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Rutnahmen von £. IN. Degas (Paris)

Seitenteile vom

an einer stillen Parkstraße in Auteuil liegt
BartholomL's Werkstatt. Kein Ton dringt
hierher von dem Geräusch der Millionenstadt, und
man möchte es kaum glauben, hier so nahe dem
ewig rastlosen, ewig bewegten Paris zu sein. Und
auch die Werkstatt selbst hat so wenig Aehnlichkeit
mit denen anderer Meister in Paris.

■ Sie ist nicht großartig und imponierend durch
ihre Raumverhältnisse wie etwa Rodin's Villa äss
brillants in Meudon, oder prächtig, wie Merciö's
Hütel beim Observatoire. Sie ist nicht, wie bei
so vielen Andern, zu einer immerwährenden Aus-
stellung eingerichtet, um dem Eintretenden sofort
einen Einblick in das Werk des Besitzers zu geben,
und sie ist auch nicht dazu bestimmt, Empfangstage
darin abzuhalten, wie das so viele Pariser Künstler
lieben. Es ist nur ein Arbeitsraum, so einfach und
schlicht, wie der Meister, der rastlos darin tätig ist.

Und doch wird niemand, der je dort Einlaß
fand, einen andern Eindruck empfangen haben,
als den, die Arbeitsstätte eines Großen der Kunst
betreten zu haben. Sein Blick wird auf das
Modell des IVIonuiusut aux lUorts fallen, und
wer je die zwingende Wirkung, die es ausübt,
einmal gefühlt hat, der wird immer von neuem
mit Bewunderung vor dem Werke stehen, das

kcirttioloine

Bartholomö's Namen über die ganze Welt ge-
tragen hat.

Kein Wunder, denn das Nonumsut aux tz-lorts
ist des höchsten Vorzugs teilhaftig, der einem Kunst-
werke nachgerühmt werden kann; es ist erlebt. Und
wie Goethe alles, was sein reiches Leben ihm ent-
gegentrug, zu Poesie wandelte, wie er alles, was
ihn bedrückte, überwand dadurch, daß er es zur
Dichtung umschuf, so hat Bartholoms den großen
Schmerz seines Lebens in seinem Werk niedergelegt.

Aber nicht so leicht wie dem Dichter die Sprache
ist dem Bildner der Ct'in gefügig, und Jahre ver-
gingen, ehe der Gedanke Gestalt und Form ge-
wann. In diesen Jahren aber wandelte sich
Bartholom^'s Gedanke selbst: Er wuchs empor
vom Persönlichen in's Allgmeingültige, und immer
wieder mußte der Meister die Form dieses Ge-
dankens ändern:

Als ein im innersten Verwundeter hatte er sein
Werk begonnen, aber wie er es endlich vollendet
hatte, da war die Wunde vernarbt und nur das
wehmütige Lächeln des Weisen war ihm geblieben.
Sein Werk war nun nicht mehr der Ausdruck
individueller Trauer, e? war unter seiner Hand
zum Ausdruck reinmenschlichen Empfindens ge-
worden. Die Menschheit selbst wurde sein end-

gültiges Thema: wie sie hinzieht zum dunkeln Tor
des Todes in unaufhaltsamem Zug, und jede
seiner Gestalten wurde zum Typus, zu einem
Typus menschlichen Fühlens der großen Frage
des Sterbens gegenüber.

Darum hat er auch sein Werk allen Toten
gewidmet, nicht nur der einen, für die es zuerst
gedacht war.

Es ist sicher, daß in Frankreich manch anderer
das Fleisch des nackten Körpers mit größerer Meister-
schaft gegeben hat. Antonin Merciö, Barrias und
Rodin sind als reine Bildhauer weiter gekommen
als Bartholomö in dem Llonmusut aux lVlorts
Er selbst sogar versteht jetzt, den Stein noch mehr
zu meistern als damals, da er sein Lebenswerk
schuf. In seiner Werkstatt steht eine halbfertige
Franenfigur, und so, wie hier die Hände gearbeitet
sind, ist kaum ein Teil der Gestalten des großen
Denkmals bewältigt worden. Aber doch wird das
lVIouuiQtzutaux r-lorts Bartholomö's größtes Werk
sein und immer zu denen gehören, auf die Frank-
reich stolz sein darf. Auch Fra Angelico da Fiesole
wurde als Maler von anderen übertroffen, und
doch hat kaum Einer so eindringlich zu den Herzen
der Menschen gesprochen wie er.

Arnold Rechberg (Paris)

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Register
Arnold Rechberg: Bartholomé
Albert Bartholomé: Photographie der Seitenteile vom Monument aux morts
 
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