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Nr. 51

JUGEND

1906

an der Wand hing, einen braunen Lappen ab und
überreichte ihn mit vornehmer Verbeugung dem
Blitzenden als Honorar. Es wurde hierauf musi-
ziert, deklamiert u. s. w. — lauter herrliche Stücke,
die ich nicht kannte. Als ich der Hausfrau dar-
über mein Compliment machte, sagte sie mit der
lächelnden Ruhe der wahrhaft vornehmen Frau:

„Ja, glaubten Sie denn, wir verwenden hier
was Gebrauchtes, sozusagen .getragene Sachen?'
Wir lassen das Zeug Alles extra für uns an-
fertigcn und ich beschäftige für meine Jours ein
halbes Dutzend Dichter und ebenso viel Kompo-
siteurs l Ich mag meine Geistesnahrung nicht mit
dein Pöbel sozusagen aus einer Schüssel essen."

Als ich schüchtern einwarf, wenn sie ins
Theater wollten, müßten die Herrschaften sich doch
zu so was Aehnlichem entschließen, sagte Frau
Protzmann trocken:

„Glauben Sie? Nein! Wir haben Gott sei
Tank unser eigenes Theater mit eigenen Stücken,
eigenen Opern, eigenem Orchester und eigenem
Intendanten. Jetzt hat uns Sudermann eine
Oper „Kleopatra" geschrieben, die Mascagni ver-
tont, was uns einen originellen sehr tbeuren Prozeß
mit dessen italienischem Verleger einträgt. Possart
wird die Geschichte inszenieren. Die künstlerischen
Entwürfe für die Dekorationen sind von Louis
Corinth, der dazu ein neues Bühnenreform-Projekt
erfunden hat. Die Kostüme lassen wir von einem
berühmten Egyptologen einfach in Fajum aus-
grabcn. Dirigieren wird Mottl den ersten, Leon-
cavallo den zweiten, Sousa den dritten Akt. Die
Partien werden von Conrieds ersten Kräften ge-
sungen, die in Anierika kontraktbrüchig werden —
wir bezahlen dann die Conventionalstrafen. Wollen
Sie zur Premiere kommen? Wir entschädigen unsere
Gäste natürlich reichlich für den Zeitverlust I"

Nebenan hörte ich jetzt lautes Kindergeschrei.
Tie Hausfrau klärte mich auf:

„Meine Kleinen waren . unartig und nun
schreien sie, weil sie gestraft werden. Sie müssen
heut von Silber essen, wie die Dienstboten, das
ist ihnen das Aergste, denn sie sind Gold ge-
wöhnt. O, wir führen strenge Kinderzucht I Wenn
die Kleinen aber brav sind, bekommen sie Aktien
von der .Großen Berliner' und dürfen sich Papier-
schnitzel draus machen."

Das Gesicht der edlen Frau leuchtete in Mutter-
stolz, als sie fortfuhr: „Es sind sonst charmante

Kinder! Mein zwölfjähriger Kuno hat schon ein
Verhältniß mit seiner Gouvernante gehabt, die
sich seinetwegen ins Wasser stürzte und meine
neunjährige Edda hat einen Band .Lieder aus
Lesbos' geschrieben, die auf den verschwiegensten
Ileberbrettcln nur an Herrenabenden nach zwei
Uhr vorgetragen werden. Und meine dreijährige
Mimi! Wissen Sie, daß das Kind einen Kap-
Diamanteti schon von einen brasilianischen weg-
kennt! Daß der Engel sich einst weigerte, sich in
ein Wickelkissen legen zu lassen, weil die Spitzen
davon keine Brüsseler waren? Daß es die Brust
einer bürgerlichen Amme nicht nehmen wollte?
Was blieb uns übrig — wir mußten der Spree-
wälderin den päpstlichen Adel kaufen, sonst wäre
unser Püppchcn verhungert!"

„Sie haben wohl sehr viel Geselligkeit, gnädige
Frau?" fragte ich dann.

„Allerdings, sogar mehr, als wir direkt be-
wältigen können. Wir halten uns darum in jedem
Stadtviertel ein Hans, in dem täglich Dejeuners
und Tiners serviert werden. Da kommen dann
unsere näheren Bekannten, die in den entsprechenden
Vierteln wohnen, einfach zur Tafel, ä la fortune
du pot. Mein Gott, Geld kostet'? ja, aber es ist

bcguem und man wird wenigstens persönlich nicht
belästigt! Für unseren weitereir Bekanntenkreis
haben wir Bons drucken lassen: „Gut für ein
Diner mit Sekt bei Tressel, Trarbach, rc." Das
verschicken wir mit der Post. Ihre Verdauungs-
visite machen die guten Leute dann auch brieflich ab.
— Wollen Sie ein Dutzend solcher Dinerbons
haben? — "

Die Hausfrau wurde durch einen Diener unter-
brochen, der meldete:

„Majestät ist unten und würde sich glücklich
schätzen, wenn die Herrschaften zu sprechen wären."

Aergerlich stampfte der Herr von Protzmam»
mit dem Fuße und rief:

„Kann man denn nie seine Ruhe haben!
Sagen Sie, ich bedauere, aber ich habe Besuch!"

Als der Diener verschwunden war, flüsterte
die Frau vom Hanse:

„Johann Nepomuk Bognmil, ich will Deinen
Entschlüssen nicht vorgreifen, aber mir scheint
doch, Tu warst ein wenig zu schroff! Das mußt
Du wieder gut machen."

„Du hast Recht, nrein Engel — aber wie?
Halt', ich hab's!"

Ohne eine Miene zu verziehen, holte Protzmann
eine Visitenkarte aus seinem Etui und schrieb
darauf: „Gut für zwei Panzerschiffe der Dread-
nought-Klasse" und mit den Worten: „So, da
ist ein Pflaster auf die Wunde!" klingelte er einem
Bedienten und befahl: „Tragen Sic das ins Schloß I
Antwort ist nicht nöthigl"

Fritz von Ostini

Aphorismen

von Dr. Baco, Oberdorf

So mancher deutsche Ehrenmann meint
— weil er seinen geraden Weg geht —
dürfe er niemandem ausweichcn.

*

Die Orthodoxen von heute sind Re-
former gewesen vor 1000 Jahren.

*

An jeder Sünde sind zwei betheiligt.

*

Wer von gesunden und rechtschaffenen
Eltern konimt, erfährt sein erstes und größtes
Glück, noch ehe er geboren wird.

-y,/ ^^

vQiCeju i. m

Reifezeit

Sie knieen drinnen in den Kirchenstühlen
Und flehn um einen reichen Erntesegen.

Wir aber wandern auf entlegnen Pfaden
Hin durch die satten, frnchtgeschwellten Fluren,
Dein Haar bekränzt mit wilden Heckenrosen.

Still stehn die gilbenden Getreidefelder,

Als lauschten sie entzückt der nahen Reife:
Kein Lüftchen regt sich in der Abendstille.
Jnbrünst'ger fleht die Litanei der Beter:
„Behüte uns're Fluren, Herr, vor Schäden!"

Mein Herz geht schwer, wie angefüllt von Süße,
Du lächelst schelmisch und mit rothen Lippen
Und heftest an die Brust mir eine Rose.
Bald kommt die Nacht. Die Aveglocken klingen
Und Erd' und Himmel fließen ineinander. —

Die Beter sind schon längst nach Hans

gewandelt —

Wir suchen uns ein Plätzchen unsrer Liebe,
Vor Regenguß und Hagelschauer sicher,

Ein lauschig Plätzchen, blätterüberdacht —
Fern wetterlcuchtets durch die stille Nacht.

Ludwig Scharf

Der Ivanderfalk

Im Cölner Thiergarten wars an einem strah-
lenden Sommermorgcn. In einem feuchten, eng-
vergitterten, gegen Norden gewendeten Felsenloch,
in denr den ganzen Tag über düsteres Halbdunkel
herrschte, saß ein Wanderfalk. In die hinterste
Ecke seines schmalen, niedrigen Kerkers gekauert,
die zerschundenen Flügel eng an den Leib gedrückt,
blickte er regungslos aus starren glühenden Augen..

„So sitzt er jetzt all die Tage her, die wir ihn
haben, ohne zu fressen!" nieinte achselzuckend ein
vorübergehender Wärter. —

Zehn Jahre sind verflossen seit jenem Sommer-
morgen am Rhein. Ich habe seitdem viel Leid
gesehen auf dieser Erde; aber keines dieser zahl-
reichen Opfer des Schicksals hat mich tiefer ergriffen
als jener Märtyrer menschlicher Unvernunft- Nicht
weil er schweigend in finsterer Größe sein schreck-
liches Los getragen, ein wahrer Held, nein —
weil er es allein trug, schuldlos und nutzlos und
hoffnungslos. . . Arthur Schubarr

Der Herr College

Ein junger Lebemann sitzt in einem feinen
Caffä mit zwei Damen in auffallender Toilette,
vor ihm steht ein dürftig gekleideter Mann.

„Guten Tag, Herr College, haben Sie nicht
ein paar Mark für mich übrig? Ich habe heute
noch nicht zu Mittag gespeist."

„Wie! Was! College? Unverschämter Kerl!
Mach' daß Du fortkommstl"

„Nn, Nu! Nur nicht gleich so grob! Oder
sind wir vielleicht nicht Collegen? Das was Sie
jetzt thun, das Geld Ihres Vaters verjuxen, habe
ich schon vor dreißig Jahren gethan und
das was ich jetzt thue — betteln — werden Sie
wohl in dreißig Jahren thun!" — u

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Index
Ludwig Scharf: Reifezeit
Albert Schlopsnies: Vignette
Dr. Baer: Aphorismen
Arthur Schubart: Der Wanderfalk
-k-: Der Herr College
[nicht signierter Beitrag]: Der Herr College
 
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