die — wen» man auch auf manches ge-
faßt sein mochte — doch die kühnste Phantasie über-
trafcu. Man könnte übergehen, mit welch perfider
Verdächtigung Ihr Organ den Namen der weiblichen
Mitarbeiter das Wort „Frau" in Anführungsstrichcn
mitgab — solche Heldenthatcn mögen Sie vor sich
selber verantworten. Aber daß Sie mit Bezeichnungen
lvie: „schamlose Dirnenmoral," „widerlich" und „ge-
mein," „freche Lästerung" u. dgl. nicht kargten, —
auf Darlegungen hin, die das dauernde Zusammen-
leben, die Dreieinigkeit von Vater, Mutter und Kindern
als das höchste Ideal betonten, — die in den andern
Forinen sexueller Beziehungen nur eine traurige Un-
zulänglichkeit des Lebens erkannten, die wir mildern
müßten, — das verdient immerhin, einer breiteren
Oesfentlichkcit bekannt zu werden. Wir machten da-
rauf aufmerksam, daß die Ehe als solche aus unsitt-
lichen Menschen noch keine sittlichen mache, — daß
umgekehrt nicht jede uneheliche Mutterschaft das Zeichen
tiefster Gesunkcnhcit sei, — sondern daß
jede Ehe, jedes LicbcSverhältniß genau so
sittlich oder so unsittlich sei, wie die Men-
schen, die diese Ehe oder dieses Bcchältniß
habe».

Und was machten Sie und Ihre christ-
lichen Jungfrauen-Bercine daraus? Daß
wir jede Uneheliche als solche hoch über
die Ehefrau stellten! O ja, gewiß, es mag
Fälle genug geben, wo eine uneheliche
Mutter tausendmal höher steht, als eine
von sittlicher Entrüstung überfließende, „ehr-
bare, christliche Ehefrau"!

Die Scheiterhaufen sind noch nicht ab-
geschafft — dank Ihnen — nur sind sie in
die modernere Forin der giftigen, brennenden
Verleumdung verwandelt worden. Die
menschliche Natur scheint sich seit Jesu Tagen
nicht sehr verändert zu haben — noch immer
klingt das: „Kreuziget ihn!" der Pharisäer.

Sie haben das „Chriftenthum" in Erb-
pacht; aber wo ist Christi Geist?? Keinen
Stein auf die Ehebrecherin zu werfen —
dies Gebot gilt wohl nicht für Sie? Aber
vielleicht sind Sie alle untadelig und ohne
Sünde?

Immer nach dem Buchstaben, nie nach
dem Geist zu urtheilen — diese Ihre sitt-
liche Unfreiheit ist es, die unüberbrückbare
Gegensätze zwischen uns schafft. Ihre
„Sittlichkeit" ist, — wie in rohen, barbar-
ischen Zeiten, — eine starre, rachsüchtige Gott-
heit, der noch immer unerhörte Opfer fallen
müssen. Uns scheint sie am vollkommensten in
dem Geist der Liebe verkörpert. Ihnen
ist „Sittlichkeit" sklavische Unterwerfung
unter alte, oft sinnlos gewordene Gebote; ..kiloctz

UGEND

u s ist sie die Einheit von Leben und Lehre, die Ueber-
einftimmung der eigene», höchsten Ideale mit dem eigenen
Handeln. Sie suchen die Tugend in der Verneinung;
wir sehen sie in der Bejahung des Lebens und aller
seiner lebcnfördernden Kräfte. Sie haben ein böses Ge-
wissen, wo wir längst Frieden und Freude kennen. Sie
erblicken Schmutz und Unreinheit in der göttlichen Nackt-
heit der Venus von Milo, wo sich uns Harmonie und
Schönheit offenbart. So unendlich viel reine Freude
des Lebens geht Ihnen verloren, daß wir Sie einfach
bedauern müßten — wäre nicht zugleich Ihre Be-
schränktheit mit so gewaltthätigcr Herrschsucht verbunden.
Wo Sie sich quälen, sollen auch andere sich nicht freuen
dürfen: alle sollen mit diesem bösen Blick in die Welt sehen.

Ihren Zweck zu erreichen, ist Ihnen jedes Mittel
recht: das Gebot, nicht falsch Zeugniß zu reden, küm-
mert Sie nicht. Zu der Zeit, als Sic sich über die
Derbheit der Witzblätter entrüsteten, weil sie Ihnen
galt, konnten Sie sich nicht genug thun in Beschimpf-
ungen, die ja nur uns, uns „Andersdenkende" trafen!
Sie legten uns Worte in den Mund, die wir nie ge-
sprochen — aher im Kampfe gegen die „Unsittlichkcit"
scheinen Ihnen wohl auch unsittliche Mittel erlaubt??

Sehr eigenthümlich ist auch die „doppelte Moral"
eines Vorkämpfers gegen die unsittliche Literatur, der
als Bücherliebhaber in einem für Bücherfreunde be-
stimmten Blatte auf sehr bedenkliche Werke aus früh-
eren Jahrhunderten liebevoll aufmerksam macht, —
und damit ein Seitenstück zu der Obscönitätensanun-
lung des Herrn Roeren gibt. — So ist keine Ge-
meinschaft mit Ihnen möglich — obwohl auch wir
den Kampf gegen die Schundliteratur, gegen schmutzige
Postkarten, gegen Hintertreppen- und Colportagcromanc
zu den Dingen rechnen, die zu einer Reform der se-
xuellen Ethik gehören. Aber was soll man zu einer
Auffassung sagen, die Macterliuck's „Monna Banna"
„unsittlich" nennt, die in der Goethevcrchrung eine
Gefahr erblickt? Ihr Ziel ist eben Unterdrückung —
und wir glauben an eine wahrhafte Veredlung nur
durch Freiheit. „Ueber's Niederträchtige Niemand sich
beklage; denn es ist das Mächtige, was man Dir auch
sage," hat einer der Ganz-Großen gesagt, dessen Ver-
ehrung Ihnen als eine Gefahr gilt.

Aber wenn es auch das „Mächtige" ist, — wenn
Sie uns einstweilen überlegen sein mögen — an Zahl,
— und noch mehr an Skrupellosigkeit — dennoch müssen
wir Ihre Herrschaft bekämpfe»: um derer willen, deren
Seelen Sie in düsterer Gefangenschaft halten lvolleu.

Kaxrlsche Landschaft *

mehr Dakkerschwar; in die Mokste, dann Kkappt«!"

Freilich, wir, die wir nicht so klipp und klar die
Menschen in Engel oder Teufel scheiden, sie nicht ei»
fach in den Himmel erheben oder in die Hölle per
dämmen können, die wir nach der letzten Wahrheit,
Schönheit, Sittlichkeit immer noch suchen — die wir
dieses Ringen und Suchen sogar für das dem Menschen
zugemessene Thcil halten— Ihnen gegenüber, die noch
heute mit gutem Gewissen Andersdenkende verbrenne»,
werden wir scheinbar im Nachtheil sein. Aber trotzdem!
Unser Kampf um edlere, würdigere Geschlcchtsvcrhült
niste, um eine Vertiefung der Liebe, um eine inimer
innigere Einheit zwischen Seele und Sinnen, um eine
„Ehe" im höchsten Sinne des Wortes wird nicht mehr
ruhen. Er ist nicht an die Zufälligkeit der einzelnen
Kämpfer gebunden. Er stammt aus den tiefsten Be-
dürfnissen der nicnschlichcn Natur — die sich den
Himmel, de» sie vordem über den Wolken dichtete,
nun hier schaffen muß, — die erkannt hat, daß da«
Himmelreich in uns ist.

Nietzsche, der Ihnen ja auch als sittliches Unge
heuer gilt, weil er wie jeder Prophet, die erstarrten
Formen der Sittlichkeit zertrümmerte, um Raunt für
Neues zu schaffen, hat unserm Streben das Ziel ge
steckt: „Nicht nur fort Euch zu pflanzen, sondern hin-
auf — dazu diene Euch der Garten der Ehe!" Be
rcicherung des Einzelnen, Veredlung der Raffe —
damit haben wir einen besseren Maßstab sittliche»
Handelns als Sie mit Ihrem pharisäerhaften Richten
und Verdammen!

kleine Gespräche

Der i» Paris lebende deutsche Maler Felir
Lorchardt hat den Kaiser für den „Figaro
Illustr^“ gemalt und zwar als Freilichtporträt,
bekanntlich eine der Rinnsteinkunst entsprossene
Technik.

„Mic kamen Sie zu diesem Magnih?" wurde
der Künstler gefragt.

„Als ich den Kaiser um eine Sitzung bat, er-
widerte er: .Freilich!' In meiner Aufregung
verstand ich .Freilicht' und das Unglück war
fertig." _,

Ein junges Mädchen sollte in's Kloster gehen.
Auf den Knieen beschwor sic ihre Eltern, von
diesem Plane abzustehen. „Ich will ja gerne das
Keuschheitsgelübde ablegen, nur schlicht
mich nicht von der Melt ab!"

Lange blieben die Elternherzen ver
stockt, bis zuletzt der Vater sprach:
Gut I In's Kloster brauchst Du nicht I
Mir haben's »ns überlegt: „Du wirst
zum „Berliner Theater" despei ru
Ferdinand Bonn gehen!"

frösch kein

In seinem Sumpf ein Fröschlein säst,
Thät Bess'reS nicht verlangen;

Da kam durch's schone grüne Gras
Ein frommes Schaf gegangen.

Das sprach: „Ach,armes Fröschlein komm,
Daß Du mir nicht verderbest,

Im grünen Grase wandle fromm,

Daß Du den Himmel erbest!"

Doch jenes drauf: „Das gilt mir gleich !

Als Frosch bin ich geboren I
Und kommt das Schaf ins Himmelreich,
Geht'S Fröschlein nit verloren!"

Veinßard (DokKer

Aus Rußland

„Ihr Herr Bruder ist also zum
Polizeipräsidenten ernannt wor-
den?"

„Jawohl, gestern war sein Begräb-

niß."

8ooa
Register
Reinhard Volker: Fröschlein
[nicht signierter Beitrag]: Kleine Gespräche
Helene Stöcker: Offener Brief an die Sittlichkeitsleute in Magdeburg
Monogrammist Frosch: Bayrische Landschaft
[nicht signierter Beitrag]: Aus Rußland
 
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