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Max Klinger

Max Klinger

Das Höchste, was das Schicksal einem Künstler
schenken kann, ist die Möglichkeit ungehemmter
Entwicklung. Die sagenannte Ktinstlerfreiheit, der
die Welt der Sinne und des schrankenlosen Ge-
nusses offen steht, wird nur kleinen Naturen ge-
fährlich; die großen sind allein schon durch ihren
Dämon gefeit, der jeden, früh verrät, daß die
höchste Betätigung ihres Lebens nur im Schaffen
liegt.

Max Klinger, der am 18. Februar sein 50.
Lebensjahr vollendet, ist die Göttergabe freier Ent-
wicklungsmöglichkeit in vollem Maße zu teil ge-
worden: schöne Lebensvcrhältnisse, ein ausge-
sprochenes Talent, das früh erkannt und von der
eigenen Familie geschäht wurde, der regste Sinn
für alles Wertvolle in Vergangenheit und Gegen-
wart, für Kunst, Musik und Literatur haben dazu
beigetragen, ans dem Künstler die außerordentliche
Persönlichkeit zu machen, die selbst in den Werke»,
die nicht als vollendete Gebilde vor »ns stehen,
noch zu fesseln vermag. Nur der Größe ist der
Sinn für Größe eigen. Wir können die geistigen
Einflüsse, die bestimmend auf Klinger gewirkt haben,
aus seinen Werken heranslesen: Beethoven, Schu-
mann , Brahms, Schopenhauer, Hölderlin haben
seine Phantasie befruchtet und seine Weltanschauung
bestimmt, die in ihrer Jugend zu dem Pessimis-
mus starker Naturen neigte, denen die Welt als
etwas Unzulängliches vor der ruhelosen Seele
steht. An Schopenhauer mochte ihn, neben dem
Denker, auch der große Meister der Prosa an-
ziel, en, und ans diesem Sinn für die Schönheit
der Form fließt auch seine Schätzung der modernen
Franzosen und vor allem Flanbertr, der als
Meister klassischer Prosa die edelste Gemeinde anzieht.

Von Künstlern hat wohl Goya stark auf den
jungen Radierer gewirkt, obwohl der Künstler

selbst diesen Einfluß nicht allzuhoch anschlägt;
aber das uns Gemäße ergreifen wir stets mit der
Leichtigkeit, die selbst ans einer Andeutung unend-
liche Belehrung zu schöpfen vermag. Dann ist
Böcklin zu nennen, der nicht nur als Maler,
sondern auch als große Persönlichkeit auf den
jungen Meister einwirkte, der aus einem anderen
Wege das den Göttern heilige Italien finden sollte.
Auch den Bestrebungen der modernen Franzosen
stand Klinger, den man gerne in ein gewisses Phan-
tasiedeutschtum einsperren möchte, mit der Un-
befangenheit einer starken Natur gegenüber: seine
Bilder „L’heure bleue“ und die „Quelle," die
in den achtziger Jahren in Rom entstanden sind,
zeigen, in ivie selbständiger Weise er die Theorie
von den Grenzwerten der Farbe aufnahm, ohne
seinen Sinn für die Monumentalität der mensch-
lichen Erscheinung beeinträchtigen zu lassen. Solche
Theorien führen zuletzt immer wieder ans ein
Temperament oder ein Auge zurück, und Klinger
war zu reich, um an dem Handwerksmäßigen oder
Allzugewagten solcher Meinungen hängen zu bleibe».
Ich entsinne mich eines Gesprächs mit dem Künstler,
in welchem er sich in entschiedenster Weise gegen
die Behauptung Delacroix' wandte, in der Natur
gebe cs keine Linie, weil das Licht alles anflöse.

Den Deutschen ist Klinger zuerst durch seine
Radierungen und Stiche wert geworden, die zum
Teil zu den Werke» gehören, in denen sich das
Wesen deutscher Phantasie in reinster Weise offen-
bart. Als Radierer hat er früh jene Meisterschaft
erreicht, die Höchstes versprach: schon iit den
„Radierten Skizzen" (1878) finden sich Blätter, die
in ihrer Art vollendet fiitb, wie z. B. die „Ver-
folgung," deren Stimmungsgehalt den künftigen
Meister der Landschaft verrät. Als Schöpfer süd-
licher Landschaften steht er in den „Rettungen Ovi-
discher Opfer'hI879)auf der Höhe seiner Meisterschaft,
die alles Technische spielend bewältigt. Von Werk

zu Werk schreitet die technische Meisterschaft Kllngers
fort, bis sie in dem zweiten Teile des Zyklus
„Vom Tode" ihren Höhepunkt erreicht. Es muß
hervorgehoben werden, daß die ersten Folgen dieser
entzückenden Landschaften, die den vollen Geist des
Südens atmen, entstanden sind, ehe der Künstler
einen Fuß auf klassischen Boden geletzt hatte: sie
sind, wie alle echten Gedichte, der Sehnsucht ent-
sprungen, die schöpferisch macht. Diese Blätter
bieten der Kritik, die im Beschreiben ihre Aufgab«
sieht, willkommenen Anlaß zur Betätigung: die
edlen Linien der Berge, das i» Rosen auf-
schäumende Meer, die Tempel, die von duftigen
Hängen herunterleuchten oder aus heiligen Hainen
auftauchen, die Götter und Giganten: alles be-
kommt hier unter den Händen eines Sehers, der
mit dem Blick des Denkers und des Künstlers
diese Gefilde betritt, neues Leben. Auch hier ist
die schöpferische Sehnsucht nach dem Süden, die
auf unsere Romantiker zurückgeht, am Werke;
aber es ist ein durchaus moderner Mensch, der
als Bildner mit den Formen und Gestalten spielt,
die von unendlicher Bedeutung sind. Die Frei-
heit des Künstlers entspringt einer ungeheuren
Kultur, welche den Sinn für Humor, Grazie,
Tragik in seltener Weise ansgebildet hat: schon
die überlegene Art und Weise, ivie ein edler
Formensinn die Elemente antiker Dekoration in
de» Randleisten zu des Apulejus „Amor und
Psyche" (1880) nmbildet, ist einzig zir nennen. So
kann man die Antike nur empfinden, wenn nian mit
den klaren Augen des Schauenden ihr Wesen erkannt
hat und darüber schwebt. Der Adel dieser süd-
lichen Landschaften ist unvergleichlich: es ist etwa
die Stimmung Hölderlins, wie sie in dem gran-
diose» Fragment „Empcdokles" waltet, die hier in
herrlichen Gesichten ihre Blüten treibt. Nur ein
moderner Künstler, der den Bruch zwischen der
antiken und modernen Welt in tiefster Seele fühlt,
Register
Wilhelm Weigand: Max Klinger
Max Klinger: Phantasie und Künstlerkind
 
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