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Zweitens: Die schwarzen und die heitern
Loose! In Deutschland haben überhaupt nur
schwarze Loose im Schoße zu ruhen.

Drittens: Loose! Ist das Lotteriespiel nicht
an sich etwas Unsittliches?

Aber es kommt noch besser! wenige Zeilen
später heißt es: „vom Mädchen reißt sich stolz der
Knabe." Ich bitte Sie, hohes Kultusministerium,
in welcher Situation müssen sich die Beiden be-
funden haben, wenn sich stolz der Knabe vom
Mädchen losreißt. Liegt hier nicht der ckolus sveri-
tualis vor? — Die nächsten Verse übergehe ich
ganz. Sie können sie selbst Nachlesen; sie stehen
im Lesebuch Seite zvz; das heißt, bei meinem
Sohne nicht, da ich sie herausgerissen habe.

Abschnitt neun:

„Die Blume verblüht,

Die Frucht muß treiben (!!!)

Da ist es wahrlich dringend wünschenswerth,
oaß der „Mann hinaus muß." Aber was muß
er draußen? Er muß
erlisten, erraffen,

Muß wetten und wagen.

Also schon wieder das Lotteriespiel! Es ist
empörend! was sagen Sie ferner dazu, daß im
Abschnitt zwölf eine

freie Tochter der Natur (!)

'vorkommt, eine gewisse H i m in e ls kraft, ge-
borene Feuersmacht, wenn ich nicht irre.

Lin ganz ordinärer Straßenjargon offenbart
sich ferner in der Zeile

„Der die Flamme brausend sucht."

Als ob nicht jeder Gymnasiast wüßte, was
man unter einer „Flamme" versteht. Auch „wilder
Stürme rauhes Bette" ist sehr bedenklich.

Ganz gräßlich aber ist wieder die Stelle
„Er zählt die Häupter seiner Lieben."

was für ein Lheleben muß der „Vater mit
stolzem Blick" geführt haben, wenn er erst die
Häupter seiner Lieben nachzählen muß!

Nicht einmal die Schilderung der Beerdigung
ist frei von Anstößigkeiten.

Ach, es ist die treue Mutter,

Die der schwarze Fürst der Schatten
lvegführtaus dem Arm des Gatten.

Der Tod scheint ja die teure Gattin in einem
:echt heiklen Augenblick überrascht zu haben I
Und was thut der trostlose Gatte?

An verwaister Stätte schalten
wird die Fremde, liebeleer.

Ist diese Fremde vielleicht mit der oben er-
wähnten „freien Tochter der Natur" identisch?

Ich glaube, diese Proben genügen. Ich hege
das feste vertrauen, daß das hohe Kultusmini-
sterium meinen Antrag gütigst berücksichtigen
und das schamlose Machwerk aus den Schulbüchern
entfernen wird.

In aller Hochachtung
ergebenster

Gottlieb Schnüffler

Die lKerkiner Oaradeferien

Gymnasialdirrktor: „Würden Sie
vielleicht die Liebenswürdigkeit haben, Herr
Polizeileutnant, mir mitzntheilen, ob ich heute
Unterricht halten darf?" (Zeichng. v. e. wiike)

Gedanken eines Schutzmannes

„wenn man bei die Polizei is, da merkt man
erst, wat et for'n beklagenswertstes Schicksal is,
als Publikum uff de Welt zu kommen."

„Immer höflich sein jejen Automobile, hat
der Herr Komissar jesagt. Ma kann nich wissen,
wer drin sitzt."

„Die Verbote werden mir zu viel for mein
Iedächtniß! von heute ab merke ick mir bloß, wat
erloobt isl"

*■

Oer Triedeiwitgel

Aefft ein Nachtelb, der unter Halmen
verborgen ist, mein lauschend Dhr?
wo eben noch beim pulverqualmen
Fanfaren schmetterten im Lhor,

Da klingen sanfte Friedenspsalmen
von Lngelsstimmen an das Thor!
von einem Thron zum andern schwirren
Die Töne, wie ein Taubengirren.

Der Zar, er lädt die Potentaten
Zum Friedenswerke nach dem Haag;

Sie sollen wiederum berathen,
wie man den Krieg verhindern mag.

Auch Noosevelt wollt' grad' die Staaten
Einladen zu dem Friedenstag.

Doch sprach er mit bescheidnen Mienen:
„DH bitte, Majestät, nach Ihnen!"

Der Zar, er faltet fromm die Hände
Und küßt das Muttergottesbild:

„Ihr Völker, macht dem Krieg ein Ende,
Denn er ist sündhaft, roh und wild.

D sichert euch die schönste Spende,

Den Frieden, segensreich und mild!

Er ist der Völker beste Nahrung.

Glaubt mir's, ich weiß es aus Erfahrung."

Doch wenn die Bauern, gramzerflossen,
Wehklagen, ach, in langen Neihn,

Und die Kosaken unverdrossen
Haun auf die armen Leute ein,

Und ihre Frauen dann entschlossen
Zum Zarenthron um Frieden schrein, -
Dann spricht der Sohn Zar Alexanders:
„Ja, Bauer, das is ganz was anders!"

Frldo

Die Folgen der Lektüre

Einer unserer Mitarbeiter schreibt unS:

Sehr geehrte Redaktion I In dem Sonntags-
blatt „Das alte Evangelium", das von Pastor
Philipps in Lindenhorst bei Niederewing schrift-
geleitet wird, theilt der evangelische Pfarrer Jucho
ein paar krasse Fälle über die Folgen schlechter,
unchristlicher Lektüre mit. Unter Anderm schreibt er:

„Ich traf eine Beamtenfrau, der Verzweif-
lung nahe. Die Ehe war ihr zur Hölle ge-
worden. .Simplicissimus' und ,Jugend' waren
ihres Ehemannes Lieblingslektüre; er war darauf
abonniert. Wo man solche Liebe hat, da muß
einem ein züchtiges Eheweib langweilig und der
Liebe nicht werth sein!"

Solche Fälle von verderblichem Einfluß der
Lektüre kommen vor! Ich erinnere mich besonders
an zwei selbsterlebte Geschichten:

I. Ein Bürstenbinder in N., der bisher ganz
vernünftig gewesen war, verblödete plötzlich voll-
kommen, hielt sich für einen Wiederkäuer und gab
auf alle Fragen nur mehr die Antworten „Muh"
oder „Bäh". Alle psychiatrische Einwirkung war
erfolglos. Selbst Gesundbeten half nichts. Da
entdeckte seine Frau unter dem Kopfkissen des Un-
glücklichen eine Nummer vom „Alten Evan-
gelium" des Pastors Philipps in Lindenhorst,
bestellte das Abonnement ab und ihr Mann war
geheilt.

II. Meine gute alte Tante Barbara war die
Tugend und Bravheit selbst und konnte keinem
Wurme ein Haar krümmen. Da fing sie eines
Tages an, zu l ü g e n wie der Berliner Correspondent
der „Times," verleumdete Leute, die sie nicht
leiden konnte, in der niederträchtigsten Weise und
that das Alles heuchlerisch unter dem Deckmantel
der sittlichen Entrüstung so perfide und raffiniert,
daß man ihr nichts anhaben konnte. Die Familie
war rathlos. Da entdeckte meine Cousine im Ge-
sangbuch der Tante einen Zeitungsausschnitt —
es war ein Artikel des Pfarrers Jucho!
Jetzt wußten wir freilich, was Schuld trug an der
demoralisierten Tantel

Hochachtungsvoll p‘i>»

Zeitgemäße Anzeige

Für eine süddeutsche Hofbühne werden einige
Statisten gesucht.

Militäranwärter erhalten den Vorzug. —

*

Berliner HUerlei

Wer steigen will und weiß nicht wie,

Bau Kirchen und ziichte Schweinevieh.

Wer sich nicht vor den Pfaffen bückt,

Nicht schweigt, wenn oben ein Wetter zückt,
Nicht Junker ist und nicht Soldat,

Bringt's höchstens zum Kommerzienrath.

Selbst die Spree muß stramm sich schnüren,
Will sie am Schloß vorbeipassieren.

wirre's Frau, eincr geborenen Jüdin, wurde
die ihr bisher voecnthalrene Hoffähigkcit vom
Zaren verliehen.

„Daß Ihr mir bei der nächsten Iudenheye
Acht gebt!" befahl der Gouverneur von Bcf-
sarabien, „hoffähige Juden dürfen nicht er-
schlagen werden I"

*

Uns einem Tagesbefehl des Münchner
Hottheater Intendanten

... Herr Knote erhalt einen Strafrapport
im Lohengrinanzug erster Garnitur, weil bei der
letzten Aufführung der Schwan auf dem Helm
schlecht geputzt und die Sabelkoppel schlapp um-
geschnallt war gez. v. Speidel

Dberst u. Kommandeur d. Kgl. BalletKorps.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Gedanken eines Schutzmannes
[nicht signierter Beitrag]: Aus einem Tagesbefehl des Münchner Hoftheater-Intendanten
[nicht signierter Beitrag]: Witte's Frau, einer geborenen
[nicht signierter Beitrag]: Berliner Allerlei
[nicht signierter Beitrag]: Zeitgemäße Anzeige
Frido: Der Friedensengel
Gottlieb Schnüffler: An das titl. Preussische Kultus-Ministerium in Berlin
Erich Wilke: Die Berliner Paradeferien
Pips: Die Folgen der Lektüre
 
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