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Die Geschäftsreise

Line Schwarzmeergeschichte

Von A. Freiherr» von Engelhardt

Nein Gepäck war schon an Bord gegeben.
Ich hatte noch Zeit und stieg lässig die
monumentale Riesentreppe hinab, die vom
Boulevard und dem lächerlichen Standbild des
»kleinen" Richelieu, wie der verdienstvolle Be-
gründer von Gdessas Größe zum Unterschied
von seinem großen Vorfahren genannt wird,
hinunterführt an den prächtigen ksafen. Es
war im August. Die heißeste Zeit in Süd-
rußland. Verbrannt, in ödeni Braun lag die
weite Steppe da. Alles Leben schien in ihr
erstorben. Und selbst in der großen Stadt,
die ich, halbtot von der unerträglichen Gluth,
im Petersburger Schnellzuge erreicht hatte,
krochen die Menschen wie matte Fliegen herum.
Die Träger und ksotelbedicnsteten waren sogar
klebrig wie die Augustfliegen, die einem das
Suppeessen auf dem Lande so appetitlich
machen. Aber das war eine gewöhnliche Er-
scheinung, denn die verehrlichen Individuen,
die sich jenem liebenswürdigen Beruf widmen,
ßud immer und überall klebrig. In «Odessa
vielleicht nicht mehr als in anderen südlichen
kjafenxlätzem

In den Straßen stank es nach Kalk,
Asphalt, Theer und allem möglichen anderen
Kulturdreck, dessen sich der moderne Städter
zur Verschönerung und Reinigung seiner an
llch ja schon ungemein anmnthigen Wohn-
plätze bedient. Kurzum, ich war froh, daß
!$, der Königin des Schwarzen Meeres den
Bücken kehren durfte. Dort unten lag der
pafen, die freie See dehnte sich weit aus in
dunstiger Bläue und vereinte sich in der Ferne
"nt dein silberschimmernden Horizont. Und
an der Landungsbrücke harrte der schwarzen
Bauch ausstoßende „Konstantin," dem ein
paarhuudert Menschen Leib und Leben an-
vertrauen sollten.

. Basch waren die paar Dutzend Passagiere
eFf ersten Klasse installiert. Einer bei See-
eilen altbewährt befundenen Gewohnheit
ini^ud- hatten sich gleich nach der Abfahrt
ehrere Herren bei den eisgekühlten Schnaps-
,7°"- gefunden. Eine vorzügliche Sakuska,
deren Spitze die mit Recht verehrten Mak-
{>escu~m Tomaten den südrussischen Lharakter
,, ss Iuibisses markieren, erfreute den Magen,
das Wässerchen löste die Zungen.
ei„?^F den Schwarzmeerdampfern pflegt sich
inei rst'.^unt gesprenkelte Gesellschaft zu

schiederssteu Typen. Neben Süd- und Nord-

s^,,i?^n. Auch diesesmal gab es die ver-
russe , f ftl Typen. Neben Süd- und Nord-
der " .hl. "ran die beweglichen Gaunergesichter
Erfol^^^chen Kaufleute, die mit so großem
Und ü ÖCn bilden des Zarenreichs bewuchern.
Hieittr re örfürchtetsten Konkurrenten, die Ar-
lose Kl' gebührend vertreten. Die stellen-
die : "nzostsctze Gouvernante durfte nicht fehlen,
niuis dom" ^'flis reist, alles „sauva^e
ieressi,, " , " und des öfteren, nach in-
Odysseen, als mehr oder weniger

äbgeschobc?!'^wird^""°r üKe freic b?ei>nath
Ei,,

^'erren fix \ uu? uuu

Türken (,-<!, 'l Perser, Bucharen, ernsthafte
allerhand k vornehme Georgier und noch
und zweite Fsirdartige Gestalten füllen die erste
ein Dölferrhn v öes Dampfers und bilden
wegenen as durch die wahrhaft ver-

der SeifnnffJ • min9m und Nachtasyltypen
Dämonisch^^° Stid? i,,S Unheimliche,

tz te,« «ms?

^ "vgedruht, halt seine s->!,re„de l

^ de" Pontus Euxinus

oft durchquert

... ...- ziem-

tialt seine fahrende Habe unter

doppeltem und dreifachem Verschluß und warte^
geduldig auf den unvermeidlichen Skandal,, den
er erleben muß. Einen solchen gibt es dort
an Bord fast immer. Sei es, daß enragierte
Kartcnspieler das Glück korrigieren, daß ein
jüngerer Schiffsoffizier sich mit einer ange-
jahrten Eocotte verlobt, die er, weinselig
schluchzend, für eine reine Jungfrau erklärt,
sei es, daß ein glänzender Gardeoffizier in
vorübergehender Geldverlegenheit alle Uner-
fahrenen anpumpt und sich schließlich am
Landungsplatz als entlaufener Sträfling ent-
puppt, sei es, daß man von seinem Eabinen-
nachbar einfach bestohlen wird. Kurz und gut,
irgend etwas passiert, das man im faulen Westen
als ungewöhnlich bezeichnen würde, worüber
sich aber der «Orientale, und ein solcher bleibt
auch der Russe, kauni aufregt. Es ist ihm
das, so ein kleiner Diebstahl, Säbelhieb über
den Schädel, Kartenmogelei oder ähnliche
Scherze, eine liebe Abwechslung der eintönigen
Seereise, auf deren Eintreffen er mit stoischer
Sicherheit rechnet.

Also, wir saßen beim Schnaps. Links
neben mir ein riesiger Pope aus Kiew, der
der Wodka eifrig zusprach und mich nach jeder
Rjumotschka seiner Sympathieen für den «Ost-
seestrand versicherte, den er in früheren Jahren
mit seiner Anwesenheit beglückt zu haben
schien, Hochwürden stank von weitem nach
Schnaps und stimnite nach dem sechsten oder
siebenten Gläschen ein geistreiches Schelmen-
liedchen an, so daß er genügend beschäftigt
war — in den kurzen Pausen zwischen den
einzelnen Versen rülpste er — und ich meine
Aufmerksamkeit dem Nachbar zur rechten zu-
wenden konnte.

Ls war ein Armenier. Fett und auf-
geschwemmt wie die meisten seiner Nation.
Die listigen und zugleich klugen kleinen Augen
funkelten lebhaft hin und her unter den zeige-
fingerdicken kohlschwarzen Augenbrauen. Er
hatte sich eine Flasche von jenem ochsenblut-
dunklen Kachetiner bestellt, der die Söhne
Kaukasiens begeistert, und schmatzte wohl-
gefällig, die dicken Lippen zu einem behag-
lichen Grinsen verziehend, Herr Abraham
Tigranianz — so hieß mein Nachbar — war
Teppichhändler in Latum und hatte soeben
eine größere Geschäftsreise zurückgelegt. Er
klagte laut über die schlechten Zeiten und ge-
dachte wehmüthig seiner früheren Verdienste.
Lebhaft und voller Phantasie wie alle Ar-
menier, kam er aus einem Gesprächsthema
ins andere und blieb schließlich bei den Weibern
hängen, Hier schien er in seinem Element.
Nachdem er einige Anekdoten und Erlebnisse
aufgetischt hatte, wandte er sich an sein vis-^-vis,
einen jungen, recht lebemännisch ausschauen-
den Kubankosakenoffizier mit der Frage, ob
dieser schon Umschau unter den weiblichen
Passagieren des „Konstantin" gehalten habe.

Der junge Krieger lächelte diskret, „Hol's
der Teufel," sagte Tigranianz, „es ist ein feines
Weib darunter, eine Landsmännin von mir,
ich habe sie oft in Batum gesehen. Eine
Schönheit. Und nicht spröde, wenn man's
richtig anfängt, will ich meinen."

Dabei blinzelte er mir mit den lüsternen
Schweinsäuglein ermunternd zu und machte
mit den wohlgeübten Speckfingern die Ge-
bärde des Gcldaufzählens. Einige der Herren
horchten auf und fragten genauer nach der
Schönen. „Später, an Deck, will ich sie Ihnen
zeigen, meine Herren," lächle Herr Abraham,
„und ganz uneigennützig, ich beanspruche
weder Courtage noch Antheilscheine!"

Man lachte über den drolligen Armenier.
Durst und erster Hunger schienen gestillt. Der
poxe stand schwitzend und astmathisch schnaufend
auf, schlug seine drei Kreuze und verneigte
sich tief vor dem Heiligenbilde in der Kajüten-
ecke. Alles erhob sich.

Bald traf man sich wieder auf dem verdeck.
Kaum hatte ich mich oben ein wenig umgesehen,

Mein

A. Fricke (München)
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Alexis Frh. v. Engelhardt: Die Geschäftsreise
A. Fricke: Allein
 
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