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I

Weide

□tto Keitel f

Sämann

Kurz ist mein Tag und meine Stunde spät -
Ich hin ein Sämann, der im Herbste sät.

U/ie wird mein Feld im grünen Frühling blühn,
Flein gutes Karn im gelben Summer glühn!
Dach wann das Lied der Lerche niedertaut,

Der Mahn entbrennt und die Cyane blaut,
ich bin es nicht, dem schwer die Hehre schwillt,
Dem Satt und Segen in die Scheuer quillt;

Ich bin es nicht, der meine Barbe mäht —

Kurz ist mein Tag und meine Stunde spät.

Uictor Hardung

Warm und Weib

Line Geschichte aus Spanien
von Emil peschkau

Der Alhambra gegenüber zieht in der Schlucht
des Darro-Flusses ein Sträßlein zum Sacro Monte
empor. Dort wohnen in Felsenhöhlen Zigeuner,
und als ich eines Tages diesen Weg zur Rückkehr
nach Granada gewählt hatte, trat plötzlich eine
der scheußlichsten alten Hexen, die ich je in meinem
Leben erblickte, mit der Einladung auf mich zu,
ihre „Cantes flamencos“ anzuhören. Volkslieder
sind immer eine schöne Sache, und wenn die
Sängerin ein mit verschrumpftem braunem Leder
überzogenes Gerippe ist, so kann keine Gefahr
dabei sein. Also hinein in das Felsenloch, das
übrigens ganz spießbürgerlich solid aussah: Weiße
Vorhänge, Heiligenbilder, Handarbeiten, Kruzifix
auf der Kommode und sorgfältig zugedecktes Bett!
Auch die „Coplas“ und „Seguidilles“ meiner
„Gitana“ und die Tanzbewegungen, mit welchen
sie ihren Vortrag begleitete, waren nichts weniger
als aufregend, so daß ich zuletzt mit einer gewissen
Enttäuschung die Silber-Peseta in die biedere
Rechte drückte- Jetzt aber kam plötzlich Leben in
das bei den Cantes so ausdruckslos gebliebene
Gesicht, und hastig meinen Arm fassend, sagte sie
feurig:

„Für zwei Pesetas tanze ich nackt."

Das stimmte mich natürlich heiter, ich lachte
und in einem Anfall von Uebermut platzte ich
mit der Frage heraus:

„Und für drei Pesetas — ?"

In demselben Augenblick bereute ich jedoch
schon meine Worte. Ich hatte die Alte offenbar
schwer beleidigt. Sie sah jetzt gerade zum Fürchten
aus und unwillkürlich trat ich einen Schritt zürn

um den Geierkrallen auszuweichen, die sie wie zur
Abwehr gegen mich vorstreckte.

„Ca, ca, eefior! De ninguna manera!“
krächzte sie, ihre tiefe Stimme zum höchsten Diskant
emporschnellend. „O nein, mein Herr! Was denken
Sie von mir? Ein cadallero! Ein Inglese! Ich
habe schon fünfzig Pesetas bekommen. Oder wollten
Sie dreißig sagen, senor? Unter zwanzig —"

„Muchas gracias, seüorai" unterbrach ich
sie entsetzt. Und dann ein Griff nach der Tür
— ich war draußen.

Und hier in der goldenen Sonne, plötzlich
wieder das Märchenschloß der alten Mamenkönige
erblickend, und betroffen von diesen köstlichsten
Schönheitslinien, die je Menschenhände in die
schönste Natur hineingezeichnet, kam der Schauder
noch einmal über mich. Wie nmßte dieses Weib
den Mann kennen gelernt haben! . . .

Gedanken

von Dr. Baer (Oberdorf)

Mit dem Gedanken an die Krone, sei sie
von Dornen oder Gold und Edelstein — ver-
binden wir gerne die Vorstellung des schweig-
samen Tragens.

Wenn erst die Motive sprächen — wieviel
Mitgefühl und Liebe würde erröten, wieviel
Ehrbarkeit und Ansehen sich verkriechen.

In manchen Häusern pflegt man seine
Gäste so reichlich und gut zu bewirten, daß
sie über dem kostbaren Futter den Stall ver-
gessen, in dem sie sich befinden.

Wer die Menschen liebt, kann die Menschen
leichter entbehren, als der sie haßt.

Das Leben gestattet jedem zu glänzen,
der sich gesund erhält und reinlich.

Welch ein verhängnisvoller Irrtum —
heiratsfähig und ehefähig fortwährend zu
verwechseln.

Makros Gescbicbtcben

Mährend der berühmte Professor dl. seinen
Studenten in der Klinik Weisheit predigte, hielten
seine Assistenten poliklinische Sprechstunde ab und
führten am Schluß der Vorlesung geeignete Fälle
dem Professor zur Besprechung im Kolleg vor.
Eines Tages brachten sie einen wann mit be-
ginnender Gehirnerweichung. Der Professor be-
sprach die charakteristischen Symptome und vev
langte dann eine Schriftprobe des Patienten, um
mittelst des Projektionsapparates seinen Hörern
die typische Zitterschrift u. s. w. zu demonstrieren.
Es geschieht, und der Vortragende kommt zu dem
Schluffe, daß die Schrift zwar nicht absolut be-
weisend wäre, daß aber doch manches darin für
das Vorhandensein einer derartigen Hirnerkrankung
spräche, währenddem flüstert der zweite Assistent
dem ersten etwas ins Öhr, dieser stürzt auf den
Professor zu, — einen Augenblick Getuschel, dann
wendet sich der Professor an die Studenten:
„Meine Herren, bei der Beurteilung dieses Sa"e*
ist leider ein versehen untergelaufen. Was lch
Ihnen eben demonstrierte, das hat der Herr llnter-
arzt dem Patienten vorgeschrieben!"
Register
Otto Keitel: Weide
Emil Peschkau: Mann und Weib
Dr. Baer: Gedanken
Victor Hardung: Sämann
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
 
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