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Nr. 11

1907

An meinen Sohn

Trink', mein Söhnchen, trink' und iß —
Deinem Mütterchen ist bange,

Dem die Hand der Finsternis
Runen zog um Stirn und Wange.

Wieder steht das Korn in Gold,

Glut und Reife allerwegen —

Unerhofft und ungewollt
Traf auch mich der Erntesegen-

Traf mich wie ein böser Fluch,

Ist wie Schmach an meinem Leibe,

Die ich in mein Lebensbuch
Machtlos — grollend, niederschreibe . ..

Trink', mein Söhnchen, trink' und iß!
Deinem Mütterchen ist bange.

Dem die Hand der Finsternis
Runen zog um Stirn und Wange . ..

Warum — das versteh' ich nicht —

Jst's nicht wie in jenen Tagen,

Da durch lauter Glanz und Licht

Dich mein seliger Schoß getragen?--

Margarete -Beutler

Bessere Leute

Der Herr Rat (einem dicken Herrn die Tür
öffnend): Also adieu, Herr Neumüller! Meine Else
wird pünktlich zur Schlittenpartie kommen! —
Empfehlungen an die Frau Gemahlin! Und schönen
Dank! — — Die Ehre! (schließt die Türe-)

Die Frau Rätin:-Die Ehre! — Ist

er draußen? Constantin, ich muß Dir sagen —
cZ geht nicht mehr: Diese Neumüllers werden mit
jedem Tage unerträglicher! Da? ist eine Aufdring-
lichkeit, die schon Unverschämtheit heißen kann! —
Wir müssen die Sippschaft abschütteln!

Der -Herr Rat: Ja, meine Liebe, wir haben
doch die Jahre her ans dieser Bekanntschaft manchen
Vorteil gezogen —

Die Frau Rätin: Aber die Bekanntschaft wird
lästige nein, sie kompromittiert uns nachgerade!
Was Du Dir als Snbalternbeamter gefallen lassen
konntest, das entwürdigt Dich jetzt als Königlichen
Rat! Und was uns als armen Leuten eine An-
nehmlichkeit war, da? wird jetzt, seit wir's nicht
mehr nötig haben, eine drückende Last! Ich will
von diesen Geldprotzen loskommen I

Der Herr Rat: Wie Du meinst — aber
Protzen sind Neumüllers nun wirklich nicht, sondern
ganz einfache Leute —

Die Frau Rätin: Das ist es eben — spürst
Du das nicht? Wenn man so viel Geld hat, ist
das Zurschantragen von Einfachheit die raffinierteste
Protzerei! Gegen den sogenannten Knallprotzen,
der die Brillantringe am Daumen trägt, kann
man sich wehren — gegen die Sorte, die bescheiden
tut, nicht! Nimm nur den heutigen Fall wieder:
sie laden unsere Else zu einer Schlittenpartie ein
— nach Starnberg — obwohl sie selbst keine
Pferde halten! Wer selber Pferde hat, kann so
was tun — wer Schlitten und Pferde mieten
muß und tut so was, der protzt — ja, der protzt!
Das kostet mindestens vierzig Mark!

Der Herr Rat: Na, Else verdankt Neumüllers
manches Vergnügen, das wir ihr nicht hätten ver-
schaffen können

Die Frau Rätin: So!! Und mit welchen
Seelenschmerzen sie das erkauft hat, wie das Ge-
fühl der Zurücksetzung, des Neides, vergiftend an
ihr junges Herz greifen mußte, davon sprichst Du
nicht! Sie laden Else die Woche zweimal auf
ihren Theaterplatz ein, in Konzerte und so weiter;
Else ist den ganzen Sommer auf dem Rad der

Q. Uetrolckt (Paris)

Neumüller Grete gefahren; hat ihre Kostüme ge-
tragen den ganzen Karneval durch; sie war drei
Wochen auf dem Lande bei Neumüllers, ist mit
ihnen in Venedig gewesen — sie, die Beamtens-
tochter, mit diesen Mehlhändlersleuten l Man hat
es hinuntergeschluckt und man hat geschwiegen!
Man hat sogar noch dankbar getan! Aber nun
ist endlich Onkel Roderich gestorben —

Der Herr Rat (trällert): 's war aber auch
die höchste Zeit!

Die Frau Rätin: Ja! Nun sind wir rangiert!
Else wird eine Partie! Sie hat 30,000 Mark
über die Kaution! Sie braucht sich nicht mehr
zu verplempern —

Der Herr Rat: Wenn aber der junge Neu-
müller —

Die Frau Rätin: Denkt nicht daran! Das
ist es eben, das ist es, was ich so empörend ge-
wissenlos finde! Sie verlocken das arme Kind, sie
wecken Hoffnungen in ihm.. .

Der Herr Rar: Ich will nicht hoffen, daß
der junge Mensch Else irgendwie kompromittiert
hat-

Die Frau Rätin: Leider durchaus nicht —
der Bursche! Ich meine: Dazu ist die Gesellschaft
viel zu raffiniert, viel zu überlegt — viel zu
schmutzig! Da fällt nie ein Wort! Da spielt man
die guten Kameraden — in allen Ehren! Die
Sorte wagt keinen Flirt, der zu Etwas verpflichten
könnte, darauf kannst Du Gift nehmen- Man tut
sich nur groß mit der Tochter aus guter Familie!
Man schenkt ihr gelegentlich eines Vielliebchens
eine Brillantbroche! Aber sich soweit einlassen,
daß eine Verlobung nötig werden könnte — —
heiraten, das arme Beamtensmädel — kein Ge-
danke!

Der Herr Rat: Vielleicht warst Du auch ein
wenig unnahbar — verzeih' — ein bissei hoch-
mütig in deiner Art —

Die Frau Rätin: Mein Lieber! Bis zum
Tode des Onkel Roderich bin ich nichts weniger
als unnahbar gewesen — das kannst Tu mir
glauben! Ich habe mich direkt gemein gemacht!
Ich habe ihre protzigen Kaffeepartien ausgehalten
^nnd mir dann den Ridikül voll Konfekt stecken
' lassen- Ich habe mir zu Weihnachten und an
meinen Geburtstagen ihreDelikatessenkörbe gefallen
lassen mit Langusten und Kaviardosen und Ananas
und solchem Zeug und der unsichtbaren Inschrift:
Da freßt Euch satt, Ihr armen Schlucker könnt's
Euch ja doch nicht leisten!

Der Herr Rat: Wir haben auch sonst noch
allerlei angenommen — das darfst Du nicht ver-
gessen - -.

Die Frau Rätin: Daß sie uns Geld geliehen
haben, als Du ins Bad mußtest? Pah! Die
Sorte macht immer Geldgeschäfte —

Der Herr Rat: Sonderbare Geldgeschäfte:
Neumüller nahm ja keinen Groschen Zinsen in
den sechs Jahren —

Die Frau Rätin: Und Du merkst nicht, daß
dies das ganz Infame ist? Wenn so was Zinsen
nimmt — gut! Man bezahlt sie und je mehr
sie Zins nehnien, desto weniger ist nian ihnen
verpflichtet! Aber von unsereinem nimmt das
nichts! O nein! Es kitzelt mehr, besseren Leuten
eine „Wohltat" erwiesen zu haben! Da tut man
sich groß — das ist ein paar Mark wert! Und
ihr Geld kam ihnen nicht aus, das wußten sie —
bei Heller und Pfennig wurden sie bezahlt —

Der Herr Rar: Als der Onkel Roderich ge-
storben war -.. sonst hätten sie noch lange warten
können!

Die Frau Rätin: Aber er ist gestorben! Es
war doch schließlich mein Onkel und ich war seiner
sicher! Uebrigens — wir haben ihnen Zinsen
genug bezahlt — moralische Zinsen- Du glaubst
nicht, wie solche Menschen darauf aus sind, mit
besseren Leuten verkehren zu können- Damit machten
sie sich bezahlt. Ich Hab' den Mann als Firm-
pate für unfern Max genommen — noch heute
schäme ich mich! Du läufst immer noch mit einer
silbernen Schlüsseluhr herum — Max haben sie
eine dicke goldene Remontoiruhr geschenkt! Hast Du

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Register
Margarete Beutler: An meinen Sohn
Gustav Petzoldt: Zierleiste
Fritz Frh. v. Ostini: Bessere Leute
 
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