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Selbstbildnis Aus „Los Caprichos“ Francisco Goya

0oya

Kometen, die sich cmf ihren Bahnen begegnen und krachend zer-
bersten, so platzten im achtzehnten Jahrhundert die Geisteraufeinander.
Ein gigantischer Kampf des Alten und Neuen, eine Zeit unvereinbarer
Gegensätze, wo Gebet und Blasphemie, Choral und Zote, Aberglaube
und Vernunft, Askese und wilde Brunst nebeneinander standen, wo Au-
torität neben Anarchie, Despotismus neben den Idealen der Menschen-
rechte cinherschrilten.

England war dem Kontinent mit gutem Beispiel vorangegangen und
die Gciskessaaten der Locke, ShafteSbury, Hume und Gibbon fielen
allerorts auf fruchtbaren Boden. In Frankreich standen Voltaire, Montes-
quieu, Rousseau und die Encyklopädisten im Vordertreffen gegen die kultur-
hemmcnden Mächte der Vergangenheit und erhoben flammende Proteste
gegen die politische und geistige Tyrannei, gegen die althergebrachten, durch
die Tradition geheiligten, moralischen und religiösen Grundsätze, gegen die
aller Vernunft hohnlachenden Zustände des öffentlichen und gesellschaftlichen
Lebens. Ein nervöses Zittern durchlief die von Gottesgnaden vor dem
Heil, das aus den Trümmern der Throne und Altäre erstehen sollte. Auch
in Deutschland, wo die Fürsten und Könige im Reiche der Kunst an der
Spitze marschierten, ertönten gewaltige Predigten des Umsturzes, schmet-
ternde Signale zur revolutionären Attacke, Ueberall hin drang ihr echo-
wcckeuder Ruf, kein Schntzwall vermochte ihm zu wehren. Selbst nach
Spanien, der Hochburg mittelalterlichsten Katholizismus und verbriefter
Königstreue, der Heimath pfäffischer Geistesknechtschaft, dem Paradiese
der Ketzerrichter, kam die neue Kunde, Und gerade hier sollte auf dem
Gebiete der Kunst ein revolutionärer Geist erstehen, der an Kraft und
Muth selbst die Gewaltigsten unter den Stürmern in den Schatten stellte

— Francisco Goya,

Als Bauernsohn wurde er 1746 in einem weltabgeschiedenen Dorfe
AragouienS geboren, Wild wächst er unter den Heerden auf. Eines
TageS zeichnet er ein Schwein an die Wand, Der ehrwürdige Mönch
Ton Felix Salvador erkennt die Begabung, die sich hier offenbart und

— Goya wird Maler. Ein Knabe noch, bemalt er, der schon eine latente
Feindschaft gegen die frommen Väter und Heiligen im Kinderherzen trägt,
die Kirche seines Heimathortes mit heiligen Bildern. In Saragossa kommt
er zu Meister Lujan Martine; in die Lehre, Er lernt nach seiner Art, ohne
Methode und Regel, keine Unterweisung anerkennend. Und doch führt er
den Pinsel bald mit der gleichen Bravour wie das aragouische Klappmesser.
Stark von Körper, gewaltthätig, unbezähmbar und leidenschaftlich, stets
kampfbereit, ist er der Anführer bei Spielen wie bei Raufereien. Allen

andern voran, wo es gilt zu raufen, zu saufen und zu lieben. Abenteuer,
Messerstechereien, Gelage — unter diesen Zeichen vergehen die Lehrjahre,
Als zur Zeit der „rosarios“ die Bruderschaft von San Luis auf offener
Straße die von Notre Dame del Pilar überfällt, da kommt auf seine Klinge
der Haupttheil der Tobten und Verwundeten, Die Inquisition verfolgt
ihn als Rädelsführer, Hohnlachend flieht er nach Madrid zu Meister Bayeu,
Wie in Saragossa, so ist ihm auch hier die Arbeit Nebensache. Er macht
einige mäßige Studien und Skizzen. Nachts durchzieht er mit seinen
Cumpanen die düstern Straßen und Gassen, singt in den Kneipen alte
Romanzen zur Guitarre, bringt Ständchen, klettert waghalsig auf ver-
schwiegene Balkone und führt den Degen. Mit einem Dolchstich im Rücken
finden ihn die Freunde, Die Inquisition erläßt einen Haftbefehl gegen
ihn. Nun zieht er von Stadt zu Stadt, tritt als Stierkämpfer auf und
flüchtet schließlich nach Rom, wo er dasselbe macht wie in Spanien. Be-
wundernd studiert er die Meisterwerke vergangener Kunst, oft ganze Tage
steht er vor ein und demselben Bild, aber er rührt keinen Pinsel au.
Flanierend treibt er sich auf den Straßen und Plätzen umher, hat fort-
während mit der Polizei zu thun, liebt und sticht die Rivalen nieder,

Tie Akademie von Parma stellt eine Preisaufgabe und Goya, der
Antiakademiker, trägt den zweiten Preis davon. In den Ateliers bewundert
man fein Können, in den Gesellschaften seine Abenteuer. Die Männer
fürchten und hassen ihn, von den Weibern wird er vergöttert. Ein junges
Mädchen aus vornehmer Familie wird seinetwegen von den Eltern ins
Kloster gesteckt, Goya dringt des Nachts ein, wird gefaßt und eingekerkert.
Auf diplomatischem Wege erlangt er seine Freiheit wieder und kehrt, mit
knapper Noth dem Galgen entronnen, nach Spanien zurück.

Dort hatte sich inzwischen der revolutionäre Geist Eingang verschafft.
Das Spanien, in dem einst ad majorem dei gloriam die Scheiterhaufen
gen Himmel loderten, hatte die Jesuiten verbannt, ihre Güter cingezogen,
ihre Lehrbücher verboten. Man verlachte die Inquisition, mißtraute dem
verheißenen Paradiese wie den angedrohten Höllenqualen und drehte den
asketischen Heiligen lauge Nasen. Männer wie die Grafen Florida-Bianca
und Aranda, standen dem vernünftigen König Karl III. thatkräftig zur Seite,
Reformen wurden eingeführt, das Volk sollte geweckt und aus seinem
geistigen und materiellen Elend, in dem es schmachtete, erhoben werden.
Aber man kam nicht weit mit den Reformen. Als die langen Mäntel,
unter denen sich der blanke Dolch so gut verbergen ließ, abgeschafft und
die dunkeln Gassen, in denen er zur Nachtzeit so diskret und sicher zum
Ziel geführt wurde, mit Laternen beleuchtet werden sollten, da brach eine
allgemeine Revolte los. Das Wenige, was erreicht wurde, geht unter dem
trottelhaften vierten Karl zum Teufel. Das Mittelalter zieht wieder ein,
die Pfaffen heulen Triumph, An den Kirchenthüren Madrids prangen
Edikte gegen die fremden ketzerischen Schriften, Mit dem großen Bann und
1200 Dirkaten Strafe wird jeder belegt, der im Besitze eines verbotenen
Buches betroffen wird. Die pfäffisch-aristokratische Wirthschaft beginnt und
während in Paris die Henker mit den Köpfen von Königen und Königinnen
jonglieren, liegen in Madrid die Mitglieder der Cortes entblößten Hauptes
vor Ihrer dekrepiden Blajestät Füßen,

Auch Goya ist ein anderer geworden. Nicht mehr der leidenschaftliche
Draufgänger und brutale Verfechter momentaner Launen tritt uns entgegen,
sondern ein arbeitsamer Maler, der Spanien eine neue Kunst gab; eine
Knust, die mit allem brach, was bisher war.

Anfangs zeichnet er Cartons für die Teppichmanufaktur, Scencn ans
dem Volksleben, Feste, Stiergefechte, Tänze, Briganten, Bettler, Dirnen,
Dadurch wird er Nationalkünstler, populär und berühmt. Die Akademie
ernennt ihn zum Mitglied, bald wird er Hofmaler, mit dem Titel Excellenz,
schließlich Akademiedirektor! Im königlichen Schlosse geht er aus und ein.
Seine an Grobheit grenzende Offenheit, mit der er aller Welt die Meinung
sagt, bringt Leben in die mönchische Stickluft des Hofes, seinem durchdringenden,
spöttischen Blicke und seiner im besteil Angedenken stehenden Toledanerklinge
geht ein entnervter, hoher Adel geflissentlich aus dem Wege. Dessen Frailcn
und Töchter fliegen ihm zu. Er malt sie und man sagt, daß er sie auch
liebte, daß Majas und Herzoginnen in seinen Armen lagen,

In dieser Zeit wächst sein Ruf als Porlrätist von Tag zu Tag. Es
gehörte zum guten Ton, von ihm gemalt zu werden. Die königliche Familie,
der kastilianifche Hochadcl, Politiker, Dichter, Gelehrte, Schauspielerinnen,
Courtisanen sind seine Modelle, Der Herzog von Wellington verläßt
Madrid nicht eher, bis ihn Goya portraitiert hat, Hub doch gibt cs keinen,
der auf den Bildnissen weniger geschmeichelt hat wie gerade er,

Bild auf Bild wächst unter seinen Händen hervor: Kunstwerke, sobald
ihn der Gegenstand reizt; Dnrchschnittswaare, sobald er ihm gleichgiltig ist.
Bald machen sich die Folgen der Ueberarbeitnng bemerkbar, ein
Nervenleiden, dessen Keim er schon seit seiner Kindheit in seinem herkulischen
Körper trug, tritt hinzu. „Ich bin alt geworden, mit vielen Runzeln," schreibt
er an seinen Freund Zapater, „und Dir würdest mich nur an der Stubsnase
und den thräuenden Äugen wiedererkeunen." Dann wurde er taub. Aber
der Verlust dieses Sinnes steigert einen andern. Sein Gesicht bildet sich in
erschreckender Schärfe aus. Die Bildnisse zeigen, wie tief seine „thräuenden
Register
Francisco José de Goya y Lucientes: Selbstbildniss
Hermann Popp: Goya
 
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