Nr. 26
1906
Messias
Die Zeit ist schwer, die Luft ist schwül,
Und lastet dumpf auf Herz und Hirn —
Sie lähmt der Jugend Muth und gräbt
Ihr tiefe Furchen in die Stirn. . . .
So harren wir in stummer Angst
Auf den, der rettend kommen soll,
Wie noch das Bolk der Juden harrt
Auf den Messias sehnsuchtsvoll.
Wir harren sein in Haß und Zorn,
Wir harren sein in Noth und Qual —
Von unser»! Lebensbaume fiel
Das letzte welke Ideal.
Wir wissen wohl, daß, der da kommt,
Nicht grüne Friedensreiser trägt,
Daß nicht sein Mund von Liebe spricht,
Nicht seine Hand die Harfe schlägt.
Wir wissen's wohl — und doch — und doch —
Aus tiefster Brust ein einz'ger Schrei:
O komm; der Du Erlösung bringst,
Messias, Retter, komm herbei!
Die letzte müde Fessel, die
Uns noch an diesem Leben hält —
Zersprenge, Retter, sie und schlag'
In Triimmer dann die morsche Welt.
Georg Scbauniberg
Meerxvmä-Klänge
Wir glitten dahin; es wiegten die Wogen
Schnieichelnd das Schiff im tyrrhenischen Meer;
Die glänzenden Vollmondstrahlen zogen
Seide durchs Wasser von Golde schwer.
Traumhaft hob sich ein Wind in den Rahen, —
Ich spähte, wo Bajä im Dunkel versank,
Dachte Pompejis des fernen — nahen, —
Und lauschte des Windes seltsamem Klang.
Da >var mir, als hörte ich leichtfüßges Schreiten,
Flöten und Zymbeln. — Wie konnte das sein?
Der Wind sog wohl Klänge vergangener Zeiten
Einst in die sangfrohe Seele ein;
Lauschte wohl noch in römischen Tagen
Den Sklavenmädchen, die braun und zart,
Tanzend bei Flöten und Saitenschlagen
Den Gebieter ergötzten ans mondheller Fahrt
Er sah wohl die Barke, Kränze behängen;
Unter dem goldenen Baldachin
Vom heißen Arm des Geliebten umfangen,
Glühend, die herrlichste Römerin.
Neigte er wohl auch zu ihnen sich nieder
Und fachte im Herzen die Flammen noch an
Durch seltsam süße verklungene Lieder,
Die eine andere Zeit sich ersann? —
Grtia I)einemann
]n Martin lutljers Spraye
„Tlnno 1529 den 5. vecembcr bat es fl0) am andern
Sonntag des Hdoents begeben, daß tu St. Jacob iu Uibcdt
ein Capellan Uahmens herr htllebrand die früflpredlgt
verrichtet, und da er nach der Predigt dem damaligen
ßebraud) nach angeboben vor die Codten ;u bitten,
haben zmeij kleine Knaben in der Kirchen angeboben
zu fingen den ßefang: Uch Sott vom Himmel sieb
darein und bat die gantze Semeiude diesen Psalm biß
>u Ende mitgefungen, und das ifl der erste deutsche
Psalm, der zu lübetb in der Kirchen gelungen worden,
nach diesem Page wenn ein Munch oder ander Prediger
auff die Csutzel kommen, und etwas redete, so den
evangelisch geflnneten nicht anstand, haben sie alsobald
angefangen zu fin en: stch Sott vom liimmel sieh
darein und der Prediger hat muffen aushoren, und
von der (anbei berunterfteigen.“
(Aus einer alten lübschen CljroniK von Kuno 1677.)
viel Gezeter und ßczaufe,
Jede Kanzel ist der Krieg,
Hochamt oder freie Predigt,
wem wird endlich doch der Sieg)
Nie lnther, liie l'apift;
Oie Antichrist, hie Christ.
Nch Sott vom Himmel steh darein.
liier die evangelische lehre,
Dort der Kapellan, der Münch;
Luthers deutsche Sprache säubert
Das lateinische Setnnch.
Die flamme leuchtet roth,
Ccclefta in Not.
Nch Sott vom liimmel steh darein.
Jn Sauet Jacob vorm Bltare
Steht der Priester Hilicbrand,
Streng die Messe celebrierend
Jm gestickten Prachtgewand.
Monstranz und Cingulunt,
Cruf, Refponforium.
Nch Sott vom liimmel steh darein.
Sloria Deo in exeelsis —
Plötzlich ssngen hoch vom Chor
Zwei drei zarte Kinderssimmen,
wie ans frischem Morgentor,
Kerndeutsch, im Mutterbann,
Da freut sich jedermann:
,,Nch Sott vom liimmel steh darein "
Mächtig singt es die Semeiude,
Alle, alle fallen ein,
Singt das gante Lied tu ende,
Und so wird es fürder sein,
jm deutschen Kirchenlaut,
Dem sich das Herz vertraut.
Nch Sou vom liimmel sieh darein.
Detlev v. LUlencrori
Gedanken
Im Witz herrscht der Stoff, in der Satire
das Temperament, in der Ironie der Geist,
im Humor — der Mensch.
Das Verbrechen des Andern liegt vor Allem
in unserer Vorstellung. Darum heisst’s*
Richte nicht!
Recepte und Surrogate gibt es für Alles
und Jedes in der Welt, nur für Eines nicht:
für das Leben.
Gute Gedanken sind Geschenke der Götter.
Die Götter schenken aber nicht gerne in Ge-
sellschaft. Drum sind geistreiche Leute im
Salon meist ebenso fad wie die Uebrigen.
Paul Garin
morgen
Die I
Pott'
im 0artei
feit
$5?
< $ i
1906
Messias
Die Zeit ist schwer, die Luft ist schwül,
Und lastet dumpf auf Herz und Hirn —
Sie lähmt der Jugend Muth und gräbt
Ihr tiefe Furchen in die Stirn. . . .
So harren wir in stummer Angst
Auf den, der rettend kommen soll,
Wie noch das Bolk der Juden harrt
Auf den Messias sehnsuchtsvoll.
Wir harren sein in Haß und Zorn,
Wir harren sein in Noth und Qual —
Von unser»! Lebensbaume fiel
Das letzte welke Ideal.
Wir wissen wohl, daß, der da kommt,
Nicht grüne Friedensreiser trägt,
Daß nicht sein Mund von Liebe spricht,
Nicht seine Hand die Harfe schlägt.
Wir wissen's wohl — und doch — und doch —
Aus tiefster Brust ein einz'ger Schrei:
O komm; der Du Erlösung bringst,
Messias, Retter, komm herbei!
Die letzte müde Fessel, die
Uns noch an diesem Leben hält —
Zersprenge, Retter, sie und schlag'
In Triimmer dann die morsche Welt.
Georg Scbauniberg
Meerxvmä-Klänge
Wir glitten dahin; es wiegten die Wogen
Schnieichelnd das Schiff im tyrrhenischen Meer;
Die glänzenden Vollmondstrahlen zogen
Seide durchs Wasser von Golde schwer.
Traumhaft hob sich ein Wind in den Rahen, —
Ich spähte, wo Bajä im Dunkel versank,
Dachte Pompejis des fernen — nahen, —
Und lauschte des Windes seltsamem Klang.
Da >var mir, als hörte ich leichtfüßges Schreiten,
Flöten und Zymbeln. — Wie konnte das sein?
Der Wind sog wohl Klänge vergangener Zeiten
Einst in die sangfrohe Seele ein;
Lauschte wohl noch in römischen Tagen
Den Sklavenmädchen, die braun und zart,
Tanzend bei Flöten und Saitenschlagen
Den Gebieter ergötzten ans mondheller Fahrt
Er sah wohl die Barke, Kränze behängen;
Unter dem goldenen Baldachin
Vom heißen Arm des Geliebten umfangen,
Glühend, die herrlichste Römerin.
Neigte er wohl auch zu ihnen sich nieder
Und fachte im Herzen die Flammen noch an
Durch seltsam süße verklungene Lieder,
Die eine andere Zeit sich ersann? —
Grtia I)einemann
]n Martin lutljers Spraye
„Tlnno 1529 den 5. vecembcr bat es fl0) am andern
Sonntag des Hdoents begeben, daß tu St. Jacob iu Uibcdt
ein Capellan Uahmens herr htllebrand die früflpredlgt
verrichtet, und da er nach der Predigt dem damaligen
ßebraud) nach angeboben vor die Codten ;u bitten,
haben zmeij kleine Knaben in der Kirchen angeboben
zu fingen den ßefang: Uch Sott vom Himmel sieb
darein und bat die gantze Semeiude diesen Psalm biß
>u Ende mitgefungen, und das ifl der erste deutsche
Psalm, der zu lübetb in der Kirchen gelungen worden,
nach diesem Page wenn ein Munch oder ander Prediger
auff die Csutzel kommen, und etwas redete, so den
evangelisch geflnneten nicht anstand, haben sie alsobald
angefangen zu fin en: stch Sott vom liimmel sieh
darein und der Prediger hat muffen aushoren, und
von der (anbei berunterfteigen.“
(Aus einer alten lübschen CljroniK von Kuno 1677.)
viel Gezeter und ßczaufe,
Jede Kanzel ist der Krieg,
Hochamt oder freie Predigt,
wem wird endlich doch der Sieg)
Nie lnther, liie l'apift;
Oie Antichrist, hie Christ.
Nch Sott vom Himmel steh darein.
liier die evangelische lehre,
Dort der Kapellan, der Münch;
Luthers deutsche Sprache säubert
Das lateinische Setnnch.
Die flamme leuchtet roth,
Ccclefta in Not.
Nch Sott vom liimmel steh darein.
Jn Sauet Jacob vorm Bltare
Steht der Priester Hilicbrand,
Streng die Messe celebrierend
Jm gestickten Prachtgewand.
Monstranz und Cingulunt,
Cruf, Refponforium.
Nch Sott vom liimmel steh darein.
Sloria Deo in exeelsis —
Plötzlich ssngen hoch vom Chor
Zwei drei zarte Kinderssimmen,
wie ans frischem Morgentor,
Kerndeutsch, im Mutterbann,
Da freut sich jedermann:
,,Nch Sott vom liimmel steh darein "
Mächtig singt es die Semeiude,
Alle, alle fallen ein,
Singt das gante Lied tu ende,
Und so wird es fürder sein,
jm deutschen Kirchenlaut,
Dem sich das Herz vertraut.
Nch Sou vom liimmel sieh darein.
Detlev v. LUlencrori
Gedanken
Im Witz herrscht der Stoff, in der Satire
das Temperament, in der Ironie der Geist,
im Humor — der Mensch.
Das Verbrechen des Andern liegt vor Allem
in unserer Vorstellung. Darum heisst’s*
Richte nicht!
Recepte und Surrogate gibt es für Alles
und Jedes in der Welt, nur für Eines nicht:
für das Leben.
Gute Gedanken sind Geschenke der Götter.
Die Götter schenken aber nicht gerne in Ge-
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Paul Garin
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