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Sntfüsirung

Pokert Lngeks «München)

Snde einer Lieke

Sorgenschwere Träume sandt ich aus.
Zögernd flogen sie zu deinem Haus,

Blieben scheu vor deiner Türe ftehn,

Hörten deinen ruhigen Atem gehn.

Bang und ftüsternb drängten sie sich dicht:
Denn aus deiner Kammer kams wie Licht.
Spähten durch den Spalt nach deiner Ruh,
Hielten sich erschreckt die Augen zu.

Kehrten endlich müden Flugs zurück: —

— Neben deinem Haupte saß das Glück.

Walther Linus

Sin Lied aus dem Lehnstuhl

Wenn ich nicht Mutter war

War auch mein Herz nicht schwer —

Gab' ich dem losen Wind,

Was meine Sorgen sind.

Ach, wie ich wandern wollt'

Weitaus ins Abendgold,

Ziel nicht, noch heimisch Dach —

Nur meiner Sehnsucht nach!

Margarete Beutler

Heimat der Seele

Blasi unter deinen Hauchen,

O Weihnachtstraurigkeit,

Aus Nebelferne tauchen
Die Träume der Kinderzeit.

Und über den Türmen funkeln
Seh ich den alten Stern,

Dann sitz ich wieder im Dunkeln,
Verwiesen, fern.

Richard Schaukal

Der Othello des Schauspielers Doro

von Raoul Aucrnheimcr

Al? der berühmte Doro die schöne Viola
heiratete, war er achtundvierzig nach Angabe des
Bühnenkalenders, in Wahrheit um ein paar Jahre
älter, lind auch Viola hatte in Wirklichkeit um ein
paar Jahre mehr als sie zugab, aber keineswegs
viel über dreißig. Sie war eine Frau von lebens-
gefährlicher Schönheit, eine dieser kühlen lang-
stieligen Blondinen, mit EiSaugen und einer kühlen
Haut und einem zärtlichen Mund, so rot wie eine
frische Wunde. Sie hatte schon allerhand durch-
gemacht, war verheiratet gewesen, eine Zeitlang,
dann auch geschieden, gleichfalls eine Zeitlang,
und schließlich verwitwet. Als geschiedene Frau
hatte sie recht lustig gelebt, war viel auf Reisen
gewesen, hatte abwechselnd in Rom, Paris, Berlin
ihr Hauptquartier aufgeschlagen, immer von einer
Suite von Anbetern umgeben, immer von dieser
zärtlichen erschlaffenden Luft überhitzter Galanterie
eingehüllt, in der die Männer ersticken und Frauen
sich so prächtig entfalten wie Orchideen in einem
Treibhaus. Dann, als Wiiwe, war sie solid ge-
worden, wie es sich für eine Witwe gekört, und
schließlich ward sic sogar seßhaft und blieb in
Wien, sie wußte selbst nicht, wie und warum. In
letzter Linie wohl nur, weil sie des Herumreisens
müde war und weil der schöne Doro Liebesszenen
so virtuos spielte. Es war dies nämlich im Grunde
ein ziemlich mittelmäßiger Künstler, aber in Liebes-
szenen war er geradezu einzig. Das wußte das
Publikum, das wußte die Kritik, das wußten die
Frauen seit fünfundzwanzig Jahren. Nur die
zugereiste Viola wußte cs nicht, und das wurde
ihr Schicksal, und auch das seine. Denn, als er
eines Nachmittags, da er sie in der Pension, wo
sie wohnte, besuchte und allein antraf, sich den
Spaß machte, ihr eine dieser seiner berühmten
Liebesszenen als Privatissimum vorzuspielen, da
war sie davon dermaßen erschüttert, daß sie, an-
statt zu applaudieren, ,Ja' sagte. Und er nahm
dieses Ja hin als eine ganz selbstverständliche
Huldigung wie den Applaus nach Aktschluß und
ging beruhigt fort, sehr zufrieden mit sich und
seiner Liebe, denn er glaubte, sie mit dieser Szene
ein- für allemal und fürs ganze Leben erobert zu
haben. Und er ließ außer Betracht, daß man mit
Liebesszenen wohl zwanzig Jahre hindurch hundert
Frauen erobern, aber nicht eine Frau auch nur
zwei Jahre lang festhalten kann, zumal eine Frau
wie Viola, der man schon so viel vorgespielt hatte.
Und er übersah auch, daß ihn Viola eigentlich
gar nicht liebte, daß es ihr nur Spaß gemacht

hatte, ihn zu ihren Füßen zu sehen, einen Nachmittag
lang, und daß sie sich dann feinen glänzenden
Namen angesteckt halte wie eine Brosche, bevor
sie abends in Gesellschaft ging. Aber Frauen wie
Viola tragen nicht jeden Abend dieselbe Brosche
— und wenn sie noch so glänzend wäre...

Aber da war noch ein anderer Punkt, worin
nicht nur er allein, worin sie sich beide getäuscht
und verrechnet hatten. Sie war eine Weltdame,
und gerade das reizte ihn, und er war ein Künstler,
und gerade das reizte sie. Er hielt nämlich etwas
darauf, außerhalb seiner Kunst für einen Welt-
mann zu gelten, und sie war Weltdame genug,
um sich auch mit der Kunst zu beschäftigen, weil
das ja doch unter allen Umständen der neutralste
und beste Gesprächsstoff in Gesellschaft ist. lind
darum hielt er sie für kunstsinnig, allein sie war
es nicht. Sie las die neuesten Bücher so wie sie
die neuesten Hutformcn trug und das modernste
Briefpapier benützte, und sie ging ins Theater,
weil da? alle schiken Leute tun, und weil man
dort immer Bekannte trifft, und weil man doch
schließlich auch etwas reden muß bei den feinen
Soupers, während man seine Schönheit und Toilette
ansstellt. Sie schwärmte für schöne Bilder und
Plastiken, wie sie für echte Spitzen und Zobelpelz-
werk schwärmte, sie sprach den Namen Böcklin
mit fast ebensoviel Bewunderung wie Paquin aus
und Caruso nicht anders als Momperth, den Sieger
im letzten Derby. Mit einem Wort: Ihr war die
Kunst ein Luxus mehr, ihm war sie der Inhalt
des Lebens. Das war der Unterschied.

lind genau wie in ihren Kunstsinn hatte sie seine
Weltlichkeit überschätzt. Gewiß, er war elegant,
immer wenn er auf der Bühne stand und zu-
weilen auch im Leben, wenn er es der Mühe
wert fand, Theater zu spielen. Aber er besaß
diese mühelose, selbstverständliche Eleganz, die
leichten Allüren der Lebewelt nicht, an die sie ge-
wöhnt war. Er hatte diese heitere Gleichmäßig-
keit im Benehmen nicht, die man nur in der
Schule des Müßiggangs lernt. Er kannte nur
Ekstasen oder Depressionen, war hinreißend oder
unausstehlich, auf dem Siedepunkte oder auf dem
Gefrierpunkte. Er hatte sozusagen immer einen
Tausender bei sich, aber wenn man ihn um Klein-
geld ansprach, war er manchmal verlegen. Bei
ihr war es umgekehrt, und sie hatte auch nicht
das rechte Verständnis für ungewechselte Taufender.
Dieses fortwährende Steigen und Fallen der Queck-
silbersäule am Stimmungsbarometer machte sie
bald nervös, dieses ewige Geschaukel zwischen
Langweile und Leidenschaft, diesen beiden Polen
einer Künstlerexistenz, machte sie seekrank. In

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Register
Raoul Auernheimer: Der Othello des Schauspielers Doro
Richard v. Schaukal: Heimat der Seele
Margarete Beutler: Ein Lied aus dem Lehnstuhl
Walther Unus: Ende einer Liebe
Robert Engels: Entführung
 
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