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Kehr' 3eder vor der eig nen Ciir’!

Wie cs jetzt pariser Publizisten
Täglich ihre» Lesern vorgekaut,

Muß der Franzmann sittlich sich entrüsten
Hier in Deutschland stets, wohin er schaut,
Mangel an Rultur sieht er ringsum heut'
I»i versimpelten Milliardenlandl
Schlechte Sitten, Rückschritt, Faul- und

Dummheit,

Geh'» in schöner Eintracht, Hand in Hand!

Mit Verlegenheit und mit Beschämung
Denk' ich darum an mein Deutschtum bloß -
Wie viel besser ist doch von Benehmung
lind Gesinnung stets der Herr Franzos!

Er ist viel gemäßigter und zarter,

Immer Weltmann, was ihm auch passiert —
Solches hat man jüngst auf dem Montmartre
Erst im Moulin rouZe konstatiert!

Dorten spielten eins der Mimodramen,

Die man kaum dezent zu heißen braucht,

Zwei skandal- und stadtbekannte Damen,
Welche ziemlich lesbisch angehaucht:

Eine war von Nlorny die Marquise,

Mehr begabt mit Frechheit, als mit Takt,
Eine nennt sich Frau Lolettc — diese
Mimte pudclsplittcrfasernackt I

Horizont- und hochfcud-alc Schönen
Haben in den Logen, buntgemischt,

Dann zu diese:» Schauspiel, dem obszönen,
Wüst gejohlt, gestrampelt und gezischt;
Pomeranzen schmiß »>a» von der Brüstung,
Rölnisch Wasser goß man aus zum Spott
Kurz: in gleich frenetischer Entrüstung
pöbelten monclalne und oocotte!

Als nun gar Madame Lolcttcns Gatte
Im Theater cpnisch jetzt erschien,

Ward er mit dem Anstand, den man hatte,
Gleich von Herrn und Damen angcspie'n;
Auch gcmaulschellt ward er und geprügelt
Mir den Regenschirmen überdies —
mit so heitcrm Wintersport vcrgnügelr
Sich die große Welt jeyt in Paris!

Wenn durch Zufall mal bei uns erführe,
Einen Vorfall, grad' so blöd und roh,

Der famose Deutschlandforschcr Huret,
Schrieb' er schleunigst an den „Figaro":
„Will man wissen, auf wie niedrer Stufe
Der Kultur noch heut' die Deutschen stehn,
Braucht man selbe bloß zu dem Bchufe
Im Theater näher anzuschn.

Schon das Stück ist meist pervers und zotig,
Unverhüllte, grobe Schweinerei!
lind das Publikum entsetzlich knotig,
Heuchlerisch, und schandbar dumm dabei!
Widrig schamlos zeigen auf den Brettern
Nackte Weiber ihre schwüle Brunst —

Dies" — versicherte in fetten Lettern
Dann Herr Huret—„heißt man deutsche Kunst!"

Fritz

Unvergeßliche Augenblicke!

„Die [freie Stimme," ein badisches Organ der
Cenirums-'Partei, die jetzt scharf gegen Absolutis-
mus und persönliches Regiment auftritt, feierte
neulich mit so dithyrambischer Loyalität den Be-
such eines Grafen Douglas in Eigeltingen, daß
wir nicht umhinkönnen, den folgenden Bericht
aus dem gleichen Blatte vorauszuahuen:
Dämelsingen, den xten Januar:

Gestern erlebte unser Städtchen eines jener
Ereignisse, welche man nie wieder vergißt: der
durchlauchtigste Erbgraf Ladislaus von Schöppen-
stedt machte mit seiner liebreizenden Gemahlin,
Gräfin Theodolinde, ein Viertelstündchen in unserem
Dämelfingen Halt, weil ihm allerhöchst sein Benzin

auszugehen geruht hatte, Und während der hohe
Herr vor dem „Blauen Esel" halten ließ, unter-
hielt sich derselbe in leutseligster Weise mit den
hinzukommenden Einwohnern, Unser Herr Bürger-
meister eilte herbei, die gräflichen Gäste mit einer
Ansprache zu begrüßen, die Feuerwehr bildete
Spalier und der Gesangverein stimmte das Lied
an: „Wer hat dich, du schöner Wald,,während
die Töchterchen der Spitzen der Honoratioren
Blumensträuße überreichten. Der Herr Erbgras
erhob unseren Bezirk durch eine kurze, aber in-
haltsschwere, geistreiche und außerordentlich huld-
volle Bemerkung, indem er jovial sagte: „Nette
Gegend!" Die dnrchlanchtigste Erbgräfin aber
offenbarte die ganze Güte ihres engelgleichen Wesens
und ihr hohes Herz in so edelmütiger Weise, daß
kein Auge trocken blieb, indem sie dem Ortsarmen
Fuselmeier durch den Herrn Lakaien ein neues
Fünfzigpfennigstück in die Hand drücken ließ. Da
stiegen aus mancher von den umstehenden ÄUrger-
brüsten heiße Gebete empor, welche schluchzend auf
die hohe Frau den Segen des Himmels herab-
flehten, Der Besitzer des „Blauen Esels" durfte
der Frau Erbgräfi» ein Glas Wasser überreichen,
welches dieselbe mit den anerkennenden Worten:
„Gutes Wasser!" bis auf den Grund leerte. Unter
de» brausenden Hochrufen der Menge fuhren dann
die hohen Gäste, als sie das schlichte Benzin ein-
genommen halten, welches ihm unser Städtchen
bieten konnte, davon. Ein wohlhabender Bürger
will zum Andenken an das unvergeßliche Ereignis
einen Mouumentalbrunnen stiften, der auf mar-
morner Tafel in Goidbuchstaben die bedeutsamen
Worte trägt: „Nette Gegend — Gutes Wasser:"
— Ladislaus und Theodolinde,

Pips

*

Liebe Jugend!

In einer der letzten Sitzungen des Münchener
Magistrates meinte einer der nltramontanen Räte,
daß gegen die Zulassung der fakultativen Feuer-
bestattung ethnologische Gründe sprechen.

Der Mann hat Recht:

Ls würden dann hauptsächlich nur noch die
Lentrumsschädel der Nachwelt überliefert werde::,
wodurch spätere Forscher zu falschen Schlüssen
kommen müssen.

»

Seid cinig, einig, einig!

(Ein Mahnwort an die Liberalen)

Werden wir die schwarzen Brüder
Diesmal endlich unterkriegen,

Wder soll in Deutschland wieder
Wälsche psaffheit glorreich siegen?

Seht ihr, wie sie frech sich brüsten,
Höhnend euch von ihrem „Turme",

Und ihr zaudert, euch zu rüsten
Alle, Mann für Mann, zum Sturme?

Aus, was deutsch ist, eng im Bunde!
Lins nur darf euch heute kümmern:

Seid nicht klein zur großen Stunde —
Und Iwing-Uri liegt in Trümmern^

Der neue ZZIutnrO

„Stellt nur den Liberalismus auf die
Beine," sagte ein Redakteur der „Jugend",
„laufen wird er schon können!"

KuL,äem lyrischen

Tagebuch des Leutnants v. Versewilp

Zur Vlachachtung!

Hört jetzt, da 27tcr naht,

Daß Nkajeftät anbefohlen,

Ihm für Icburtstagstisch Wahlresultat
Rechtzeitig e i n z u h o I c ».

Wünscht dies als einziges präsent!

Hofft, daß Volk derartig wähle,

Daß das, was man so Rcichsfeind nennt,
Iänzlich im Haus diesmal fehle.

Darf wohl erwarten, daß alle Partei'»

Sich in dem Sinne bestreben:

Wäre ja wirklich auch zu jemein,
lNajestät Korb zu jeben!

Der Zar hat der „Zeit" zufolge feinem Söhnchen
die erste Uniform und einen Säbel verliehen.
Der junge Krieger hat beschlossen, sein Schwert
nach altem Ritterbrauch mit beiden Händen zu
fassen. Ein mit seinem Schemel ansgefochtencs
Tnrnei endigte, wie nicht anders zu erwarten war,
mit einem glänzenden Sieg des Thronfolgers,
Uebrigens regt sich, seitdem er eine Uniform trägt,
in dem Jüngling das echte Zarenblut: Er hat
seinem Kindermädchen schon eine ganze Menge
Vergünstigungen versprochen, die er nie zu
halten gedenkt.

O

Huch ein Diener 6ottes!

Ans Großgcra» wird wieder ein schöner Fall
von Proselytenmacherei bekannt. Lin Pfarrer,
zu einem schwerkranken Katholiken gerufen, dessen
Frau und Kind evangelisch sind, ließ, nachdem er
mit dem Sterbenden eine Zeit lang allein gewesen,
die Frau,, die vor Schmerz und Verwirrung nicht
wußte, was sie tat, ein Dokument unterschreiben,
nach welchem, dem willen des Vaters entsprechend,
das Kind katholisch werden müsse.

Gb der katholische liebe Gott wohl eine
besondere Freude über die Acguisition einer Seele
empfindet, die man zuerst dem protestantischen
lieben Gott gestohlen hat?

»

Ein Lichtblick

Die Zeiten sind trübe! In den Jahren >894
und >896 wütete der japanisch-chinesische Krieg,
in den Jahren >895 und >8I6 der italiciiisch-
abessynische Krieg und die armenischen wirren,
im Jahre I897 der türkisch-griechische Krieg, im
Jahre >898 der amerikanisch-spanische Krieg, in
den Jahren >899—1902 der südafrikanische Krieg
und die chinesischen wirren, in deir Jahren >904
und >905 der russisch-japanische Krieg! Noch
schlimmer war das Jahr >906; in ihm tobte die
Konferenz von Algeciras. was wird uns das
Jahr >907 bringe:!? Schon droht eine finstre
Wolke am politischen Himmel, — die Haager
Konferenz, die bis an die Kniee im Frieden waten
wird. Und mit schwerem Herzen und bangen
Sorgen würden wir in die Zukunft blicken, wäre
nicht ein freudiges Ereignis, das das Lude drs
Iahres >906 verschönt hat und das uns den
europäischen Frieden auch für die nächste Zn-
kunft sichert: Das Großherzogtum Sachsen-
lveim ar und das Fürstentum Reuß jüngere
Linie sind nach langen Kämpfen einig
geworden; sie wollen ihr gem einsames
Landgericht behalten! Dem Himmel sei
Dank! Fr!«!«

Variante

Der Mann, der das Wenn und Aber erdacht,
Der hätt' es bestimmt bis zum Kanzler

gebracht
Index
Fritz: Kehr' Jeder vor der eig'nen Tür
Frido: Ein Lichtblick
[nicht signierter Beitrag]: Auch ein Diener Gottes!
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz: Zur Nachachtung
[nicht signierter Beitrag]: [ohne Überschrift]
[nicht signierter Beitrag]: Variante
Pips: Unvergeßliche Augenblicke!
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Monogrammist Frosch: Illustrationen zum Text "Der neue Plutarch"
Dr. B.: Seid einig, einig, einig!
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
 
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