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Nr. 27

JUGEND

1906

Tempora mutantur E- Wüke

Wenn der Kchkosthcrr in früheren Seiten Lurch Las Achkofzthor schritt, raffekte das
Sifen: wenn Lie Herrschaft heute von einer Acisc nach Haufe Kommt, Kkinzt es ver-
dächtig nach AikKer!

tauchte köerr Abraham an meiner Seite auf.
„Sehen Sie," flüsterte er mir zu, „da ist sie, ich
habe den Kasakeu schon mit ihr bekannt gemacht.
Er bat mich so sehr," setzte er wie entschuldigend
hinzu.

Ich erblickte ein üppiges, sinnliches Weib mit
deti stark hcrvortretenden Reizen der dreißigjährigen
(Orientalin. Lin großzügiges braunes Antlitz mit
leichtem Bartauhauch über den rothen, vollen
Lippen, sprechenden, schönen Augen und tief-
schwarzem kjaar. Sie plauderte ungezwungen mit
dem jungen Gffizicr, der sichtlich Feuer gefangen
hatte. Lr stand dicht vor ihr unb bewunderte
recht indiskret den mächtigen Busen der Dame,
während zwei atidere Herren mit Kennerblicken
die iinposante Rückseite zu studieren.schienen.

Herr Abraham kicherte: „Sehen Sie, was für
ein famoses Weib. Die wird bis Batum Diele
in Atem halten, was meinen Sie, wollen Sie
nicht auch mitmachen? Ich stelle Sie vor, ver-
suchen Sie Ihr Heil."

„Einstweilen werde ich es vorziehen, abzu-
warten," wehrte ich den liebenswürdigen Herrn ab.

„wie Sie wollen," meinte Herr Abraham und
verschwand in einer anderen Gruppe, wo ich ihn
bald wieder die Vorzüge von Darja Dawidowna,
io hieß seine schöne Landsmännin, anprcisen hörte.
Die Gruppe trat enger zusammen, Herr Abraham
fand interessierte Zuhörer.

Ls dunkelte, die See ging hoch, wir näherten
uns dem berüchtigten Vorgebirge Tarchan-Knt,
wo selbst beim besten Wetter das Schiff unange-
nehm zu rollen beginnt. Ich promenierte oben,
von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick in den
hellerleuchteten Decksalon, wo fanatisch die Karte
geschlagen wurde. Auch Herr Abraham hatte sich
als wüthender Kartenspieler entpuppt. Im Laufe
meiner mehrstündigen Promenade konnte ich be-
obachten, daß sich die Banknoten vor den flinken,
fetten Händen des Armeniers erfreulich häuften,
während die Gesichter seiner Mitspieler immer un-
zufriedener und länger wurden. Auf den, (Über-

deck war es still und schön. Nur wenn ich aus
meinem Spaziergang in die Nähe des Schorn
steins kam, machte ich höflich Kehrt. Ls blitzte
dort etwas wie lluiformkuöpfe und dicht daneben
winkten die weiten, üppigen Umrisse von Darja
Dawidowna. Leise verhaltenes Lachen und die
faden, nichtssagenden Schmachtseufzer flüchtig ver-
liebter Leutchen gestalteten die Szene ziemlich schwül.

Am andern Morgen, in Sebastopol, schloß sich
unsere Gesellschaft schon enger au einander. Ich
erfuhr beim Frühstück, daß Ejerr Abraham fabel-
haft glücklich gespielt und gegen dreihundert Rubel
gewonnen habe. Die etwas zurückhaltenden Ge-
sichter seiner Partner und ihre feste düstere
Versicherung, daß sie kein weiteres Spiel mit Herrn
Abraham riskiren wollten, machten mich etwas
nachdenklich. Der deutsche Dberlehrer, mit deui
man sich seiner infernalischen Zigarren wegen nur
kurze Zeit unterhalten konnte, raunte inir zu:
„Der Kerl ist ein Schwindler, ein Falschspieler,
ich habe mir seinen Namen notiert."

Herr Abraham selbst war sehr aufgeräumt und
gemüthlich uubefaugeu wie immer. Ganz freund-
lich neckte er die Herren, die nicht mehr mit ihm
spielen wollten, „wirklich, Sic haben Kartenpech,"
lachte er, „gewiß wird es Ihnen mit der Liebe
besser glücken, entschädigen Sie sich!" Und er
zwinkerte nach Darja Dawidowna hinüber, die
etwas blaß und interessant aussehend, ihren Thce
trank, und ziemlich unverschämt mit eiue:n ele-
ganten Wegebauingenieur kokettierte, der soeben
an Bord gekommen war.

wir passierten das malerische Gestade der
Krim. Die Fahrt verlief prächtig und es herrschte
eine sehr animierte Stimuiung. Bei Tisch amü-
sierte uns der Armenier mit unzähligen Geschicht-
chcn und hatte augenscheinlich wieder das ver-
trauen der Gesellschaft gewonnen, denn in wenigen
Nachmittagsstundeu hatte er bei einem Spielchen
wiederum etwa hundert Rubel eingeheimst. Als
einer der verlierenden ihm etwas malitiös sagte,
die Arinenier seien ja bekanntlich klug und, wie es

scheint, sogar so gcscheidt, daß sie selbst die Karten
durchschauten, antwortete der freundliche E?crr
Abraham: „Ja, wir sind klug, aber einen Dumm-
kopf hatten wir doch unter uns, den Delianow.
Der wurde deshalb auch bei Ihnen in Petersburg
Minister."

Ls versteht sich, daß der schlagfertige Teppich-
Händler die Lacher auf seiner Seite hatte. Gegen
Abend mußte Darja Dawidowna, die dank der
eifrigen Bemühungen ihres uueigeunützigeu Lands-
mannes zum begehrten Mittelpunkt eines ganzen
Kreises von Verehrern geworden war, einige
Romanzen zum Besten geben. Dann verschwand
sie aus dem Saloti. Und als am dunkle» süd-
lichen Himmel die Sterne ihr flimmerndes, sehn-
süchtiges Licht verbreiteten, konnte man, wenn
man vorsichtig war, auf deiti verschwiegenen plätz-
chctl in der Nähe des Schornsteins Darja Dawi-
downa an der Seite des eleganten wegebau-
iugeuieurs mehr ahnen als genau unterscheiden.
Der arme Kosakenoffizier wurde von ihr nicht be-
achtet. wütheud lief er einige Zeit neben mir
auf und nieder, um schließlich, alle Hoffnung auf-
gcbcud, sein einsames Lager aufzusuchcn. Zuvor
aber machte er feinem bedrückten Oerzen tnit den
klaren und ausdrucksvollen Morten Luft: „Die
Kanaille, hundert Rubel hat sie mir abgerissen.
Hoffentlich schröpft sie den faden Lasten ordentlich."

Ich muß auuchuien, daß Darja Dawidowna
den begreiflichen Wunsch des verliebten Kosaken
redlich erfüllt hat. And zwar nicht nur in Bezug
auf den einen Nebenbuhler. Gewiß nicht. Denn
am dritten Tage erst erreichte der Flirt um die
schöne, liebenswürdige Armenierin seinen Höhe-
xunkt. Lin kleiner Schwarm jüngerer und älterer
Kavaliere war um sie bemüht. Und wenn ich au
die kleinen Versteckszenen, an das Huschen über
den Labineugang, cm die halb erfreuten, halb ver
lcgeuen Gesichter zurückdeuke, muß ich leider —
ohne daß ich Darja Dawidowna dauiit uahetreten
will — mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten,
daß mindestens ein halbes Dutzend ihrer Verehrer
nicht vergeblich um ihre Gunst gebuhlt hatten.
Sic war eine gnädige, freigebige Göttin.

Unterdessen betrieb ihr kluger Laudsmanu, Herr
Abraham, sein lukratives Geschäft mit unheim-
lichem Erfolg. In der ersten Klasse war das Pu-
blikum mißtrauisch geworden. Nachdem er dem
Ingenieur im Makao vierhundert Rubel im Haud-
umdrehetl abgenommeu hatte und dieser schwor,
er habe deutlich bemerkt, daß Herr Abraham die
Volte schlage, wollte es niemand mehr mit dem
Teppichmann versuchen.

Lr ließ sich's jedoch nicht verdrießen und untcr-
nahm einen erfolgreichen Beutezug in die zweite
Klaffe, der schließlich damit endete, daß der Kapi-
tän das Kartenspiel für den Rest der Fahrt ver-
bot. Tigrauiauz hatte nämlich einem betrunkenen
Veterinär die ganze Barschaft abgewouneu, wo-
rauf es unter den Passagieren der zweiten Klasse
zu einer kleinen Prügelei gekommen war, die der
Kapitän schlichtete, indem er den Herrn Abraham
zwang, dem betrübten viehmedicus die E^älfte
seines Geldes zurückzuerstatten.

Schließlich nahm also das Spiel ein Ende, Herr
Abraham war ohne Beschäftigung, und ich fragte
ihn, ob denn nicht jetzt auch er an den Bewerb-
lnigen um Darja Dawidowua's Freundschaft teil-
nehmen wolle: „Zu teuerl" erwiderte er, „zu teuer,
lieber Freund, wäre ich um zehn Jahre jünger
und leichtsinniger, dann vielleicht. Aber so, nein,
nein. Ich sehe lieber zu. Lasse die jüngeren
Herrn sich vergnügen. — Jeder hat seine Zeit ge-
habt", setzte er elegisch hinzu, „die meiuige ist vor-
über. Nur ein kleines, bescheidenes Spielchen
macht mir noch hier und da Vergnügen."

Sotschi und Neu-Athos lagen hinter uns. Die
herrlichen Uferlandschaften der kaukasischen Riviera
schwanden, das Gelände verflachte. Schon näherten
wir uns Batum, dem Ziele unserer Fahrt. Die
Koffer werden heraufgebracht, die Rechnungen be-
zahlt, die Trinkgelder entrichtet. Man nahm Ab
schied vom Kapitän und den (Offizieren. Auch von

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Erich Wilke: Tempora mutantur
 
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