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II I

1 '

Hus eines Darren üagebueb!

Sogenannte „humoristische" Bücher erscheinen gar viel, „gute"
Hnmoristika jedoch herzlich wenig. Um so mehr verdienen diese wenigen
guten Hervorgeyoben und empfohlen zu werden. Ein solches edierte neuer-
dings der Verlag „Harmonie" in Berlin W. (Schöneberger User 32i)
unter dem Titel „Aus eii»rs Narre» Tagebuch" (Preis eleg. geb.
Mk. 2.—). Als Verfasser zeichnet der „Roland von Berlin", dessen
reizende, unter dem Titel „Knipke" erschienenen „Skizzen aus dem Berliner
Leben" dem Staatsanwalte kürzlich zum Opfer sielen, nachdem sie im
Laus eines Jahres die stattliche Reihe von 16 Auflagen erlebt hatten. Ob-
wohl die vorgeladenen Sachverständigen, wie Professor Ludwig Pietsch,
Ilr. Paul Lindau usw. einstimmig den hohen sittlichen und künstlerischen
Werth dieser köstlichen Satiren anerkannt hatten, hielt das Gericht das Buch
doch für „unsittlich" und konfiszierte es wegen einiger Stellen, wie man
sie wohl einem Wilhelm Busch, aber keinem Roland von Berlin nachznseben
bereit war. Wie ein Protest gegen diesen Beschlust wirkt es, daß zehn der
bekanntesten und besten Zeichner moderner Witzblätter (z. B. des „Ulk",
„Simplizissimus", „Kladderadatsch", „Lustige Blätter" usw.), nämlich Künstler
wie Edm. Edel, Caspari. Franz Christophe, Knut Hansen, Paul Haase usw.,
das neue, reizend-lustige Versbuch desselben Verfassers in ansgelassener Weise
illustriert haben. Das Kapitel IV, „Liebe" betitelt, beginnt mit den Worten:
„Wenn eine Frau ein hübsches Kleid hat,

Wenn sie ein nettes Wort bereit hat,

Wenn sie so thut, als ob sie Schneid hat,

Und unsereins die nöt'ge beit hat,

Dann ist der Keim zu dem gelegt,

Was „Liebe" man zu nennen pflegt.-

Das Lieben bringt theils Glück, iheils Wehe,

Thetis Seligkeit und theils die Ehe,

Theils das Entsagen, tveils Erhören,

Theils Schwiegermütter und theils Gören, —

Die Lieb' ist nicht an Zeit gebunden,

Man liebt auf Wochen, Tage, Stunden,

Wenn's Jahre dauert, wird sie chronisch.

Bald ist sie „frei" und bald „platonisch".

Durch einer Mitgift hoben Scheck
Wird sie — sogar zum Lebenszweck."

Die übermnthig tolle Laune, die das ganze Buch diktiert zu haben scheint,
ist hier schon zn spüren. In dieser Tonart spottet unser „Roland" gern,
wie er sich überhaupt am meisten und immer wieder oft in zwerchsell-
erschütternder Werse mit dem Thema „Liebe", gleichviel welcher Art und
Qualität, mit all seinen Variationen beschäftigt, mit dieser „schwächenden
Infektionskrankheit , die, wie er behauptet, durch den „bavMus amorosus“
hervorgerufen wird:

Am liebsten wird das Thierchen sitzen
In Uniformen, Schnurrbartspitzen,

In langen Wimpern, krausen Löckchen,

Das erste „Symptom" ist der Kuß genannt:

Wer schüchtern, gibt ihn auf dle Hand.

Bei etwas vorgeschrittnem Leiden ! Das ist das Bild des Krankheitsfalles,

Wird man sich nicht beim Kuß bescheiden. | Die Krisis ist . . . das höchste Glück,
Man fordert mehr, man fordert alles, > Dann geht das Fieber schnell zurück.

Da es jedoch noch kein Serum dagegen giebt, so kehrt es oft wieder!
Dagegen ist mal nichts zu thun,

Erst Altersschwäche macht immun,

lieber die „Begleiterscheinungen" lese man in dem Buche selbst nach! Es folgt
ein Exkurs über die, „die diese Krankheit — gewohnheitsmäßig und
gewerblich — simulieren" und betreiben:

END

Weiter unten meint der Autor:

„Der Ehezweck" scheint heutzutage I Stellt fort die duftenden Reseden,

Meist eine Pekuniäre Frage. | Die Liebe soll in Zahlen reden I usw.

So geht's weiter, bis zur Peripetie, — „der Eheirrung"

Wenn böse Leidenschaften wachsen,

Theils in der Brust und theils in Sachsen, usw.

So kommen wir schließlich zur „Ehescheidung" und
Wer wieder gebt zum Traualtar,

Ist gegens Schicksal undankbar.

Das „Drum und Dran" lese man selbst! Wer Sinn für gesunden Humor
hat, wird sich einige frohe Stunden bereiten und herzlich lachen müssen. Auch
die anderen Kapitel, welche von den sonstigen Dummheiten des Lebens
handeln, sind voll schalkhafter Teuselei, toller Narrheit, geistvoller, liebens-
würdig-boshafter Satire und amüsanter, Wilhelm Busch-ähnlicher Histörchen.
— Der Autor schreibt aber mit ernstem Zwecke, es sind bittere Wahrheiten,
die hier in so heiterer Form vorgebracht werden, allerdings
Weil durch die Not man wird gezwungen
Zu schwelgen in Erinnerungen,

Wenn leider in den LtebeSstagen
Die Körperkräfte schon versagen usw.

Alle „Narrheiten" der Menschen werden gar scharf gegeißelt:

In seidnen Strümpfen, Unterröckchen,
In einem rosig kleinen Ohr
Kommt es sogar zuweilen vor.

Als Handwerk theils und theils als Kunst
Das Buhlen um die Männergunst. —

In keinem Lehrbuch ist zu lesen,
Wer einst die erste Frau gewesen,
Die ihre Schönheit, die sie zierte,
Nach Geldeswerthe abtaxierte,

Trotzdem die Sache äußerst peinlich,
Erscheint es doch nicht unwahrscheinlich,
Daß, als die ganze Welt entstanden,

Die „halbe" ebenfalls vorhanden.

Das ist doch klar, wenn's noch so kränkt,
Für jedermann, der logisch denkt.

Lei diesen „historischen" Erörterungen kommen wir über „Perikles und
Aspasia", „Mark Anton und Kleopatra" usw. nach dem Hörselberge, mit
allen, die dort

„Ihr böses, loses Spiel getrieben, ! Zur Warnung dringt uns heut' ins Ohr

Die Folgen sind nicht ausgeblieben, | Des Richard Wagners Ptlgerchor."

Auch der Liebe an Königsthronen vergißt der Autor nicht, einer Dubarry
und Pompadour usw.:

Besonders frech >var diese Bande I Durch Dumas führen sie den Namen,
Bon alters her ani Setnestrande, — s Jetzt häufig als „Kameliendanien".

Nach einer längeren Abhandlung über das „Küssen" aller Stände und
Völker usw. schließt das Kapitel mit den Worten:

»ne «sonne rügt Die weißen Firne, | lind ich, . . . ich küsse, stets galant,

Die Muse eines Dichters Stirne, | Der schönen Leserin die Hand I

Von den entzückenden Illustrationen dieses Kapitels sei nichts verrathen.
Wir gehen zum Kapitel V: „Von der Hochzeit bis zur Scheidung" über:
^Die Ehe" nennt man die Vernichtung,

Des eignen „Ich" und die Verpfltchmng,

Sich unter Frauenjoch zu beugen,

Auch — möglichst — Kinder zu erzeugen.

,D>ie Eheschließung" bringt zur Kenntniß
Des Standesamts das Eingeständniß,

Das, ein Herr A. bereit, zu schwören,

Er wolle ewig angehören

Dem Fräulein B. als treuer Mann

lRaiürlich denkt er gar nicht dran).

Nach einer Abschweifung über die Schönheit des „ungebundenen Jung-
gesellenlebens" heißt es weiter:

a %• fC VÄ n t% \+ v* V." UaIY«aa«m

Der Schwiegermütter und dem Staat.

Tie erste Narrheit hier auf Erden
Ist sicher, das Geborenwerden! —
Der Neugedorne kriegt das Futter
Nur selten noch von seiner Mutter,

Weil diese heute hat zumeist
Nur wenig 'Milch, dochsehr viel Geist.
Es ist zwar schön der Mutter Walten,
Doch schöner: die Figur behalten — usw.

Köstlich ist die Schilderung der ersten Zähne, des ersten Durchsalls, der
ersten Gehversuche:

Zu früh geschiehl's im allgemeinen
Und in der Form von krummen Beinen

tat dies sich häufig schon gerächt
etm männ- und weiblichen Geschlecht.

Um sich an Menschenbrut zu rächen,

Erfand die Lüge einst das Sprechen,
Drum hört als erstes Kinderlallen
Man stets das Wort „Papa" erschallen,
Das klingt sehr reizend, hübsch und schlicht,
Zuweilen aber stimmt es nicht!

So geht's fort bis zur „Schulzeit", die besonders lustig besungen wird.
Es folgt Alt-Heidelberg und die „Studentenzeit":

Wogegen man in jedem „Korps"

Den Mag e n brtngtzum höchsten Flor, usw.
Der Schöpfung höchstes Moupment

Es fei erklärt mit wen'gen Worten:
Wort gibt es zwei Studentensorten,

Die, die sich Geist und Wissen bilden
Nennt mit Verachtung man die „Wilden",
Ein ergötzlich Kapitulein über

schoben, darinnen unter anderem zu lesen:

Bleibt stets darum der Korpsstudent! —
den „Zweikampf" wird hier einge-

Der Zweikampf in den meisten Fällen
Pflegt sich als „nöthig" 'rauszustellen,
Wenn man den Drttien mal erwischte,

Der sich in eine Ehe mischte,

Und bei dem unerlaubten Kuß
Erschien als gaudens tertius-usw.

„Stud ent en-Neig ungen" behandelt das Kapitel des onders eingehend.

g über Kellnerinnen, Ladenmädchen usw. heißt es schließlich:

Nach derAbhandlung über Ke
Es hängen echter Liebe Flammen
Eng mit dem Blagen stets zusammen,
Drum ziemt es jedem Kavaliere,

Daß er der Holden was spendiere,

Und je nach Antlitz und Gestalt
Jst's Essen dann: bald warm, bald kalt.
Bei diesem Punkt ist zu beachten,

Daß manche auch nach Höh'rem trachten
Und suchen das Objekt der Liebe

Im bessern Konfektionsbetriebe-usw.

Indes der feinste Leckerbissen

Winkt doch im Reiche der Kulifien,

Wo gleich uns in die Augen stechen
Die Beine, die zum Herzen sprechen.
Wie sind doch Worte plump und roh
In dem Vergleiche zum Trikot! usw.
Je süßer nun ein solches Wesen,

Um so viel höher sind die Spesen,
Denn man bezahlt bei dem Verkehre
Nicht nur's Vergnügen, auch die Ehre,
Wenngleich sie auf der Bühne zeigt
Meist ihr Talent, indem sie schweigt.

Von diesem „Thema" bis zum Schuldenmachen ist bekannterweise nur ein
Schritt, daher flicht sich in drolligen Versen „die Lehre vom Entleihn" hier
ein. Es folgt ein ansgedehnter, überwältigend komischer Gesang über den
kommentmäßigen nnd anßcrkommentmähigen Alkoholgenuß, und so geht's
fort mit der Geißelung menschlicher Schwächen und Gebrechen. Das Kapitel
über „Eitelkeit", über Männerfreundschast und Frauenfrenndschaft" seien
noch besonders hervorgehoben. Häufig erheben sich die Gedichte zu hoher
poetischer Schönheit, so z. B. der Schlußgefang „Gottesnarren", aus dem
auch hervorgeht, wie ernst es dem Verfasser mit seinen in klapperndes
Schellengewand gekleideten Liedern ist. Das Merkchen kann nicht übersehen
werden; es ist zum Geistvollsten und Lustigsten zu zählen, was seit Wilhelm
Busch geschrieben worden ist. Die Illustrationen sprechen für sich selbst.

Erich Schüller.

Sine muTihaUfcbe Parodie,

die Aufsehen erregt, wurde im Berliner Belle-Alliance-Theater in die ca. 50mal er.
folgreich gegebene Vaudeville-Operette „Die Tugendglocke" eingelegt. Miß Jsadora
Dunean parodierend, trat Fräulein Bozena Bradsky stets beim Höhepunkt des Stückes
auf und tanzte die bekannte Melodie: „Eins — zwer — drei, bei der Bank vorbei!"

" "" ’ - ' ' In Gluck, ü In Beethoven, Chopin, Schubert,

Johann Strauß. Beifallsstürme folgten stets

. ren Originalität und musikalischen Werth die

Berliner Presse fast einstimmig konstatierte. In feinsinnigster und drolligster Art Hai
Oskar Straus, der beliebte Komponist des heiteren Genres, die bekannte Volksmelodik
in der Art eines jeden der genannten Komponisten bearbeitet. Wie „eins—zwei—drei
bei der Bank vorbei I" durch die zarte Melodik der „Mondschein-Sonate" hindurch-
klingt, oder dem „Venuszauber" seinen Stempel aufdrückt, oder mit der Melodie des
„Donau-Walzers" um die Oberherrschaft kämpft, oder schwermüthig tu Franz
Schuberts, bekanntlich von Jsadora Dunean „vertanzten" Liede „Der Tod und das
Mädchen" auftritt nnd schließlich in einer Ehopinschen Mazurka einen übermüthigen
Sieg erringt, das ist alles so eigenartig fein und lustig gemacht, daß jeder, der auch
nur eine blasse Ahnung von Musik hat, sich vor Lachen ausschütten muß. Die Nach-
frage nach der originellen Parodie war gleich nach der Premiere so groß, daß sich
der Komponist entschließen mußte, ein leicht sptelbares, zweihändiges Klavierarrange-
ment dieser hunioristischen Orchesterphantgsie zu machen, die nun in ebenso originellem
Gewände erschienen ist: Ein lustiges, dreifarbiges, geistvoll gezeichnetes Umschlagbild
zeigt, wie Miß Jsadora vor der versammelten Korona der oben genannten Kompo-
nisten ihre Kunst zum besten gibt. Die letzteren sehen theils mit kritischem Spoit-
lächcln, theils ärgerlich, inißmuthig und wüthend, theils erstaunt und befriedigt, zu.
Die übrigens sehr billige, lustige Klaviernummer (Preis Mk. 1,50) erschien im Bühne
und Brettl-Verlag, Berlin W 35i und sei wärmstens empfohlen, denn seit der
lustigen Bearbeitung von „Kommt ein Bogerl geflogen" seitens des Professors Sieg-
fried Ochs dürfte kein ähnlich geistreiches musikalisches Humoristikum erschienen sein,
das in jeder Privatgesellschaft zur Erheiterung dienen kann und jeden Akusikliebhaber
röhlich stimmen muß. Zahlreiche Stars von Operetten- und Variötsbühnen haben
sich übrtaens schon das Aufsübrungsrecht dieser „Dunean-Parodie" verschaft, so daß
ür die Bekanntmachung in weitesten Kreisen bald gesorgt sein wird. L. O.

Bei etwaigen Beateilungen bittet man auf die llüncbner „JIIUUHU“ Beaug au nehmen.
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