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Der neue AZlutarch

„König Leopold soll durch seine Schloß-
bauten in finanziellen Nöten sein/' sagte ein
Herr zu einem andern.

„was ihn das meiste Geld kostet, ist aber
wenigstens — schön gebaut."

Das (Weimarer Ausstekkungsgefpenst

In Weimar schleicht im Künstlerbunde
Zu mitternächt'ger Geisterstunde
Ein Schreckgespenst, o Grauen!

Und wenn es wo was Nacktes sieht,

Wenn irgendwo ein Vorsprung blüht,

Dann wird er abgehauen 1'

Wer ist das schwarze Rabenvieh?

— Es ist der Geist der Prüderie,

Der spukt jetzt allerorten.

Er schleicht herum und späht und späht
Voll Gier nach jeder Nudität
Im Süden und im Norden.

Geliebter Leser, höre mich,

Ich bitte, ich beschwöre Dich:

Wenn Dir der Geist begegnet,

Schlag' ihm den hohlen Schädel ein,
Es wird nicht schade um ihn sein,

Und sei dafür gesegnet!

iu>»

Auch in Oesterreich projektiert man eine Erhöhung
der Postgebühren. Das nachfolgende Schreiben nimmt
hierauf Bezug:

Geliebter geistlicher Amtsbruderl

Du klagst über die bevorstehende Erhöhung der
Postgebühren in Oesterreich, anstatt Dich darüber
aus der ganzen Tiefe Deines frommen Gemütes
zu freuen. Das ist eine wahre Fügung Gottes.
Die Post kann man nicht genug vertheueru; denn
sie ist ein Werkzeug des Satans! Wer bringt alle
die ketzerischen Zeitschriften in's Land? .Die Post.
Wer gibt Personen beiderlei Geschlechtes die billigste
Gelegenheit, mit einander zu verkehren und un-
keusche Redensarten auszutauschen? Die Post.
Wer befördert dadurch die allgemeine Unsittlichkcit?
Die Post. Darum kann sie nie theuer genug sein.
Vielleicht gewöhnen sich die Menschen dann wieder
das Schreiben ab, das sicherlich das größte Un-
heil in die Welt gebracht hat. Was waren da?
noch für herrliche Zeiten, als von tausend ergebenen
Schäflein kaum eines seinen Namen klepen konnte!
Die Menschen sind ohnedies voll sträflicher Neu-
gierde, welches Laster durch die Post nur begünstigt
wird. Alles, was unsere Landsleut' zu wissen
brailchen, erfahren sie am Besten durch uns I So
bleiben sie vor der verderblichen Außenwelt behütet
und bewahrt für Zeit und Ewigkeit, vixi st
salvavi animam meam.

Dein Konfrater.

Marine- und andere Kurse. Ein Zeitungs-
gerücht meldet, der Zar werde den deutschen Flotten-
manövern bei Rügen von Anfang bis zu Ende
beiwohnen. Das Gerücht ist unbegründet. Es
war auf Grund einer Petersburger Meldung ent-
standen, daß der Zar sich für den Kurs unserer
nach Rügen beorderten Schlachtflotte interessiere;
diese Meldung beruht aber auf einem Mißver-
ständnis. Der Zar interessiert sich nicht für den
Kurs unserer Flotte, auch nicht für den Kurs der
seimgen, nicht für den alten und den neuen Kurs
seiner Regierung, sondern nur für den Kurs
des Rubels.

Grosspapa MNKelm

vor Wonne nröcht' ich heut' anr Boden kollern,
Ich rufe heut mein donnerndstes hnrrah:
wir haben einen neuen hohenzollern,
Und unser Willy ist jetzt Großpapa!

Ich gratulier' und danke Dir, Läcilie,

Und drücke meine tiefste Lhrfurclit aus,
Vermehrt ward prompt und pünktlich die

Familie,

wie man's gewohnt in urrserm Kaiserhaus.

Ls strampelt in der wiege mit Behagen
Lin kleines Kerlchen munter mit Gewalt.
(Jetzt darf man ja noch „Kerlchen" zu ihm sagen,
— In spätern Jahren kommt der Staatsanwalt.)

Glück auf! der Sozi selbst, der mit Lrdreistung
Bekrittelt Alles, was ein Kronprinz thut,

Lr steht beschämt vor dieser hübschen Leistung,
Und lüftet feierlich den Sonntagshut.

Ljurrah! So ruf ich nochmals angemessen,
Obwohl ich sonst nur selten Ljurrah schrei.

Ich flüstre Danke schön, Frau Kronxrinzessen,
Und füge leise ein „Da capo“ bei.

wahres Geschichtcheu. Der König von Württem-
berg machte letzthin gelegentlich eines Ausflugs nach der
bayrischen Grenzstadt L. in einem dortigen Weinrestaurant
einen Frühschoppen. In dem Gasthaus verkehren auch
sehr viele Stuttgarter, die von dem benachbarten Lande
herüberkommen und nicht gerade im Rufe stehen, mit
Trinkgeldern sehr freigebig zu sein. Beim Zahlen gab
der König der Kellnerin, gleichfalls einer württem-
bergerin, ein Zehnmarkstück seines Landes, und winkte
ab, als sie ihm herausgeben wollte. Da sagte die Jung-
frau, ihn nachdenklich mit seinem Bild auf der Münze
vergleichend: „Sie send au nett von Sturgert".

*

stevung des Standes der StadtDriefträger


Seitdem an die Berliner Briefträger nicht
mehr die entwürdigende Dumuthung, Zwei-
Pfennig üarten anszutragen, gestellt wird,
widmen sich viele Söhne besserer'Stände der
unteren Postkarritzre. Man bemerkt unter ihnen
mit Vergnügen „verkrachte Referendare," Stu-
denten etc. Cin „Post-Dolch" ähnlich dem
„Marine-Dolch" ist bereits in Cr vägung gezogen.

Unerwünschte Internationale Lourtoisit

Der freundlicheNikolaus beabsichtigt, einige
Mannschaften der Preobrafchenski-Grenadierc,
die sich eine neue Bewaffnung (Knüttel und
Bombe) zugelcgt, nach Berlin zur Vorstellung
zu senden. „Rosa" wird den Transport be-
gleiten!

Das russische Peer der Zukunft. Die
Mannszucht im russischen Heere ist vorzüglich!
Vergehen gegen die Subordination kommen nur
selten vor. Die Offiziere sind nur der Regiments-
generalversammlung und sonst niemandem ver-
antwortlich. Den Garnisonort, den Ort und die
Zeit des Dienstes sowie der Manöver bestimmt
die Regimentsgeneralversammlung nach Stimmen-
mehrheit. Die Mannschaften wählen ein Ehren-
gericht, das über militärische Vergehen urtheilt;
besonders streng werden die Vorgesctztenmißhand-
lnngen bestraft, die leider trotz aller gegen sie
gerichteten Bestrebungen noch immer nicht ganz
erloschen sind. Erst neulich wurde ein Gefreiter
eines Infanterieregiments mit 3 Tagen gelinden
Arrests bestraft, weil er seinen Obersten gezwungen
hatte, 25 mal seine, des Gefreiten Thranstiefel zu
lecken. — Heber eine Kriegserklärung entscheidet
das Plebiszit sämmtlicher Regimenter.

Nach dieser hceresverfassnng herrscht unter den
Offizieren eine vorzügliche Mannszucht. Verfehlun-
gen werden allerdings streng bestraft. So wurde der
Jar auf s Monate von Petersburg nach Jakutsk
in Sibirien strafversetzt, weil er auf einem hof-
ball mit dem Schatz eines Tambours des In-
fanterieregiments Schnapssofski nicht getanzt hatte.

Her Gläubiger als Scbulclner

Der Herr von Zander spricht entrüstet:

„Ich bin betrogen, überlistet.

Die Leute, denen ich gepumpt,

Sind ganz verwahrlost und verlumpt,

Sind schlimmre Räuber als der hennig,

Sie zahlen mir nicht einen Pfennig."

Ein Gläub'ger, der die Worte hört,

Spricht: „Herr, Sie sind mit Recht empört.

Auch mir geht es genau wie Ihnen.

Ich hoffte manches zu verdienen
An dem, was Sie gekauft. Statt dessen
Bezahlt' ich Kosten in Prozessen
Und Geld und waaren seh ich nie.

Nun, Herr von Zander, was sind Sie?"

Da lautete die Antwort Zanders:

„Ja, Bauer, das ist ganz was anders.'

*

In diesen Tagen wurde in Cassel der Papin-
brunnen zu Ehren des Erfinders der Dampf-
maschine eingeweiht. Er zeigt einen prächtigen
nackten Jüngling, der jubelnd das Modell des
ersten Dampfschiffes über seinem Haupte trägt.

Den^ dortigen Zweigverein des „Weißen Kreuz-
Bundes" faßte darob ein heiliger Zorn und er
veröffentlichte im Kasseler Stadt-Anzeiger eine Er-
klärung, in der er uachwies, daß alle Verbrechen
und Unsittlichkeiten aus der Welt nur von den
nackten Kunstwerken Herkommen.-

Was haben wir stets gesagt? Wenn unsere
Lustmörder weniger die Kunstsammlungen besuchen
würden, dann stände es weit besser. Aber so wird
es immer schlimmer. In den beiden Pinako-
theken und der Glyptothek wimmelt es nur so von
Lustmördern und Sittlichkeitsverbrechern. Der
Rubenssaal ist geradezu eine Verbrecherher-
berge. Und jetzt kommt auch noch das Kasseler
Papindenkmal! Michel, wann erwachst Du?
Register
Arpad Schmidhammer: Unerwünschte internationale Courteoisie
[nicht signierter Beitrag]: Das russische Heer der Zukunft
[nicht signierter Beitrag]: [ohne Überschrift]
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
[nicht signierter Beitrag]: Marine- und andere Kurse
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
[nicht signierter Beitrag]: Das Weimarer Ausstellungsgespenst
Karlchen: Grosspapa Wilhelm
Erich Wilke: Hebung des Standes der Stadtbriefträger
[nicht signierter Beitrag]: Der Gläubiger als Schuldner
 
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