1906
JUGEND
Nr. 26
Unter Malern Richard Graef (München)
„Scheu Sie, Rafael wäre auch dann ein Maler geworden, wenn er ohne Hände geboren worden wärel"
„Und ich habe einen Rollegen, der malt überhaupt nur mit dem Maul."
Rembrandt
In Antwerpen sieht man noch heute das
Hans des Rubens, jenes Künstlerheim, wo der
Gewaltige in fürstlichem Glanze lebte und be-
trauert von der Welt seine Angen schloß. Das
Hans, das Rembrandt wahrend der Zeit seines
Glückes in der Amsterdamer Brestraat bewohnte,
ging 1656 in den Besitz eines Schnhmacher-
meisters über. In einer Spelunke auf der Rosen-
gracht, klanglos wie ein Bettler, verschied er.
Wie erklärt sich das Schicksal der beiden Meister,
die man die größten der Niederlande nennt?
Sicher, das Neinmenschliche spielt mit. Rubens
war ein Künstler des Lebens. Vornehm, eine
dekorative Erscheinung, nie die Formen verletzend,
zog er alle in seine» Bann. Wundervoller Ein-
klang bestand zwischen dem, was er als Maler
wollte und dem, was die Besteller verlangten.
Rembrandt war ein rüder Patron. Durch brüske
Kavaliersmanieren ärgerte er die Holländer eben-
so sehr, wie durch Nichtachtung der bourgeoisen
Moral. Aufträge,^hie man ihm gnädig ertheilte,
gestaltete er so, 'zwar immer ein Kunstwerk,
ein unvergängliches Kunstwerk, doch selten das
entstand, was Herr Müller und Herr Schulze
wünschten. Das führt zum zweiten Punkt. Flan-
dern in den Tagen des Rubens war ein Land
kirchlich-aristokratischer Kultur. Theils den fest-
stehenden Bedürfnissen einer schönheitssrohe»
Kultur, theils den Anforderungen ästhetisch ge-
schulter Kenner hatte die Kunst zu dienen. Im
demokratisch - protestantischen Holland übernahm
der Bürger die Kunstpslege. Das Publikum
ward der Diktator des Geschmacks. Aus diesem
Massenkonsum zog die Kunst mancherlei Vor-
theile. Vorher nur für wenige da, dnrchdrang
sie nun das Leben des Volkes. Urkunden mel-
den, daß selbst in Schuster- und Schneiderstuben
damals Oelbilder, nicht Photographien hingen.
Doch andrerseits — hätte man die Photographie,
wenn sie schon erfunden gewesen wäre, nicht
vorgezogen? Liegt in dem Wort „Kunst für Alle"
nicht ein tragischer Widerspruch? Kann ein Künst-
ler, ein echter Künstler Interpret des Herden-
geschmackes sein? Was Rembrandts Größe ans-
macht und was sein Verhängniß ward, ist auf
diese Frage znrückznführen. Wodurch unter-
scheidet er sich von allen, die vor ihm den Pinsel
führten? Sie erledigten Aufträge. Das Nicht-
bestellte, zwecklos Geschaffene spielt bei Dürer
und Holbein, bei Rafael und Tizian, bei Velas-
quez und Rubens eine ganz nebensächliche Nolle.
Bei Rembrandt die wichtigste. Da, wo er mehr
ist, als Do», van der Helst und Bol, hat er
die Aufträge, die ihm zugingen, vergewaltigt.
Und wo er Rembrandt ist, der wirkliche Rem-
brandt, spricht er nur mit sich selbst; nur seinen
eigenen, künstlerischen Ideen gibt er Ausdruck,
malt, malt und malt, ohne nach dem Zwecke zu
fragen. So ward er der erste freie Künstler,
der erste stolze Verkünder des l’art pour l’art.
An keine Marschroute sich bindend, vom Flug
seines Genius getragen, gelangte er in Welten
der Schönheit, die noch kein Auge sah. Auch
dahin freilich, daß seine Mitbürger ihm die Nach-
folge weigerten, daß er Unverkäufliches produ-
zierte, statt schlecht und recht den Bedarf der
Masse zu decken. Man steht vor der Thatsache,
daß in bürgerlichen Kulturen ein Künstler, je
mehr er der Kunst dient, um so mehr vereinsamt.
Das ist die Lehre, die der Fall Rembrandt auch
noch für unsere Zeit enthält.
Richard flßuther
Zur geil* Beachtung I
Nr 9Q der
ui. Feier des 15-
wird am 16. Juli zur
Deutschen Bundes-
schiessens in München als
Scheibenbilder-Nummer
erscheinen. Julius Diez hat das Titelblatt gezeichnet,
eine Verbrüderung von Süd und Nord mit dem
Bundesspruch: „Es lebe die Eintracht!“ Fritz August
von Kaulbach gab eine lustige Scheibe mit seinem
Selbstbildnisse, Eugen Ludwig Hoess eine Scheibe: ,,Hoch-
jagd im Alg'äu,“ Max Feldbauer ein „Tegernseer Bauern-
mädchen,“ Angele Jank die Scheibe „Deutschland,“
Adolf Miinzer ein köstliches „Jägerlatein.“ Alle diese
Scheibenbilder sind in den bekannten Farbendrucken
der „Jugend“ gehalten.
Mit litterarischen Beiträgen werden Ludwig Gang-
hofer, Arthur Schubart, A. De Nora, Biedermeier mit ei,
Hans vom Walde, Konrad Dreher, Roda Roda, Karl Ettlinger,
u. a. vertreten sein.
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Nr. 26
Unter Malern Richard Graef (München)
„Scheu Sie, Rafael wäre auch dann ein Maler geworden, wenn er ohne Hände geboren worden wärel"
„Und ich habe einen Rollegen, der malt überhaupt nur mit dem Maul."
Rembrandt
In Antwerpen sieht man noch heute das
Hans des Rubens, jenes Künstlerheim, wo der
Gewaltige in fürstlichem Glanze lebte und be-
trauert von der Welt seine Angen schloß. Das
Hans, das Rembrandt wahrend der Zeit seines
Glückes in der Amsterdamer Brestraat bewohnte,
ging 1656 in den Besitz eines Schnhmacher-
meisters über. In einer Spelunke auf der Rosen-
gracht, klanglos wie ein Bettler, verschied er.
Wie erklärt sich das Schicksal der beiden Meister,
die man die größten der Niederlande nennt?
Sicher, das Neinmenschliche spielt mit. Rubens
war ein Künstler des Lebens. Vornehm, eine
dekorative Erscheinung, nie die Formen verletzend,
zog er alle in seine» Bann. Wundervoller Ein-
klang bestand zwischen dem, was er als Maler
wollte und dem, was die Besteller verlangten.
Rembrandt war ein rüder Patron. Durch brüske
Kavaliersmanieren ärgerte er die Holländer eben-
so sehr, wie durch Nichtachtung der bourgeoisen
Moral. Aufträge,^hie man ihm gnädig ertheilte,
gestaltete er so, 'zwar immer ein Kunstwerk,
ein unvergängliches Kunstwerk, doch selten das
entstand, was Herr Müller und Herr Schulze
wünschten. Das führt zum zweiten Punkt. Flan-
dern in den Tagen des Rubens war ein Land
kirchlich-aristokratischer Kultur. Theils den fest-
stehenden Bedürfnissen einer schönheitssrohe»
Kultur, theils den Anforderungen ästhetisch ge-
schulter Kenner hatte die Kunst zu dienen. Im
demokratisch - protestantischen Holland übernahm
der Bürger die Kunstpslege. Das Publikum
ward der Diktator des Geschmacks. Aus diesem
Massenkonsum zog die Kunst mancherlei Vor-
theile. Vorher nur für wenige da, dnrchdrang
sie nun das Leben des Volkes. Urkunden mel-
den, daß selbst in Schuster- und Schneiderstuben
damals Oelbilder, nicht Photographien hingen.
Doch andrerseits — hätte man die Photographie,
wenn sie schon erfunden gewesen wäre, nicht
vorgezogen? Liegt in dem Wort „Kunst für Alle"
nicht ein tragischer Widerspruch? Kann ein Künst-
ler, ein echter Künstler Interpret des Herden-
geschmackes sein? Was Rembrandts Größe ans-
macht und was sein Verhängniß ward, ist auf
diese Frage znrückznführen. Wodurch unter-
scheidet er sich von allen, die vor ihm den Pinsel
führten? Sie erledigten Aufträge. Das Nicht-
bestellte, zwecklos Geschaffene spielt bei Dürer
und Holbein, bei Rafael und Tizian, bei Velas-
quez und Rubens eine ganz nebensächliche Nolle.
Bei Rembrandt die wichtigste. Da, wo er mehr
ist, als Do», van der Helst und Bol, hat er
die Aufträge, die ihm zugingen, vergewaltigt.
Und wo er Rembrandt ist, der wirkliche Rem-
brandt, spricht er nur mit sich selbst; nur seinen
eigenen, künstlerischen Ideen gibt er Ausdruck,
malt, malt und malt, ohne nach dem Zwecke zu
fragen. So ward er der erste freie Künstler,
der erste stolze Verkünder des l’art pour l’art.
An keine Marschroute sich bindend, vom Flug
seines Genius getragen, gelangte er in Welten
der Schönheit, die noch kein Auge sah. Auch
dahin freilich, daß seine Mitbürger ihm die Nach-
folge weigerten, daß er Unverkäufliches produ-
zierte, statt schlecht und recht den Bedarf der
Masse zu decken. Man steht vor der Thatsache,
daß in bürgerlichen Kulturen ein Künstler, je
mehr er der Kunst dient, um so mehr vereinsamt.
Das ist die Lehre, die der Fall Rembrandt auch
noch für unsere Zeit enthält.
Richard flßuther
Zur geil* Beachtung I
Nr 9Q der
ui. Feier des 15-
wird am 16. Juli zur
Deutschen Bundes-
schiessens in München als
Scheibenbilder-Nummer
erscheinen. Julius Diez hat das Titelblatt gezeichnet,
eine Verbrüderung von Süd und Nord mit dem
Bundesspruch: „Es lebe die Eintracht!“ Fritz August
von Kaulbach gab eine lustige Scheibe mit seinem
Selbstbildnisse, Eugen Ludwig Hoess eine Scheibe: ,,Hoch-
jagd im Alg'äu,“ Max Feldbauer ein „Tegernseer Bauern-
mädchen,“ Angele Jank die Scheibe „Deutschland,“
Adolf Miinzer ein köstliches „Jägerlatein.“ Alle diese
Scheibenbilder sind in den bekannten Farbendrucken
der „Jugend“ gehalten.
Mit litterarischen Beiträgen werden Ludwig Gang-
hofer, Arthur Schubart, A. De Nora, Biedermeier mit ei,
Hans vom Walde, Konrad Dreher, Roda Roda, Karl Ettlinger,
u. a. vertreten sein.
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