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Nr. 1

J UGEND

1906

Der Träumer

Jetzt hat die weiße Winternacht
Mir einen närrischen Traum gebracht:

Ich stand auf nnserm Kirchenplatz
Und lugte aus nach meinem Schatz.

Der Platz lag leer inr Sonnenschein.

Doch, wer mag diese Dame sein?

Die Dame aber, sonderbar,

War mein Braunlieb in blondem Haar!

In blonden Locken, wie sie kam,

Ich sie fiir eine Dame nahm!

Das Haar ihr Mantel! Königin,

Wo geht der Mantel mit euch hin?

Da fuhr sie mit der Hand ins Gold,

Daß ein Dukaten siirder rollt

Und noch und noch. Ein ganzer Schwarm!

„Bin ich den Deinen noch zu arm?

„Jetzt geh ich so vor euer Haus!" —

Mehr weiß ich nicht, der Traum war ans!
Ach, war nur auch die Nacht zu End',

Daß ich mit Vater sprechen könnt' I

Hugo Salus

Zerffört

Skizze von Dagmar Berghues

Zwei Kinder spielen im Park. Ein schlanke?
Mädchen von zwölf Jahren mit lebhaften blauen
Augen. Der Junge nur wenige Monate älter,
ein breites, kräftiges Kind.

Die Beiden spielen oft zusammen. Sie laufen
unter den blühenden Bäumen, sie greifen und
haschen sich und suchen sich zu entwischen.

In tollem Jagen geht es die Parkwege ent-
lang, so daß der weiße Blüthenteppich aufwirbelt
unter den eilenden Füßen.

Bald hat der Junge sie eingeholt, dann hält
er sie an den blonden Zöpfen und lachend zeigt
sie ihm die weißen Zähne.

Und wieder reißt sie sich von ihm. Er seht
ihr nach und folgt ihr um Rasen und Beete in
wilder Hast. Jmnrer schneller enteilt sie ihm auf
den schmalgewundenen Wegen. Dann hält sie
athemlos inne. Sie steht an dem kleinen Weiher.

Frühlingssonne glitzert auf der grünlichstillen
Wasserfläche. In ihrem leuchtenden Schein gleiten
majestätisch zwei Schwäne hin und her. In süßem
Liebesspiel umkreisen sie sich werbend.

Das Mädchen weist mit ausgestrecktem Arm
auf das stolze Paar. Neugierig kommt der Junge
näher. »

Die Schwäne treiben in wilden Stößen fort,
nähern sich wieder und flattern niit kurzen Flügel-
schlägen gegen einander an. Sie neigen schnäbelnd
die stolzen Hälse und theilen das Wasser in tausend
zitternde Ringe.

Nachdenklich schan'n die Kinder dem Spiele zu.

Langsam stiehlt sich in die Angen des kleinen
Mädchens ein sonderbares Flackern wie Jrrlicht-
schein. Fast unbewußt sinkt ihr Köpfchen auf die
Schulter des Knaben, der kaum die weiche Berühr-
ung merkt. Etwas Ungekanntes, NieempfnndeneS
zieht leise träumend in ihr Herz. Sie sehnt sich
und weiß nicht wonach, nur das weiß sie, daß sie
irgend Jemand lieb haben möchte. . . sehr lieb.

Die Schwäne treiben noch immer ihr holdes
Werbespiel.

Lautlose? Staunen in den Augen der Kinder.
Da plötzlich läßt rohes Lachen sie anfschau'n.
Sie blicken in das rothe Gesicht des Gärtner-
burschcn, der grinsend auf die Schwäne zeigt
Dem kleinen Mädchen aber ist es, als drücke
ihr Jemand die Kehle zu, als risse man mit
schmutzigen Händen etwas Großes, Heiliges ans
ihrem Herzen. Brennende Röthe steigt in ihre
Wangen. Fast wild stößt sie den Jungen fort und
läuft davon.

Nach einigen Stunden findet er sie. Sie sitzt
bitterlich schluchzend ans einer Bank.

Als er vor ihr steht und sie bittet, doch weiter
mit ihm zu spielen, sieht sie ihn so fremd, so ganz
anders an, als sonst, und schüttelt heftig den Kopf.

„Mädels sind doch zu dumm," brummt er im
Fortgehen, „gleich heulen sie, auch wenn man ihnen
gar nichts zu Leide thutl"

Mutters Augen

Mutter, Deine Augen,

Deine Augen find nah. —

Kind, ich bin fröhlich:

Die 5reude macht das.

Mutter, Deine Augen,

Deine Augen find nah. —

Kind, ich bin traurig —

(traurig zum äpah . . .

Richard Scbaukal

Der üulpenbaurn

Der Tukpsnbaum hat über Vacht
£Kü seine Wumen ausgemacht,

Die weißen Sterne keuchten weit
In ihrer Keuschen Herrlichkeit.

Äs ist, als hätt's dis Vacht bedacht,
Was lieber sie dein Tag vermacht,
Damit von ihrem Wärchengkan?

€in Schimmer leb in seinein §ran^.

Är aber überreich an Dicht,

Bedarf der fremden Sterne nicht,

Und bald entbkättert, schnell und sacht,
Das kiebkiche Geschenk der Vacht.

Gustav falke

(Dvids Liebeskunst

von Aarl Ettlinger


Bedeutsam ist der Tag, an dem die Schöne,

Die du verehrst, das Licht der Welt erblickt,

Denn sie erwartet, daß man sie verwöhne
Und wie ein Nabob ihr Präsente schickt.

An diesen: Tage wird zum Ungeheuer,

Zur Scylla, zur Charhbdis deine Fee,

Sie, die bisher nur deinem Herzen thener,

Wird plötzlich theuer deinem Portemonnaie.

Denn eines haben alle Frau'n ergründet
(Selbst wenn sie sonst beschränkt sind), — das Problem,
Wie in der Liebe man geschickt verbindet
Was nützlich ist, mit dem, was angenehm.

Und steht bctn eigen Herz in Liebesgluthen,

Dann steigert sich unendlich die Gefahr,

Dann wirst du zwanzigmal im Jahre blirten
Und doch nicht klüger. — Es ist sonderbar!

Sie bleibt vor jedem Ladenfenster stehen
Und säuselt: „Sieh nur, Liebling, diesen Hut!

Ach, niemals Hab' ich solchen Hut gesehen!

Und weiß dazu, — weiß steht mir doch so gut!"
So geht es dir bei jeder Promenade,

Du kriegst sie einfach nicht zum Weitergehn.

Was ihr gefällt, das (sagt sie) „braucht sie grade",
„Dann bin ich für ein ganzes Jahr versehn".
Kommst du ein andermal zu der Scharmanten,
Ranft sie das Haar und weint aus tiefster Brust:
„Aus meinem Schmuck verlor ich den Brillanten!"
Den du natürlich ihr ersetzen mußt.

Auch ans die Bücher heißt es Obacht geben!-
Leihst du ihr eins, ans das sie scharf erpicht,

So ist's ein Abschied für das ganze Leben,

Das Wörtchen „wiedergeben" — kennt sie nicht.
Drum stell ich dir anheim, wohl zu bedenken:
Schlag alles ab, und thut es dir auch weh!

Denn sagst du einmal A mit den Geschenken,

Mein theurer Freund, sagst du auch sicher B.
Versprich ihr lieber tausend Wundergaben,

Wenn sie dich quält, sag' heitren Angesichts:
„Gewiß, mein Herz, du sollst das nächstens haben!"
— Das macht ihr Freude und es kostet nichts.

Hat sie dir erst den Mammon abgenommen,

Läßt sie dich bald auch sitzen, glaub' es mir,

Doch wenn sie denkt, sie hat noch zu bekommen,
Was du versprochen, bleibt sie treu bei dir.

Merk dir zum Schluß: „Recht guten Eindruck machen
Auch kleine Gaben, die nicht schwer und dick;

Nein, man erfreut das Weib mit kleinen Sachen,
Bringt inan sie an im rechten Augenblick.

Zum Beispiel: Schicke ihr die ersten Trauben.

Sie wird von dieser Gabe mehr entzückt
Und überraschter sein, du kannst es glauben,

Als hättest du den schönsten Schmuck geschickt.

„Ich ließ sie eigens konnnen aus dem Süden!"

So sprich und küsse ihr die Hand diskret.

Gib aber bitte acht, daß auf den Düten,

Drin sie verpackt, die Firma Tietz nicht steht.

Therese Weber (München)

*> Aus dem ersten Theil einer im Januar bei T)r. Paul
Langcnscheidt, Groß-Lichterfelde, erscheinenden modernen
Nachdichtung von Ovid, Ars a man di.

Liebe Jugend I

In einem Strafverfahren ist ein Referendar
als Dertheidiger bestellt. In seiner pülftosigkelt
weiß er aber nichts weiter zu sagen, wie die
warte: „Meine Herren, ich bitte für meinen

Clienten um mildernde Umstände." Als ihn der
Präsident darauf aufmerksam macht, daß da5
Strafgesetzbuch bei den: Delikte, das fein (Aren
begangen habe, Feine mildernden Umstände zu lasst,
sagt er, völlig am Lude feiner Weisheit angelangt.
„Dann bitte ich um Entschuldigung.

Lieschen erklärte seinem jüngeren Schweste^
chen das Bild des jüngsten Gerichts in der Bwel.
„Siehst Du, zu denen rechts sagt der liebe oot .
,Ihr seid brav und kon:mt ii: Lyimmell, aber 51
den andern sagt er zornig: ,Geht alle weg,
I h r m a ch t m i ch n e r v ö s! ‘ "

i
Register
Gustav Falke: Der Tulpenbaum
Therese Weber: Zeichnung ohne Titel
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Dagmar Berghues: Zerstört
Hugo Salus: Der Träumer
Richard v. Schaukal: Mutters Augen
Karl Ettlinger: Ovids Liebeskunst
 
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