IRenibranbt und die moderne Kunst
rimür in Rembrandts Kunst
wie in der modernen
Malerei ist die Farbe.
Die Linie ist Hilfsmittel
oder Begleiterscheinung
und dient nicht wie bei
den Renaissancekünstleru
dem Zweck, die Einzel-
form zu kontnrieren und
zu modellieren, sondern
trennt nur dieFarbflächen
oder, wie bei Rembrandt,
Licht und Schatten van
einander, und zwar ohne Rücksicht ans die Ein-
zelform, die nur ein Unterdasein führt und von
der Farben- und Lichthülle verschlungen wird.
Siebt man von dieser Gemeinsamkeit ab —
und es bleibt dabei zu bedenken, daß die moderne
Kunst in der Auflösung der plastischen Einzelforin
zu Gunsten der malerischen Gesammterscheinung
viel weiter wie Rembrandt geht, — so scheint bei
eincni flüchtigen Blick die koloristische Auffassung
der gegenwärtigen Künstler in nichts vergleichbar
mit der des großen Niederländers. Rembrandt ist
kein Freilichtmaler. Die Tiefen seilier Bilder stehen
nicht wie bei einem modernen Gemälde der größten
Helligkeit sehr nahe; nicht ans relativen, sonder»
auf absolute» Kontrasten von hell und dunkel baut
sich seine Komposition ans. Das Dunkel überwiegt
das Helle, ohne daß immer nächtliche Szenen dar-
gestellt feie». Bei Abend- und Nachtstimmungen
moderner Maler ist das anfhellende Licht sehr viel
schwächer als bei Rembrandt und bezweckt nur
das Dunkel zu erklären, während die Dunkelheit
bei Rembrandt dazu dient, das ans einen engen
Raum konzentrierte Licht zu größter Helligkeit
herauszntreibcn. — Ist der Lnftton der Gemälde
unserer Zeit ein transparentes Blau, in Abwand-
lungen bis zu Perlgrau ans der einen, bis zu
Violett ans der anderen Seite, so liebte Rembrandts
Jahrhundert über alles das golddurchlenchtete
Braun. Es ist die Farbe, gegen welche die moderne
Kunst ihren ersten, siegreichen Kampf führte. Be-
denkt man es recht, so war es ein Kampf gegen
Rembrandt. Denn er war der Anführer der
„Brunisten," und seine Schüler, als welche im
weiteren Sinne alle großen Meister der Blüthezeit
der holländischen Kunst gelten dürfen, trugen seine
Weise weiter, bis sie von den Meistern des acht-
zehnten Jahrhunderts, den Rembrnndtfreunde» ans
Goethes Zeit, Dietrich, Oeser, Traumänn n. a, mit
weiserer Zurückhaltung in England von Reynolds
und seinem Kreis übernommen und der bedürfniß-
losen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts mit-
getheilt wurde. In der Farbengebung steht ein
anderer Holländer aus Rembrandts Zeit, Jan
Bermeer van Delft, in der Lichtgebung der große
Spanier jenes Jahrhunderts der modernen Kunst
viel näher als Rembrandt. Eigentliche Nachahmer
unseres Meisters gibt es darnnz auch zum Glück
nicht in unseren Tage».
lind doch ist, wie die Rembrandtfeste dieses
Jahres bewiesen, die Schätzung des Künstlers so
allgemein, daß Beziehungen zwischen den künst-
lerischen Anschauungen der Zeit Rembrandts und
der unseligen bestehen müssen, ans der auf eine
irgendwie verwandte Ausdrucksweise in seiner Kunst
und in der modernen Kunst geschlosseir werden darf.
Es sind uns nur wenige Berichte über Ans-
sprüche des Künstlers erhalten, ans denen wir
seine Kunstauffassung kennen lernen könnten. Sie
klingen, als seien sie von einem modernen Künstler
gesprochen. Der hochfahrende Akadcmieprofessor
Sandrart erzählt von Rembrandt: „Er scheuete
sich nicht, wider unsre Kunstregeln .. . ., auch
wider die unsrer Profession höchst nöthigen Aka-
demien zu streiten und denenselben zu widersprechen,
vorgebend, daß man sich einzig und allein an
die Natur und keine anderen Regeln binde» solle."
Von einer» anderen Berichterstatter erfahren wir,
Von Wilhelm R. Valentinen (Berlin)
Rembrandt habe Kunstkenner, die zu dicht an sein
Werk herantraten: mit den ironischen Worten zu
rückgezogen: „Der Geruch der Farbe könnte Euch
lästig fallen." Den gleichen Sinn ergibt die Stelle
eines Briefes, mit dem der Künstler eine Bild-
sendnng begleitete: „Hängt das Bild an stark
belichteter Stelle ans und so. daß man ordentlich
zurücktreten kann, dann wird es sich am besten
fügen." — Endlich soll Rembrandt den Grundsatz
vertreten haben: „Ein Werk ist vollendet, wenn
der Künstler darin seine Absicht erreicht hat."
Solche Bemerkungen erschienen den Kunst-
schrcibern jener Zeit neu und werth, als Curiosa
ausgezeichnet zu werden. Die Vorwürfe, die den
Künstler zu der darin geäußerten Anschauung
drängten, betrafen vor allein, wie mir ans den
Prozeßakten des Rähererr erfahren, die angeblich
mangelhafte Ausführung seiner Werke; nrnn meinte,
er ließe sie öfters unvollendet, käme nicht über bie
Skizze hinaus; auch dränge sich die Technik zu sehr
auf. Ein jetzt vergessener Hofmaler Gerard de
Lairesse, der nach Rembrandts Tod einer auf
geleckte Malweise ausgehenden akademischeir Richt-
ung zum Siege verhalf, warnte seine Schüler vor
Rembrandt: „Ihr sollt nicht wie er malen, daß
der Farbsaft wie Dreck von der Leinewand herunter
trieft (bet sap gelyk drek längs het stuk neerlope),
sondern gleichmäßig und schmelzend, daß Eure
Gegenstände nur durch die Kunst (das will sagen:
durch eine auf sorgfältige Zeichnung basierte
Modellierung) rund und erhaben erscheinen, und
nicht durch Kleckserei (viel äoor kloddery)."
So hat Rembrandt schon vor dreihundert
Jahren hören müssen, was sich lange der moderne
Künstler hat sagen lassen müssen; so hat er den
Kampf, den jetzt die Künstler mehrerer Lander
mit vereinten Kräften durchgeführt haben, schon vor
dreihundert Jahren allein aufgenoinmen. Darum
sind wir ihm heute dankbar. Wer nun behauptet,
daß die modernen Maler ihre Werke nicht voll-
endeten, und sich dcßhalb ablehnend gegen ihre
Kunst verhält, dem kann man Vorhalten: Wenn
man als gebildeter Mensch Rembrandt bewundert
— nicht nur die sorgfältig durchgeführteir Werke
seiner früheren Zeit, auch die späten, die ihn ans
der Höhe zeigen und seine Zeichnungen, in denen
er fast das Beste mit einfachsten Mitteln sagt —
so hat inan kein Recht, der modernen Kunst eben
das zum Vorwurf zu machen, was man bei Rem-
brandt zurecht bestehen läßt. Man müßte sich
sonst sagen lassen, daß man zu der Gattung von
Menschen gehöre, die auch Rembrandt zu seinen
Lebzeiten um seiner neuen Kunst willen steinigten.
Warum wollte Rembrandt, daß man vor
seinen Werken zurücktrete? Warum malte und
zeichnete er so breit und ging in der Ausführung
nicht so weit, wie das Publikum wünschte, sondern
so weit wie es ihm gut schien? Eben ans den
Gründen, die inan vorbringt, wird die moderne
Kunst angegriffen.
Das holländische Volk zu Rembrandts Zeit
liebte wie das unsere, soweit es auf dem Boden
nioderner Anschauung steht, eine eiirfache, schlichte
Zimmerdekoration; kein Volk war im Zeitalter
des Barock spröder gegen jede Art von Ueberlad-
ung im Einrichten der Wohnung. Trat man in
einen Raum, so glitt der Blick an leeren weißen
Wänden hin, bis er an ein bis zivei Bildern haftete.
Man verlangte daher mehr von den Gemälden,
als daß sie über eine schöne Geschichte berichteten;
sie mußten den Theil der Wand, den sie cinnahmen,
durch einfache Linien und wenig hervortretende
Farbflächen schmücken, sie mußten dekorativ sein,
daß sie von allen Seiten des Zimmers wirksam
waren, auch dann noch, wenn nicht mehr deutlich
zu erkennen war, was sie darstellten. Freilich unter
den großen holländischen Malern arbeiteten nur
wenige auf so starke Vereinfachung hin. Zuletzt
nur die beiden Antipoden Renibrnndt und Ver-
meer: Denn der holländische Künstler riß sich
schwer von der seinem Volke eignen Freude am
Kleinen und Feinen los. Auch bedarf es einer
außerordentlichen künstlerischen Kraft, um bei
größter Vereinfachung noch persönlich zu wirken.
Run waren es allerdings noch andere Gründe,
die Rembrandt dazu führten, immer massiger in
seinen Wirkungen zu werden. Seine starke Natur
war auf das Große angelegt; intensives, inneres
Leben wieder,zngebcn, ivnr ihm Bedürfnis;. Zudem
war er Charakterdarsteller. Seelische Kraft unb
lebhafter Ausdruck aber ist nicht auf dem Wege
minutiöser, peinlicher Durchführung darzustellen,
die jeden Eindruck von Bewegung zerstört. Aus-
druckskunst ist die Fähigkeit, Bewegung darzn-
stellen, nicht die starke Bewegung der Gliedmaßen,
sondern das leise Spiel der Muskeln, die bei innerer
Erregung den ganzen Körper zum Vibrieren bringen.
Jede Art von Bewegung ist aber nur durch nn-
dentende Darstellung wiederzugeben. Dieser skiz-
zierenden Ausdrucksweise bediente sich Rembrandt
daher um so häufiger, je mehr sein Verständnis;
für die Charakteristik momentaner Seelenstimmungen
wuchs. So ging er ans dem Gebiet der Ansdrncks-
schilderung dieselben Wege, welche der moderne
Künstler verfolgt, wenn er schnelle, äußere Be-
wegung ansdrücken will, die zu erfassen Rembrandts
Sache nicht war.
Endlich aber kam der Künstler zu der breiten,
nur auf Abstand wirksamen Behandlung seiner
Gemälde bei dem Bemühen, blendendes Licht
wiederzugeben. Dieses Problem steht im Mittel-
punkt seiner Kunst, in mancher Hinsicht aber auch
im Mittelpunkt der modernen Malerei. Freilich,
wie man richtig beobachtet hat, stellten sich Rem-
brandt und der moderne Künstler die Aufgabe
verschieden, da jener das Licht darstellen wollte,
tute es durch einen engen Kanal in einen dunklen
Jnnenrannl sällt. dieser sich bemüht, zu zeigen,
wie es gleichmäßig hell den unbegrenzten Ranin
durchfluthet. Aber die Mittel, die der eine und der
andere für seine Zwecke fand, sind verwandter Art.
Rembrandt ist einer der ersten, der erkannte, daß
die Farben größere Helligkeit ausströmte», wenn
sie zerlegt nebeneinander gestellt werden und dein
Auge überlassen bleibt, die Mischung zu voll-
ziehen. Bei nianchenl seiner Spätwerke gleichen
die Farben in der Nähe Haufen bunter Diamanten;
tritt man zurück, so schließen sie sich zu einem ein-
zigen, von Licht durchfluteten Ton zusammen.
Freilich führte er das Prinzip des Farbenzerlegens
nicht bis zu den letzten Consequenzen durch, wie
die modernen Pointillisten. Er übte es unbewußt
oder doch so, daß es sich dem Beschauer nicht nuf-
drängte; er füllte seinen Pinsel mit allerhand
Tönen, und strich die nngeinischte Masse auf die
Leinwand, wo nun die Farben wie zufällig wieder
auseinandertraten.
Er kam dabei zu einer rauhen, derben Technik, und
trug bisweilen die Farben in einer Dicke auf, wie es
vor ihm noch kein Maler gethan hatte. Denn er war
sich dabei zugleich des Vortheiles bewußt, daß eine
unebene Oberfläche das Licht und Farbenspiel be-
lebe, rrnd die kleinen Zufälligkeiten, die beim
Charakterisieren eines Stoffes durch den großen
Borstenpinsel entstanden, an die Bildung der
Natur erinnerten. In diesem Ausnutzen des
Materials, in der Freude an der Fnrbenniasse, in
dem unbewußten Drang, die Macht der eigenen
Persönlichkeit im .Handhaben des Pinsels zu zeigen,
berührt sich der Künstler vielleicht am unmiitel-
barstcn mit einem modernen Meister. Und gewiß
nicht zufällig. Unserer Zeit »vie jener, in der
Reinbrandt lebte, rühmt man eine Zunahme des
Persönlichkeitsgefühls nach. Vollzieht sich, wie wir
mit einigen Historikern annehmen, die Kulturge-
schichte der neueren Zeit im Sinne eines wachsenden
Individualismus, so muß man die wichtigsten
Etappen dieser Entwicklung nach der Renaissance
in das Zeitalter Rembrandts und in die Gegenwart
verlegen. Sie fallen zusanrmen mit Perioden hoher
890
rimür in Rembrandts Kunst
wie in der modernen
Malerei ist die Farbe.
Die Linie ist Hilfsmittel
oder Begleiterscheinung
und dient nicht wie bei
den Renaissancekünstleru
dem Zweck, die Einzel-
form zu kontnrieren und
zu modellieren, sondern
trennt nur dieFarbflächen
oder, wie bei Rembrandt,
Licht und Schatten van
einander, und zwar ohne Rücksicht ans die Ein-
zelform, die nur ein Unterdasein führt und von
der Farben- und Lichthülle verschlungen wird.
Siebt man von dieser Gemeinsamkeit ab —
und es bleibt dabei zu bedenken, daß die moderne
Kunst in der Auflösung der plastischen Einzelforin
zu Gunsten der malerischen Gesammterscheinung
viel weiter wie Rembrandt geht, — so scheint bei
eincni flüchtigen Blick die koloristische Auffassung
der gegenwärtigen Künstler in nichts vergleichbar
mit der des großen Niederländers. Rembrandt ist
kein Freilichtmaler. Die Tiefen seilier Bilder stehen
nicht wie bei einem modernen Gemälde der größten
Helligkeit sehr nahe; nicht ans relativen, sonder»
auf absolute» Kontrasten von hell und dunkel baut
sich seine Komposition ans. Das Dunkel überwiegt
das Helle, ohne daß immer nächtliche Szenen dar-
gestellt feie». Bei Abend- und Nachtstimmungen
moderner Maler ist das anfhellende Licht sehr viel
schwächer als bei Rembrandt und bezweckt nur
das Dunkel zu erklären, während die Dunkelheit
bei Rembrandt dazu dient, das ans einen engen
Raum konzentrierte Licht zu größter Helligkeit
herauszntreibcn. — Ist der Lnftton der Gemälde
unserer Zeit ein transparentes Blau, in Abwand-
lungen bis zu Perlgrau ans der einen, bis zu
Violett ans der anderen Seite, so liebte Rembrandts
Jahrhundert über alles das golddurchlenchtete
Braun. Es ist die Farbe, gegen welche die moderne
Kunst ihren ersten, siegreichen Kampf führte. Be-
denkt man es recht, so war es ein Kampf gegen
Rembrandt. Denn er war der Anführer der
„Brunisten," und seine Schüler, als welche im
weiteren Sinne alle großen Meister der Blüthezeit
der holländischen Kunst gelten dürfen, trugen seine
Weise weiter, bis sie von den Meistern des acht-
zehnten Jahrhunderts, den Rembrnndtfreunde» ans
Goethes Zeit, Dietrich, Oeser, Traumänn n. a, mit
weiserer Zurückhaltung in England von Reynolds
und seinem Kreis übernommen und der bedürfniß-
losen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts mit-
getheilt wurde. In der Farbengebung steht ein
anderer Holländer aus Rembrandts Zeit, Jan
Bermeer van Delft, in der Lichtgebung der große
Spanier jenes Jahrhunderts der modernen Kunst
viel näher als Rembrandt. Eigentliche Nachahmer
unseres Meisters gibt es darnnz auch zum Glück
nicht in unseren Tage».
lind doch ist, wie die Rembrandtfeste dieses
Jahres bewiesen, die Schätzung des Künstlers so
allgemein, daß Beziehungen zwischen den künst-
lerischen Anschauungen der Zeit Rembrandts und
der unseligen bestehen müssen, ans der auf eine
irgendwie verwandte Ausdrucksweise in seiner Kunst
und in der modernen Kunst geschlosseir werden darf.
Es sind uns nur wenige Berichte über Ans-
sprüche des Künstlers erhalten, ans denen wir
seine Kunstauffassung kennen lernen könnten. Sie
klingen, als seien sie von einem modernen Künstler
gesprochen. Der hochfahrende Akadcmieprofessor
Sandrart erzählt von Rembrandt: „Er scheuete
sich nicht, wider unsre Kunstregeln .. . ., auch
wider die unsrer Profession höchst nöthigen Aka-
demien zu streiten und denenselben zu widersprechen,
vorgebend, daß man sich einzig und allein an
die Natur und keine anderen Regeln binde» solle."
Von einer» anderen Berichterstatter erfahren wir,
Von Wilhelm R. Valentinen (Berlin)
Rembrandt habe Kunstkenner, die zu dicht an sein
Werk herantraten: mit den ironischen Worten zu
rückgezogen: „Der Geruch der Farbe könnte Euch
lästig fallen." Den gleichen Sinn ergibt die Stelle
eines Briefes, mit dem der Künstler eine Bild-
sendnng begleitete: „Hängt das Bild an stark
belichteter Stelle ans und so. daß man ordentlich
zurücktreten kann, dann wird es sich am besten
fügen." — Endlich soll Rembrandt den Grundsatz
vertreten haben: „Ein Werk ist vollendet, wenn
der Künstler darin seine Absicht erreicht hat."
Solche Bemerkungen erschienen den Kunst-
schrcibern jener Zeit neu und werth, als Curiosa
ausgezeichnet zu werden. Die Vorwürfe, die den
Künstler zu der darin geäußerten Anschauung
drängten, betrafen vor allein, wie mir ans den
Prozeßakten des Rähererr erfahren, die angeblich
mangelhafte Ausführung seiner Werke; nrnn meinte,
er ließe sie öfters unvollendet, käme nicht über bie
Skizze hinaus; auch dränge sich die Technik zu sehr
auf. Ein jetzt vergessener Hofmaler Gerard de
Lairesse, der nach Rembrandts Tod einer auf
geleckte Malweise ausgehenden akademischeir Richt-
ung zum Siege verhalf, warnte seine Schüler vor
Rembrandt: „Ihr sollt nicht wie er malen, daß
der Farbsaft wie Dreck von der Leinewand herunter
trieft (bet sap gelyk drek längs het stuk neerlope),
sondern gleichmäßig und schmelzend, daß Eure
Gegenstände nur durch die Kunst (das will sagen:
durch eine auf sorgfältige Zeichnung basierte
Modellierung) rund und erhaben erscheinen, und
nicht durch Kleckserei (viel äoor kloddery)."
So hat Rembrandt schon vor dreihundert
Jahren hören müssen, was sich lange der moderne
Künstler hat sagen lassen müssen; so hat er den
Kampf, den jetzt die Künstler mehrerer Lander
mit vereinten Kräften durchgeführt haben, schon vor
dreihundert Jahren allein aufgenoinmen. Darum
sind wir ihm heute dankbar. Wer nun behauptet,
daß die modernen Maler ihre Werke nicht voll-
endeten, und sich dcßhalb ablehnend gegen ihre
Kunst verhält, dem kann man Vorhalten: Wenn
man als gebildeter Mensch Rembrandt bewundert
— nicht nur die sorgfältig durchgeführteir Werke
seiner früheren Zeit, auch die späten, die ihn ans
der Höhe zeigen und seine Zeichnungen, in denen
er fast das Beste mit einfachsten Mitteln sagt —
so hat inan kein Recht, der modernen Kunst eben
das zum Vorwurf zu machen, was man bei Rem-
brandt zurecht bestehen läßt. Man müßte sich
sonst sagen lassen, daß man zu der Gattung von
Menschen gehöre, die auch Rembrandt zu seinen
Lebzeiten um seiner neuen Kunst willen steinigten.
Warum wollte Rembrandt, daß man vor
seinen Werken zurücktrete? Warum malte und
zeichnete er so breit und ging in der Ausführung
nicht so weit, wie das Publikum wünschte, sondern
so weit wie es ihm gut schien? Eben ans den
Gründen, die inan vorbringt, wird die moderne
Kunst angegriffen.
Das holländische Volk zu Rembrandts Zeit
liebte wie das unsere, soweit es auf dem Boden
nioderner Anschauung steht, eine eiirfache, schlichte
Zimmerdekoration; kein Volk war im Zeitalter
des Barock spröder gegen jede Art von Ueberlad-
ung im Einrichten der Wohnung. Trat man in
einen Raum, so glitt der Blick an leeren weißen
Wänden hin, bis er an ein bis zivei Bildern haftete.
Man verlangte daher mehr von den Gemälden,
als daß sie über eine schöne Geschichte berichteten;
sie mußten den Theil der Wand, den sie cinnahmen,
durch einfache Linien und wenig hervortretende
Farbflächen schmücken, sie mußten dekorativ sein,
daß sie von allen Seiten des Zimmers wirksam
waren, auch dann noch, wenn nicht mehr deutlich
zu erkennen war, was sie darstellten. Freilich unter
den großen holländischen Malern arbeiteten nur
wenige auf so starke Vereinfachung hin. Zuletzt
nur die beiden Antipoden Renibrnndt und Ver-
meer: Denn der holländische Künstler riß sich
schwer von der seinem Volke eignen Freude am
Kleinen und Feinen los. Auch bedarf es einer
außerordentlichen künstlerischen Kraft, um bei
größter Vereinfachung noch persönlich zu wirken.
Run waren es allerdings noch andere Gründe,
die Rembrandt dazu führten, immer massiger in
seinen Wirkungen zu werden. Seine starke Natur
war auf das Große angelegt; intensives, inneres
Leben wieder,zngebcn, ivnr ihm Bedürfnis;. Zudem
war er Charakterdarsteller. Seelische Kraft unb
lebhafter Ausdruck aber ist nicht auf dem Wege
minutiöser, peinlicher Durchführung darzustellen,
die jeden Eindruck von Bewegung zerstört. Aus-
druckskunst ist die Fähigkeit, Bewegung darzn-
stellen, nicht die starke Bewegung der Gliedmaßen,
sondern das leise Spiel der Muskeln, die bei innerer
Erregung den ganzen Körper zum Vibrieren bringen.
Jede Art von Bewegung ist aber nur durch nn-
dentende Darstellung wiederzugeben. Dieser skiz-
zierenden Ausdrucksweise bediente sich Rembrandt
daher um so häufiger, je mehr sein Verständnis;
für die Charakteristik momentaner Seelenstimmungen
wuchs. So ging er ans dem Gebiet der Ansdrncks-
schilderung dieselben Wege, welche der moderne
Künstler verfolgt, wenn er schnelle, äußere Be-
wegung ansdrücken will, die zu erfassen Rembrandts
Sache nicht war.
Endlich aber kam der Künstler zu der breiten,
nur auf Abstand wirksamen Behandlung seiner
Gemälde bei dem Bemühen, blendendes Licht
wiederzugeben. Dieses Problem steht im Mittel-
punkt seiner Kunst, in mancher Hinsicht aber auch
im Mittelpunkt der modernen Malerei. Freilich,
wie man richtig beobachtet hat, stellten sich Rem-
brandt und der moderne Künstler die Aufgabe
verschieden, da jener das Licht darstellen wollte,
tute es durch einen engen Kanal in einen dunklen
Jnnenrannl sällt. dieser sich bemüht, zu zeigen,
wie es gleichmäßig hell den unbegrenzten Ranin
durchfluthet. Aber die Mittel, die der eine und der
andere für seine Zwecke fand, sind verwandter Art.
Rembrandt ist einer der ersten, der erkannte, daß
die Farben größere Helligkeit ausströmte», wenn
sie zerlegt nebeneinander gestellt werden und dein
Auge überlassen bleibt, die Mischung zu voll-
ziehen. Bei nianchenl seiner Spätwerke gleichen
die Farben in der Nähe Haufen bunter Diamanten;
tritt man zurück, so schließen sie sich zu einem ein-
zigen, von Licht durchfluteten Ton zusammen.
Freilich führte er das Prinzip des Farbenzerlegens
nicht bis zu den letzten Consequenzen durch, wie
die modernen Pointillisten. Er übte es unbewußt
oder doch so, daß es sich dem Beschauer nicht nuf-
drängte; er füllte seinen Pinsel mit allerhand
Tönen, und strich die nngeinischte Masse auf die
Leinwand, wo nun die Farben wie zufällig wieder
auseinandertraten.
Er kam dabei zu einer rauhen, derben Technik, und
trug bisweilen die Farben in einer Dicke auf, wie es
vor ihm noch kein Maler gethan hatte. Denn er war
sich dabei zugleich des Vortheiles bewußt, daß eine
unebene Oberfläche das Licht und Farbenspiel be-
lebe, rrnd die kleinen Zufälligkeiten, die beim
Charakterisieren eines Stoffes durch den großen
Borstenpinsel entstanden, an die Bildung der
Natur erinnerten. In diesem Ausnutzen des
Materials, in der Freude an der Fnrbenniasse, in
dem unbewußten Drang, die Macht der eigenen
Persönlichkeit im .Handhaben des Pinsels zu zeigen,
berührt sich der Künstler vielleicht am unmiitel-
barstcn mit einem modernen Meister. Und gewiß
nicht zufällig. Unserer Zeit »vie jener, in der
Reinbrandt lebte, rühmt man eine Zunahme des
Persönlichkeitsgefühls nach. Vollzieht sich, wie wir
mit einigen Historikern annehmen, die Kulturge-
schichte der neueren Zeit im Sinne eines wachsenden
Individualismus, so muß man die wichtigsten
Etappen dieser Entwicklung nach der Renaissance
in das Zeitalter Rembrandts und in die Gegenwart
verlegen. Sie fallen zusanrmen mit Perioden hoher
890