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Nr. 51

JUGEND

1905

Russische Chrisinacht

Wegmüder Wandersmann, sei unser Gaft
Im stille» Heiligthnm der Weihnachtsstunde.
Bei uns ists wohl. Tritt ein in unsre Runde,
Doch draußen laß des Schnees, cker Sorgen Last.

Wer dn auch seist — was dich von dannen trieb —-
Ein Freund des Vaterlands, ein Missethater —
Nimm hier fürlieb, hier wacht dir kein Verrather,
Vertraue »ns, bequem dich und . .. vergib!

Das ist ein Fest! Sieh da die fromme Schar!
Wie sich das Herz in Gottes Liebe weitet!

Es strahlt der Herd, es summt der Samowar,
Und auch dem Fremdling ist ein Mahl bereitet.

Roda Roda

Herrgott — sind die Meiöer
schkecht!

Süddeutsche Großstadt. Eine Bar. Max, ein
Jüngling, elegant und mager. Rasiert. Seitwärts
gescheiteltes Haar. Sicht aus wie das Junge von
einem leibhaftigen Amerikaner und trägt selbstverständ-
lich ein Monocle.

Max: Piccolo, Du bist ein Tepp! Du wärst
jetzt auch schon groß genug, um zu wissen, daß
ich im whiskcy-Locktail keine Litronenscheibe
mag! Drangutau! Trag' das Gesuff wieder
zurück — das bringt einen Droscheukutscher um! —
Jesses, der Friede! — Servus!

Friede! (auch ein deutscher Jüngling mit ameri-
kanischem Scheitel und Einglas): Tschau!

Nlax: was machst denn heut' für ein giftiges
Gesicht?

Friede!: Machst ja auch eins! Aber spring-
giftig bin ich schon! Adolf, mir einen wermuth
mit Angosturabitter! Diel Bitter! Am liebsten
thät ich noch Galle und Pikrinsäure hinein und
was sonst noch bitter schnieckt auf der Welt!

Max: Lass' Dir ein Flasche! Hunyadi Ianos
bringen I

Friede!: Geh, sei nicht fad, bitte! Ja? (Er
schlürft die ganze Bitternis; des Wcrmuthbcchers in
einem Zuge.) Noch einen, Adolf — aber mehr
Angostnra! — Herrgott, sind die Weiber schlecht!

Max: Davon kanir ich auch ein Lied singen!

Friede!: Und dumm!

Nlax: Das ist noch das Beste an ihneti!

Friedei: Und aufdringlich I

Max: Aber bloß, wenn man's nicht haben
will!

Friede!: Ja! Dann aber schon sehr! Und
das ist mein Fall, jetzt! D» kennst die Tini?

Und weißt, wie lange ich schon mit ihr geh?

Max: Und ob! Ich glaub', Ihr könnt'
schon bald silberne Liebschaft feierll.

Friede!: Also! Aber man kriegt doch
schließlich einmal genug! Man will doch nicht
alle Tage perürix haben! Nicht alle Tag'
Kalbfleisch, heißt das ans Deutsch! Der Mensch
hat ein unveräußerliches Recht auf Abwechs-
lung! Tr «st sie sich schuldig. . .

Nlax: Sonst versumpft er!

Friedcl: Kurz und gut — ich Hab' die
Tini satt!

Max: Aha: und sie läßt sich nicht ab-
wimnielu?

Friede!: Nicht um ein Eckhaus! Nicht
um's Sterben I

Max: Das ist charakterlos! Und warum
denn eigentlich nicht? Sie ist schließlich doch
nicht auf Dich angewiesen und bildsauber dazu.

Die findet doch morgen wieder einen!

Friedcl: In mich vernarrt ist sie! Nicht
leben kann sie ohne mich — die Gans! Ist
das nicht wahnsinnig?

Max: Jedenfalls geschmacklos!

Friede!: Ich Hab'Ihr zugeredet, wie einem
kranken Dackel! Ich Hab' ihr gesagt, daß sie

mich in meiner seelischen Entwicklung aufhält I
Ich Hab' ihr gedroht — sogar mit der Polizei Ich
Hab' ihr begreiflich gemacht, daß wir eine kathol-
ische Familie sind und daß ich sie ja doch nie
heirathen kann, weil sie eine Geschiedene ist —
Alles umsonst I Immer die eine blödsinnige Ant-
wort: Ich will nichts als Dich! Und wenn Du
von mir gehst, so geh' ich ins Wasser.

Max: Geh', das sagen sie Alle und nie thut's
Eine! Dder doch selten.

Friedcl: Mit Vitriol hat sie mir auch gedroht,
die rabiate Person!

!Nax: Das ist schlimmer, freilich! Das thun
sie manchmal! Aber warum willst Du sie eigent-
lich nicht mehr? Fesch ist sie, treu wie vogelleim
und kostet Dich keinen Heller!

Friede!: Erstens Hab ich was Frisches in petto
und daun ist sie bodenlos langweilig geworden.
Schau, damals, wie ich sie ihrem Ulanu ausge-
spannt Hab', da Hab' ich die Geschichte mit der
Emanzipation gebetreit und mit der neuen Moral.
Ich Hab' ihr gezeigt, daß ein Prachtweib, wie sie,
nicht in der Ehesklaverei bei einem Strumpfwaaren-
händler zu Grunde gehen darf! Daß sie ihr
Selbstbeftimmnngsrecht nicht aufgegebcn hat! Ihre
Seele Hab' ich befreit! Nietzsche Hab' ich mit ihr
gelesen —

Max: Armer Kerl! Und jetzt?

Friede!: Sie liest immer noch Nietzsche und
solche Sachen! Bei jedem Schmarren ist sie dabei
mit Frauenrecht und so weiter, Resormkleider
trägt sie, in Vorlesungen soll ich mit ihr laufen.
Das mopst mich! Bei so was thnt man mit, bis
man hat, was man will, aber zuletzt hat das
seine Grenzen! Man ist doch nur einmal jung
und will sich amüsieren tltld nicht einrosten in so
einer Gewissensehe, wie sie's nennt. Ich glaub',
sie hat das Wort vom Schiller —

Max: Vom Goethe glaub' ich — übrigens ist
es Wurst! weißt Du was: simuliere Gewissens-
bisse! Vielleicht steckst Dn sie damit an. Ich wett',
der Strumpfwaarenhändler nimint sie zurück —
sie ist ja noch wie neu!

Friede!: Meinst Du, das hätt' ich noch nicht
versucht? Aber auf die alte Moral fällt sie nicht
mehr herein, seit ich ihr die neue beizebracht habe.
Eine Rückkehr zu ihrem Mann wär' ein Ehebruch
an mir, sagt sie! Und so bleibt mir das me-
fchuggene Frauenzimmer auf dem Hals.

Max: Du hast eine Schlange au Deinein Busen
genährt I

£, V-R

E. Vietor-Rehm

Friede!: Iabrelang Hab' ich sie glücklich ge-
macht! Ich Hab' ihr den Standesunterschied so
wenig fühlen lassen, wie ihre prekäre Stellung als
gefallene Frau! Denn das ist sie doch schließlich,
nicht? Einem so guten Mann durchgeben I Ich
Hab' mir widerspruchslos ihr Geld aufdrängen
lassen, damals. a!s ich mit meinem Alten übers
Kreuz war. Ihren letzten Groschen Hab' ich mit
ihr getheilt — glaubst Du, daß ich für diese Selbst-
erniedrigung eineil Dank Hab'? Ja, ein Weib
und Dankbarkeit! — Pah!

lNax: wem sagst Du das! Undankbare Kröten
sind sie Alle. Meine Molly schon gar!

Friedcl: Für die hält' ich meine Hand ins
Feuer gelegt! Sie hat Dich doch nicht etwa? (Mar-
kiert einen Zehnender mit den ausgespreizten Fingern.)

Max: Jawohl, sie hat mich! Seit heute weiß
ich's! Und mit wem, glaubst Du?

Friedcl: Am Ende mit dem alten Prinzen
Benrheim? Der ist ihr doch immer nachgestiegen?

Max: Ha ha! Mit einem Prinzen! wenn's
noch das wäre! Mit einem Postassistenten betrügt
sie mich!

Friede!: Mit einem Po — Post —

Max: Assistenten! Mit einem Menschen, der
in gewichsten Stiefeln herumläuft und Plastron-
krawatten trägt! Und baumwollene Handschuh
im Sommer! Mit einem Menschen, der an>
Sonntag Rad fährt in einem Flanellhemd!

Friedcl: Mox, das kann ich von der Mollx
nicht glauben. Die hat doch immer Lhic gebabtl

Max: Freunderl, ich Hab' eine große Wahr-
heit eingesehen: wenn Du eine solche Ereatur noch
so liebevoll aus dem Sumpf heraus und zu Dir
einporhebst — sie plumpst doch wieder zurück in
den Dreck!

Friedcl: Recht hast Du — sic plumpsen Alle!
Und was hast Du für das Mädel gcthan!

Max: Lin blödsinniges Geld Hab' ich für sie
gebraucht. Von dem Geld, das mich allein die
Linte für wechsclschreiben gekostet hat, könnt' eine
kleine Familie anständig leben! Nach Montecarlo
Hab' ich sie genommen, nach Paris! Französisch
Hab' ich sie lernen lassen!

Friede!: wo Du es doch selber nicht einmal
kannst l

Max: Automobilfahren hat sie dürfen mit
mir! Im Hotel Hab ich sie für meine Frau aus-
gegeben! Ein Persianerjackett hat sie, Spitzen-
heindeu hat sie, ein Lmpireschlafzimmer hat sie,
mordsgroße Brillant boutons hat sie —

Friede!: Sie sehen ans. wie echte!

Max: Und im vorigen Winter — unter
»ns gesagt! — da war' dem dummen Ding
beinahe was passiert —

Friede!: Aha, damals! wie ihr auf der
Redont' einmal plötzlich so schlecht geworden ist?

Nlax: Na ja! Und da war mir wieder
kein Gpfer z» groß' Ich Hab' sie zu einem
Doktor nach Budapest gebracht — weißt Du:
Rath und Hilfe in diskreten Angelegenheiten I
Drei Monate hat sie bei ihm gelegen — vier-
tausend Kronen Hab' ich dafür geblutet! wenn
ich nicht gewesen wäre, säß' sie jetzt da mit
einem flehten Kind!

Friede!: Dn bist ein nobler Mensch, das
muß wahr sein! Und zum Dank betrügt sie
Dich jetzt...

Nlax: Schon seit vier Wochen! Und mit
einem Postassistenten!

Friede!: Ausgerechnet mit einem Post-
assistenten!

Max: Ich glaube, sie will ihn sogar heiraten!
Friede!: Die Sorte hat kein Schamgefühl:
— wie hat sie es übrigens nur angcstellt, daß
Du so gar tiichts bemerkt hast?

Max Ja. weißt Du, jetzt kommt die ganz
ungeheuerliche Niedertracht: sie hat in ihrer
perfidie zum Rcndezvons immer genau die
Zeit benützt, die ich wegen meiner Verlobung
mit der kleinen Eppstein im Hanse meines
künftigen Schwiegervaters angenagelt war!
Du bist sprachlos — gelt?!

Friede!: Line solche Gemeinheit bringt nur
ein Frauenzimmer fertig! -
Index
Roda Roda: Russische Christnacht
Else Wenz geb. Vietor gesch. Rehm: Vignette
Fritz Frh. v. Ostini: Herrgott - sind die Weiber schlecht!
 
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