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Nr. 20

J UGEND

1907

Iiacht

Ich habe meine Kerze ausgelöscht;

Zum offenen Fenster strömt die

Hacht herein,

Umfängt mich sanft und lässt mich

ihren Freund

Und ihren Bruder sein.

UJir beide sind am selben Heimweh krank;
Wir senden ahnungsvolle Träume aus
Und reden flüsternd von der alten Zeit
In unsres Uaters Haus.

Hermann Hesse

Die

Wortprächfe des Bann Will Sei

„Die Poesie der Zukunft wird eine Poesie der
Prächte sein, eine Poesie der Kostbarkeiten und far-
bigen Herrlichkeiten. Wie ein mächtiger Geist aus
Tausendundeinenacht wird der Dichter aus geheimen
Truhen seine Schätze holen und zwischen schlanken,
bleichen Fingern spielen lassen die onyxenen Schalen
und geschnittenen Jaspisdosen voll wundersamer
Herrlichkeiten aus Gold, Platin und Silber,
lüsternen Rubinen, üppigen Smaragden, Perlen
und Diamanten ..."

„Der Ueberschmock!" sagte ich zu Hann Will
Sef, der damals, als sie Wilde's „Salome" zum
ersten Male auf die Mitwelt losließen, mit mir
durch die stille Nacht heimwärts wandelte. Er
war begeistert von den Redeblumen, der perversen
semitischen Jungfrau und von sieben hochkolo-
ristischen Knickebeins, mit denen er das literarische
Ereignis nachher gefeiert hatte.

„Dichten wird heißen: Ziselieren und Edel-
steine schleifen, die Wollust der Farben und die
Musik der Seide verstehen. Drei große Ziseleure
und Schleifer weisen de» Weg. Maeterlinck, Oskar
Wilde und Stephan George i"-

Ein Herr mit einem eingetriebenen Hut schlürfte
wankend an un« vorbei und gröhlte nach bekannter
Melodie beit alten Münchner Gassenhauer:

„I kaaf D'r an Huat und an Schleier,

I kaaf D'r a seid'ne Mautill'n,

I kaaf D'r a Biffschteck mit Eier,

Mein Liebchen, was willst Du noch mehr?"

Hann Will Sef zuckte zusammen unter den
Peitschenhieben dieser Gemeinheit. Er flüsterte
etwas von der Schändung eines Motivs und ging
geknickt nach Hause-

Er hieß eigentlich Johann Wilhelm Josef
Lehmann und Hann Will Sef war die klang-
volle Abkürzung seiner Vornamen, sein Dichter-
pseudonym.

Am andern Morgen kam er bleich und über-
wacht, aber mit strahlendem Blick zu mir, warf
einen Bogen Holländer Büttenpapier, der in geist-
voller Kakografie mit rot-grün fluoreszierendem
Schreibsaft bemalt war, auf den Tisch und sagte:

„Das war aus dem Vierzeiler des angetrun-
kenen Proletariers von heute Nacht zu machen!
Das!"

Ich dechiffrierte:

„Komm zu mir Holde! Arm und nackt und
schwach — ich will Dich in Strömen roten Goldes
baden und kleiden Deinen jungfräulichen Leib
prächtiger denn Saba's Königin und ich will Dich
stark machen für die Wonnen meiner Sehnsüchte.

Ich bin eifersüchtig auf Dein ebenholzenes Haar-
Es ist schwärzer als die kimmerische Nacht und
Lichter streicheln es, blauer als die Strahlen des
Sirius. Ich will es bedecken, denn seine Herrlich-
keit sei für mich allein. Ich will es bedecken mit
einer wundersamen Hülle, die eine Scheibe sein
wird, größer als die Räder am Wagen des Diomed.

Darauf wird ein ragender Bau sein, hoch und
weit und seltsam und geflochten aus reifen, goldenen
Halmen, die in Glanz getaucht sind und in die
Tinte des Morgenrots! Kleine Mädchen werden
sie geflochten haben in stillen Tagen, sehnsüchtig
hinaushorchend auf den Schritt des Geliebten.
Jene Scheibe wird das Wunderbare sein! Und
Bänder werden sich ringeln um das Wunderbare,
wie flache fremde Schlangen, deren Haut gleißt
und schillert zwischen dem Milchgrün von Chryso-
prasen und der Feuerglut, die im geschlissenen
Hyazinth heimlich lodert oder im Pyrop! Und
Rosen werden darauf sein, unsäglich viele Rosen,
rot wie Küsse sündiger Frauen in schwülen Mitt-
sonimcrnächten und blasse Rose» von der Farbe
entsagender Wehmut. Und Knospen werden heraus-
kichern aus dem zuckenden Grün der Rosenblätter.
Und goldene Nadeln werden das Wunderbare auf
Deinem Haupte halten, mit Kugeln, groß, wie
Wassermelonen auf der schweigenden Pußta. Neun
solche Kugeln werden Dein Haupt umschimmern,
o Holde! Man wird sagen, daß sic wie der
Vollmond sind in einer dunstigen Frühlingsnacht,
der einer silbernen Blume gleicht, die keusch und
wollüstig auf taugrauer Wiese steht. Und um
das Wunderbare, das über der Süßigkeit Deines
Antlitzes schattet, wird ein Schleier wehen, licht,
frei und unendlich! N!nn möchte ihn mit einem
Gewebe aus den Strahlen der Milchstraße ver-
gleichen, von Elfe» für Titania gewoben, oder
mit dem Nebel einer Trovennacht, der um die
Purpurleiber brünstiger Orchideen haucht.

Zehn goldbeladene Galeeren will ich hingeben
für dies Wunderbare!

Und ein Mantel soll die elfenbeinernen H" '
lichkeiten Deines Leibes umkosen, für den f
glitzerudsten Schmetterlinge Brasiliens die Sero
gesponnen haben: goldgrüne, rubinrote und »am
blaue mit orangefarbenen Augen. Man könm
sie mit gaukelnden Edelsteinen vergleichen, ooe
mit Blumen, die ihrem Stengel entflohen st»»
Dieser Mantel wird sich wie eine laue, verlies»-
Welle von duftendem Blütenwasser an Deine
Rundungen schmiegen, er wird ein Sinnbild meiner
Sehnsüchte sein, die Dich umfangen möchten, nt®
mit dem plumpen Geipinnst meiner Glieder, sondern
mit einer traumhaft glühenden Allseitigkeit, o»
sich an jedes Teilchen Deines Wesens züglet®
festsangt. Und Du wirst schön sein in diesem
Gewände, wie die Houris des Paradieses östlicher
Helden. Denn so werden die Farben dieses Kleides
strahlen, daß das, vom krystallenen Dreikant >"
seine bunten Wunder zerlegte Sonnenlicht daneben
dürftig sein wird und schmutzig, wie das Kle®
eines Bettlers. Mit ultraroten Glutstrahlcu w>.
ich es färben lassen von indischen, an Geheimkunü
reichen, rehäugigcn Bajaderen und ultraviolette
Rätselblumen werden darauf gestickt sein. U»v
aus Iridium und Tantal werden die Knöpfe und
Nesteln sein, mit geschliffenen Radiumkrystalle»
besetzt!

Zwanzig goldbeladene Galeeren will ich opfern
für dieses Gewandt

Und dann sollen hundert blühende Jungfrauen
Dir ein Mahl rüsten, daß jeder tafelnde Cämf
daneben ein hungernder Bettler gewesen sein wird.
In einem achatgetäfelten Saale wirst Du speise»,
dessen Decke aus Alabaster ist und auf perlmutterne
Fliesen sollst Du treten. Auf einem goldenen Ruhe'
bett sollst Du liegen und die Kissen werden mit
dem Flaum neugeborener Kolibris und Paradies-
vögel gefüllt sein. Der Tisch wird aus einem Block
lauchgrüner Jade geschnitten sein, gekchnitten >u
hundertJahreu von tausend weisen Chinesen. Nackte
Griechenknaben mit Purpurbinden um die ambro-
sisch reinen Stirnen, werden auf Schüsseln, dte
Cellini geschmiedet hat, das Mahl herbeitragen:
Austern von britischen Klippen, frisch und köstlich,
wie Maimorgen, Hummern, die scharlachrote»
Kardinäle des Meeres, am Strande von Hillige»'
land gefischt, Seezungen in wahnhaft zarter Tunke,
die ist wie Milch aus den Brüsten der Juno, das
Fleisch eosfarbiger Flamingo's mit aromatische»
Distelköpfen aus der Heimat des Ariosi.... D»
aber wirst lächelnd abwinken und mit gesenktem
Blick werden die Knaben die Cellini'scheu Schüssel»
zurücktragen.

Dann wird Flöten- und Harfenklang sein, wie
der Sang von tausend Nachtigallen. Und der
schönste der Knaben, mit Epheu und Veilchen be-
kränzf, wird einen köstlichen Teller bringen »>»
einer Scheibe duftenden Fleisches, rosig wie die
Lippen der Sulamilh, groß wie die Wurfscheibe des
Register
Heinrich Nisle: Vignette
Hermann Hesse: Nacht
Fritz Frh. v. Ostini: Die Wortprächte des Hann Will Sef
 
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