Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
N)ir tTJüncbner!

Mit Blechmusik und bunter Fahnen Flattern,

So zieh'n wir durch der neuen Jahres Tori
Wir lassen und durch Sorgen nicht vcrdattcrn
Und binden um den Hut uns keinen Flor,

Wir schlottern ängstlich nicht gleich und mimosig,
Echt wo war irgend wie nicht ganz nach Wunsch,
Wir seh'n, quand mSrne, die Zukunft licht und rosig
Und grüßen sie mit einem strammen Punsch!

Wenn auch vielleicht nicht ganz mit Bismarcks

Geist wird

Regiert in Deutschland — Vieles geht fanios!
Wenn auch zu viel geredet und gereist wird —
Dafür ist halt doch immer auch was lost
Wenn auch zu viel Spektakel oft und Glanz ist —
Es hat den Borteil, daß man von uns spricht!
Wenn an der Spree vielleicht ein Neu-Byzanz ist -
Hier an der Isar kennt mau so was nicht!

Bei uns wird bloß der Würdigste Minister,

Da gilt Verdienst nur und Intelligenz!

Bei uns trägt sozusagen im Tornister
Ein jeder brave Kerl die Ercellcnz!

Kultur und Fortschritt strömen aus der Kammer
In breitem Schwall ins biedre Land hinaus,

Tic Strcberei, des Fanatismus Jammer,

Sind überall vielleicht, nicht hier zu Haus!

Was Wunder auch, wenn man dahier in München
Zufrieden lebt, schnackerlfidel sogar!

Am Sonntag hat man noch im Topf sein Hühnchen
Und Kirchweih hat man schier das ganze Jahr!
Dem Ärmsten rankt sich freundlich um sein Dasein
Die Weiß-, Brat-, Bock-, Schweins-, Blnt-

und Leber-Wurst

Dem Kaiser schenkt man keine bess're Maß ein,
Als sie dahier dem Bettler löscht den Durst!

O Münch'ner Bierjahr! Meistens schon im Jänner
Quillt uns des Märzenbieres edler Trank!

Bald wirkt die Bockkur heilend auf den Kenner,
Bald trinkt er d'rauf sich am Salvator krank!

J. C. Drexel (München)

Dann sangt sich selig der GainbrinuSritter
In lauer Sommernacht im Keller fest,

Bis wieder Grund zu manchem, manchem Liter
Der Herbst ihm bringt mit dem Oktoberfest!

An Grund zum Feste feiern, Trinken, Essen,
Fehlt's überhaupt, Gottlob! in München nie:
Als Tagungsort, zum Beispiel, bei Kongressen
Erfreut sich's ungeheurer Sympathie.

Da tagen Turner, Schützen, Veteranen,
Weltfriedensfreunde, Sänger, Feuerwehr
llnd jede Art Vereinssportmonomanen —
llnd wie bei Gott in Frankreich geht es her!

O Münchner Fasching — köstliches Kapitell
O Münchner Mädel — höchste Schöpfungspracht!
Sie hat den Willen und — sie hat die Mittel
Zu Allem, was uns Männer selig macht!

Im Wesen dantschig, im Gespräche drollig,

Bei Tanz und Küssen feurig heiß von Sinn,
Herbfrisch, gesund, vollblütig, straff und mollig,
Ein Weib von Rasse ist die Münchncrin!

So lacht dem Autochthonen reicher Segen
Am Jsarstrand und läutert sein Gemütb,

Er trinkt sein Bier und wehrt sich nicht dagegen,
Wenn Kunst und W ssenschaft ihn schön umblüht!
Er freut sich seiner Sehenswürdigkeiten,

Die er den Fremden neidlos läßt und ganz,
llnd seinen Stammkrug leert er stolz zu Zeiten
Ans Münchens Wohlstand, Fortschritt,

Ruhm und Glanz-

Er niag auch Fehler haben — wer hat keine? —
Ilm Alles wünscht' ich ihn nicht ausgetauscht!
Liegt w o die Welt in rosenrotem Scheine,

So ist eS da, wo uns die Isar rauscht!

Der ist der Weise, der mit Lust und Lieben
Des Daseins allzuplatte Rot vergißt —

D'rum grüß' ich Dich, Jahr 1907,

Vergnügt als Münchner und als Optimist!

Biedermeier mit et

sich war mein Lebtag freireligiös. Zeyt
bin Ich neugierig, ob mich einmal der kathol-
ische, oder der protestantische oder der jüdische
(Teufel holt.

Diefcs Zahr haben's die Ehemänner gut:
es ist kein Schaltjahr; da lind sie einen Tag
weniger verheiratet.

.Hm Morgen ist es eine Gans,

Rm Mittag ist es eine Portion Knochen,

Rm Jlbend ist es eine Spinne.

Das ist nicht das Weib, sondern die Er-
nährung des deutschen Uolkes 1905, 1906

und 1910. k. r.

*

High-life

yRomentaufnaljme von Matthias Blank

Salon. Live o'clock tea. Damastdecke
mit Seidenstickereien. SOvresporzellan, be-
malt, mit goldenen Monogramms. Die
Herrin des Hauses präsidiert. Erwartungs-
volles Schweigen.

Fabrik- und Rittergutsbesitzer von Mälich
starrt ans das Porzellan und taxiert in Ge-
danken: achthundert M.

Die dürre lange Hofrätin blickt gelb vor
Neid auf das neue Perlenkollier dcrKommcrzien-
rätin.

Herr von und zu Zischwitz denkt an die
Schindmähre, die im letzten Rennen aus-
gesprungen war.

Die Kommerzienrätin denkt mühelos an
nichts — wie immer.

Die Herrin des Hauses spricht: „Er ist

unser größter Dichter!"

Und sie greift mit ihren schlanken Fingern,
nicht ohne die Brillanten im Lichte der Glüh-
birnen wirken zu lassen, nach dem Buche, das
vor ihr liegt, in einem abgegriffenen, schmutz-
igen Pappeinband mit abgestoßenen Ecken.

Ich sehe hin und lese auf der ersten
Seite im blauen Gummidruckstcmpel: Hubcrsche
Leihbibliothek.

*

Liebe Jugend!

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, das Schlaf-
zimmer eines mir bekannten königlich preußischen
(Oberlehrers zu besichtigen, der außer einer Frau
sieben Kinder und ein Dienstmädchen halte. Als
ich das Allerheiligste betrat, fiel mein Blick auf
einen freundlichen Mandspruch, der über den
beiden Betten hing und auf dem in Brandmalerei
zu lesen war:

Alle Zeit
Treu bereit

Zu de« Reiches Herrlichkeit!



- w


..
Register
J. C. Drexel: Illustrationen zum Text "Sylvestergedanken eines Junggesellen"
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
K. E.: Sylvestergedanken eines Junggesellen
Matthias Blank: High-life
Biedermeier mit ei: Wir Münchner!
 
Annotationen