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DU I2acbbarbäufer

von Werner Wittgenstein

Mls im siebenjährigen Kriege die
Befestigungen der Stadt geschleift
warein da zogen nach und nach alle
vornehmen Leute aus den schönen Pa-
trizierstraßen hinaus und bauten ihre
lfäufer dorthin, wo vordem die Bastionen
gestanden hatten. So kam es denn, daß
an den alten stattlichen Palästen schließ-
lich Schilder mit Aufschriften hingen wie
etwa: „Beinrich Banemann, Tischler-
meister" und „Felix Buchfink, Taxezier
und Dekorateur."

Nur zwei Familien waren in ihren
ehrwürdigen Stammhäusern geblieben,
die Radenbccks und die Norlings. Sie
hatten beide ihren Reichtum bewahrt
und saßen auf ihren alten Sitzen in-
mitten der vielen kleinen Leute als
stolze Zeugen einer alten Zeit. Und
Nachbarn waren sie. Aber trotz alledem
mieden sich die Familien seit drei Ge-
nerationen und gingen aneinander vor-
bei mit scheuem Gruß.

Als Fritz Radenbeck ein kleiner
Junge gewesen war, hatte er wohl oft
die breite Gartenmauer erstiegen, die
hinter dem Bause lag und hatte da
Lisbeth Norling gesehen und war zu
ihr hinabgeklettert und hatte mit ihr
getollt und gespielt. Dann aber war es
ihm verboten worden, in das Nachbar-
grnndstück hinllberzusteigen, und auch
der Lisbeth hatte die Mutter gesagt,
daß es sich nicht für sie schicke, mit
einem Knaben auf den Bäumen herum-
zuklettern. So waren die Kinder getrennt und
vergaßen sich, obwohl sie ksaus an Baus wohnten.

Nun aber war Fritz Radenbeck nach seinem
ersten Semester als Student wieder nach Bause
gekommen und er sah alles mit anderen Augen
an als früher, er sah alles aus einer gewissen
Entfernung, die Menschen und die Dinge. Und
als er Lisbeth auf der Straße begegnete, da staunte
er, wie schön sie war und er grüßte sie ehrfürchtig.

An diesem Tage kamen ihm die vergilbten
Tagebuchblätter des Beinrich Thristoph Raden-
beck, der im Jahre (782 gestorben war, in die
Bände. Und als er darin las, mußte er an das
kleine Ulirtschaftszimmer im zweiten Stock denken,
das noch die Decke mit der geschnörkelten Stukatur
und den gewaltigen Wandschrank aus alter Zeit
bewahrt hatte. Er zog hinauf und lehnte sich

Velin Frühstück

von Johannes V. Jensen (Kopenhagen)

Gesegnet sei das Cafö!

Ein Hoch dem Samt der Sofaecke!

Ich umfasse meinen Kellner mit Sympathie,
ich sitze sauber und barbiert am Tisch,
suche die Eisensiauge mit meinen Füßen,
und atme den keuschen Chlorgeruch des Tischtuchs.

Gebt mir ein Pilsener!

Ich will das bernsteingelbe Bier vom Faß besingen.

Es ist eisgekühlt, und schäumt von Kohlensäure,

Tod und Teufel, wie meine Zähne danach verlangen!

Meine Kehle trinkt schon, wenn ich es nur von fern erblicke!

Ich will mich in einem Schluck begraben . . . Prost!

Jetzt fühl' ich mich wohl.

Vor mir stehen vier blühende Butterbröte.

Erst esie ich eines mit Ei und Sardellen —

Oh Ahnung an Schwefelwasserstoff und Jodgeruch von den Tangwäldern
des Meeres!

Darauf setze ich meine Zähne in ein junges und leckeres Stück
mit Braten,

r 1907

wand preßte und in Sehnsucht seufzte,
ganz nahe dem Weibe seiner wünsche
und doch so fern. CD Ahnherr, Lisbeth
ist auch ein schönes Weib! Und er ging
im Ziinmer auf und ab, Dämmerung
war es geworden. Gespeitstisch schaute
der alte Schrank aus der Ecke her-
aus. von diesem Schrank an dem
Apfelbört vorbei znm Fenster war sein
weg, immer hin und her, und nun
stand er wieder vor dem alten Wand-
schrank und schaute ihn an, und er
riß die Tür auf: was war das?!
Ein Lichtstrahl! Da an der Rückwand,
hinter den Einmachegläsern! Er räumte
den Schrank leer und riß die Regale
heraus. Und nun lief er hinab und
holte ein Licht und Bammer und
Stemmeisen und schlug an dem Licht-
streifen entlang herunter, und Bolz
sprang ab, und ein Stück Eisen fiel laut
zu Boden. Jetzt legte er sich gegen die
wand, und es krachte, und ein Prasseln
uitd poltern, die wand gibt nach, und
es öffnet sich, und Licht bricht herein.
— Lisbeth! —

„Verzeihung, ich weiß nicht wie —
aber - ich weiß nicht, wie es kam! —
Ich erschrak Sie wohl!"

— Sie steht ruhig vor ihm im
weißgeblümten Kleide: „pst!" Dann
huscht sie an die Tür und riegelt sie
ab. Er kriecht hinein, vorsichtig, als
könne er die zarte Lieblichkeit dieses
rNädchenstübchens erdrücken. Sie setzt
sich auf das Sofa und lädt ihn mit
der Band neben sich. Er kommt zaghaft
und geblendet und streicht seinen Rock,
als müsse er das Dunkle und Kalte aus
dem Zimnier dadrüben von sich abstreifen und er
setzt sich und sieht sich um und sucht nach etwas, von
dem er sprechen kann und sagt: „Da ist ja vor-
hin ein Bild von der wand gefallen!" — „Ach
ja, die Ahnfrau, sie spukt, sie soll in diesem Zimmer
viele einsame Stunden gebetet haben, darum hängt
hier ihr Bild." Er geht hin, den Bammer hält
er noch in der Band und schlägt den Nagel ein,
dann hängt er das Bild wieder auf. „Einer
meiner Ahnen aus dieser Zeit hat eine Fra»
Ihres Bauses unglücklich geliebt." „Meinen Sie
so unglücklich?! Ich habe die Geheimtür in der
Bolzverkleidung dort längst entdeckt." Da lacht
er und lacht sich ledig aller seiner Befangenheit
und trilt hinzu und küßt sie und sagt: „Nun,
dann wollen auch wir die List unserer Ahnen
nützen."

und hier vertieft der Geschmack sich so sehr, daß ich schweige.

DaS Bukett der Rollwurst von Lamm") und öltriesenden Maschinen
steigert mein Wohlbefinden.

Der Käse vereinigt ein Gefühl von Verwesung und brennender
Liebe in meinem Herzen.

Aber jetzt bebt meine Brust dem SchnapS entgegen,
den ich mir aus der eisgekühlten Flasche geschenkt habe.

Seht, wie er glitzert, wie er hell lacht,

ich halte ihn vor mir wie einen großen, lebenden Diamanten,

Kornbranntwein, kurz gesagt, Dänemark!

Hier sitze ich und bereite mich für den schönsten Augenblick.

Hier ist's gut sein. Hüte passieren am Fenster vorbei, viel
Volk ist auf den Straße».

Ich sage mir selbst, daß das Leben und das Sonnensystem
ein glänzendes Geschäft ist.

Prost!

Ich erhebe keinen erbitterten Protest gegen den Walzer der
Erde inmitten der Sternbilder,
weil ich selbst ein Mauerblümchen bin;

*) Lammfleischroulade

H. Schneidler (Solingen

gegen das Fenster mit den acht kleinen Scheiben
und las weiter und er las: „Als ich nun glaubte,
daß der wind der Welt mich genügend umweht
habe, kehrte ich aus dem sonnigen hispanischen
Land wieder zurück in die teure Boimat. Dort
aber widerfuhr meiner Seele großer Schmerz, denn
ich mußte sehen, daß meine Boimlichgeliebte von
meinem Freund und Nachbarn Norling zur Frau
genommen war. Gbwohl ich zuerst schier ver-
zweifeln wollte, so gab mir doch Gott in seiner
Güte die Kraft, mein Schicksal zu tragen und in
stiller Ergebenheit habe ich mich in alles gefunden
und habe unbeweibt im väterlichen Bause neben
der fröhlichen Familie des Bruders gelebt als
armer Bagestolz und in Frieden erwarte ich meines
Lebens Ende." — So stand auf den alten Blättern,
und er sah den Ahnherrn, wie er sich an die
Register
Werner Wittgenstein: Die Nachbarhäuser
Friedrich Hermann Ernst Schneidler: Zeichnung ohne Titel
Johannes Vilhelm Jensen: Beim Frühstück
 
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