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Heimkehr vom Walde

Giovanni Seganlini f

Das Sichtern

Hast du den Schnitter gesch'n
Wit dem silbernen Sichlern?. . .
Aeöer die thauige Wiese
Sah ich ihn geh'n.

Sah ihn über das Feld
Schreiten im Morgengrauen.

JEief ein wittern und Schauern
Von Halm Halm.

War auch hinter ihm her
Ein drohendes Klingen.

Me Dkumen des Feldes
Senkten ihr Haupt.

Hast du den Schnitter geseh'n
Wit dein silbernen Sichlern? . ..

In deii starrenden Stoppeln
Raschelt der Wiiid.

Maurice von Stern

Aphorismen

Von Dr. Baer (Oberdorf)

Nicht, was wir erleben, ist unser Schick-
sal — sondern wie wir’s ertragen.

Fliessende Wasser reinigen sich schnell,
ebenso geht es thätigen Menschen.

Die glücklichsten Menschen sind nicht
die, die erreicht haben, was sie wollen, son-
dern die gewollt haben, was sie erreichen.

In idealem Sinne reif für die Ehe ist nur
der, der stark genug ist, sich für die kom-
mende Generation zu opfern.

Es gibt geborene Stiefmütter — so gut
es Mütter gibt, die nie geboren haben.

Strafe, die lähmt und tötet, statt zu beleben,
hat ihren Zweck verfehlt.

Das verworfenste Weib hat einen Rest
Liebe zu verschenken, die tadellose „Dame“
nicht.

Nicht, die Ehrfurcht vor dem Weib, son-
dern die Achtung der Mutterschaft ist ein
Massstab für die sittliche Reife eines Volkes.

Glücklich verheirathet — so heisst’s von
allen -— verheirathet glücklich — so heisst’s
selten.

Es gibt eine Gefahr, der auch die Feigsten
lächelnd entgegengehen, sie heisst: Weib.

Thatsachen, Wirklichkeiten fürchten — ist
Sache des Feigen — aber den Stärksten
schrecken auch: „Möglichkeiten.“

Starke, eigenartige Persönlichkeiten sind
ihr eigenes „Milieu.“

„fflenn Frauen lieben"

Pott G. Vtorcn-Hcrzbrrg

fuf seinem Landsitz am Mittelländischen Meer
lebte ein vornehmer Mann inmitten treuer
Freunde und Diener ein stilles glückliches Leben.
Ein junges Weib war die Gefährtin seiner Nächte
und allabendlich, wenn er von seiner Meersahrt
hcimkehrte und sie ihn ant mondbeglänzien Ufer
im weißen Gewände erwartete, flaiiimte in ihm
Sehnsucht und Begehren auf nach der stillen
Stunde der Nacht, da dieser wundervolle Leib sich
bebend seinen Liebkosungen hingab.

Eines Tages aber stand nicht die Erwartete
am Landungssteg, sondern ein fremdartig gekleideter
Jüngling, dessen von Tropensonne verbranntes
Antlitz einer dunklen Gemme glich. Freudig be-
grüßte der Aeltere den langentbehrten Freund und
eine Stunde lang wandelten sie Arm in Arm in
den dunklen Laubgängen des Gartens, und der
Fremde erzählte von den Wundern und Abenteuern,
von fremben Ländern und Meeren und schloß
seinen Bericht mit dem Ausruf: „Und Du sitzt
wünsch- und thatenlos noch immer an Deiner
Meeresbucht, und wenige Qnadratmeilen Land, ein
paar armselige Menschlein, ein junges, kaunt den
Kinderschuhen cntwad)senes Weib genügen Dir
zum Leben!"

Ter Aeltere aber erwiderte lächelnd: „Du
vergißt meine Bilder, meine Statuen; vergißt, daß
meine kleine weiße Freundin schön ist wie keine
zweite und.treu!"

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Register
Maurice Reinhold v. Stern: Das Sichlein
Giovanni Segantini: Heimkehr vom Walde
Dr. Baer: Aphorismen
G. Noren-Herzberg: Wenn Frauen lieben
 
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