Gedanken
Man lebt, solange
man schafft, nicht früher
nnd nicht länger.
Energie ist meist
Sache einer gewissen
Beschränktheit selbst im
Falle eines Napoleon.
Wo sie es nicht ist, wie
bei Lionardo, Shake-
speare, Goethe, ist
sie das größte aller
Wunder.
*
Alles Gescheite ist
schon gedacht worden,
meint Goethe. Das
wäre ja noch am Ende
auszuhalten, aber daß
auch alles Dumme wie-
dergedacht werden muß,
das ist betrübend.
an
Julius Hitsche [München]
Formlosigkeit ist in der Regel nichts als
der Hochmnt innerer Schwäche.
*
Wir laugen wie die Kinder unaufhörlich
nach dem Monde und reden dann entrüstet von
den Enttäuschungen des Lebens.
Paul Garin
rrähe
Es schlägt ein Herz zur Stunde,
Das machte deine Sehnsucht froh
l!nd wartet in die Nachte,
lind du, du weißt nicht wo.
Ein Garten duftet, wo das Glück
Sein Lied der Einsamkeiten geigt,
Und wanderst du vorüber —
Du wanderst und es schweigt.
In einem blauen Tale
Da blüht ein Mädchen stolz und stumm —
Die Kammer stünde offen
Und keiner weiß darum.
Victor I)arciung
Der Froschtekch
Wo Sonnengold an Birkenglanz ermattet,
Am Rand der Lichtung, hingestreckt im Moos,
Vom dichten Laubdach wohlig überschattet,
Im Halblicht ein paar Knaben, splitterbloß.
Sie springen auf und betten sich gleich wieder,
Sie regen, dehnen, recken fröhlich frei
Die junge Kraft der schlanken braunen Glieder
Und bilden balde eine lange Reih' —
Und flugs im Sturmschritt durch die Wiesensonne
Aus Mückenschwarm und Julimittagsglut
Mit keckem Sprunge: Klatsch! Klatsch!
Klatsch! — O Wonne! —
Kopfüber in die schlummerlaue Flut.
Rene Prevöt
Die Göttin
Don E. von Stehlin
Die Türe des Ateliers öffnete sich und die
königliche Gestalt trat ein.
Es schien, als jauchze der harmonische Raum
auf, als glühe das elektrische Licht geheimnisvoller
und wärmer unter den gelblichroten Seidenum-
hülluugen, denn sie war da, endlich — die Schönste,
die Schönste! —
Die vornehme Frau blieb auf der Schwelle
stehen. Ihre stolzen Augen überflogen den Raum,
sogen die weihevolle Stimmung, die der Künstler
ihm verliehen hatte, mit hohem, sinnlichem Genuß
in sich auf. Dann suchte ihr Blick den Meister.
Sie lächelte ihm strahlend zu.
„Da bin ich! Ich habe Wort gehalten!"
Und sie reichte ihm die Hand. Er beugte sein
häßliches, prachtvolles, mächtiges Hanpt darüber
und deutete einen Handkuß an.
„Ich bin glücklich, daß Sie da sind," sagte er
mit seiner tiefen, langsamen Stimme. „Aber —
Sie sind stolz darauf, gekommen zu sein. Warum?
— Ist es etwas Merkwürdiges oder gar Unrechtes,
wenn Sie zu einem Maler in sein Atelier kommen?
Fürchten Sie den Klatsch?"
Sie lachte kurz und nervös auf. „Fürchten?
Rein. — Wie sollte ich ihn fürchten? Aber er
ist häßlich, — schmutzig, — und ich hasse alles
Unreinliche. Und dann — von mir reden die
Menschen ja kaum. Ich bin unpopulär. Die
Frauen können mich nicht leiden," — wieder strahlte
ihr Lächeln auf und sie sah ihm in die Augen, „ich
bin größer als die meisten, körperlich meine ich,
— natürlich. Wenn ich in einen Salon trete,
fragen sich die Männer, wer ist die große, schöne
Frau und bekommen lüsterne, glänzende Augen."
Sie zog hochmütig die Schultern hoch. „Und
die Männer können mich auch nicht leiden, denn
ich finde gerade diese Augen ekelhaft."
Der Maler sah ihr klug und durchdringend
ins Antlitz: „Ich glaube, Sie haben nie jemanden
geliebt?!"
„Geliebt?" — Ihr Blick haftete träumerisch
auf einer silbernen Schale voll leuchtender Blumen.
„Als ich meinen Mann heiratete, da war ich wohl
verliebt in ihn. Aber — er ist kein Mann zum
Lieben. Er ist vornehm, kühl; er ist auch —
ein bißchen alt. Er sieht gut aus mit seinem
schönen, weißen Haar, das Gesicht glatt rasiert.
Sehr appetitlich! Und sonst?"
-te wandte sich, ,0Q
de» Handschuh ab, stpj
mü der kühlen fiIatteu
Hand über eine kleine
bronjene Diana,
„Einen Geliebten? Nein
MI die Lüge, und all die
Berttellung, - und all
die Angst vor Entdeckung
und all der Schmutze
Für ein paar selige Mo-
mente, an die ich nicht
glaube, — damit sich
dann nach kurzer Zeit das
eingebildete Glück in eine
tranrige, schreckliche, ekel-
hafte Erinnerung löst?" -
Sie lachte ironisch auf.
Dann glitt sie in einen
niederen Lehnstuhl, der
vor dem Teetisch stand.
Sie beugte sich vor. und
rührte mit ihren schlanken
Fingern an das schirm
mernde Silber, neigte sich
zum Teekesselchm, ließ sich
den heißen Wasserdampf
um das feine Haupt wir-
beln und bereitete den
Tee; dann warf sie den
Kopf zurück und sah ihn
fragend an.
„Warum kommen Sie nicht? Was stehen Sie
da und starren mich an?" —
Und er stand und blickte auf sie. Er hatte
noch nie etwas so Herrliches gesehen. Sie erschien
ihm nicht mehr menschlich; etwas Göttliches hatte
sie an sich, wie sie in dem goldenen Licht saß mit
dem herrlichen Körper, den wunderbaren, vor-
nehmen Bewegungen, dem feinen Kopf mit dem
rotbrannen Haar, und dem stolzen Racken mit der
weißen, weißen Haut. —
Langsam ging er auf sie zu und sah auf sie
nieder. Er dachte: Du bist schön, schöner als
alle, — Du bist kein Erdenweib, wie eine Göttin
bist Du. Doch was er sprach, klang beherrscht
nnd gemessen: „Sagen Sie mir das alles, weil
Sie mir versprochen haben, mir alles zu sagen in
aufrichtiger, ehrlicher Freundschaft, die wir uns
gelobt haben — oder — haben Sieeinen Grund?"—
Sie zog die dunklen Brauen erstaunt in die
Höhe. „Grund? — Ja welchen denn, — wieso
denn? Sie sind doch mein Frennd und ich bin
Ihr Freund und da sage ich Ihnen eben, was
mir durch den Kopf geht. Sie können mich ebenso
gnt fragen: Warum bin ich Ihr Frennd? Warum
sind wir uns so sehr sympathisch? — Run kommen
Sie her, und stehen Sie nicht so steif und still
und langweilig in der Mitte Ihrer Höhle, — wie
ein Tierbändiger sind Sie, der eine ganz gefahr
liche Bestie beobachtet. Erzählen Sie mir doch von
sich. Was treiben Sie und wie geht es Ihnen
mit Ihrer Arbeit?"
Da begann er, ihr, wie schon oft, von sich zu
erzählen. Seine Arbeiten konnte sie jetzt am Abend
nicht sehen, dazu sollte sie einmal bei Tage wieder
kommen. Aber einen weiblichen Akt zeigte er ihr
Und dann fing er an zu klagen und kam in Erregung
und seine großen, kraftvollen Hände spreizten stch
traurig und verzweifelt. „Es ist alles nichts! Wte
soll man einen Akt machen nach diesen armseligen,
traurigen Mädeln, die glauben, sie seien gut ge«
wachsen und könnten Modell stehen? Da ist mchls
Großartiges, nichts Vollkommenes."
Sie sah ihn verständnisvoll an und nickte.
Und er sprach weiter, und während er sprach
kam ein seltsames Funkeln in seine Augen, wn
wenn er einen zündenden Gedanken gehabt haue.
Er redete listig und berechnend, und umfing ste Mi
seiner warmen, tiefen Stimme, sprach feurig und hem
wie er sich sehne nach dem Anblick eines vol
kommeuen Frauenkörpers, — eines gepflegten,
herrlichen, der nicht gemeine Wünsche und
790
Man lebt, solange
man schafft, nicht früher
nnd nicht länger.
Energie ist meist
Sache einer gewissen
Beschränktheit selbst im
Falle eines Napoleon.
Wo sie es nicht ist, wie
bei Lionardo, Shake-
speare, Goethe, ist
sie das größte aller
Wunder.
*
Alles Gescheite ist
schon gedacht worden,
meint Goethe. Das
wäre ja noch am Ende
auszuhalten, aber daß
auch alles Dumme wie-
dergedacht werden muß,
das ist betrübend.
an
Julius Hitsche [München]
Formlosigkeit ist in der Regel nichts als
der Hochmnt innerer Schwäche.
*
Wir laugen wie die Kinder unaufhörlich
nach dem Monde und reden dann entrüstet von
den Enttäuschungen des Lebens.
Paul Garin
rrähe
Es schlägt ein Herz zur Stunde,
Das machte deine Sehnsucht froh
l!nd wartet in die Nachte,
lind du, du weißt nicht wo.
Ein Garten duftet, wo das Glück
Sein Lied der Einsamkeiten geigt,
Und wanderst du vorüber —
Du wanderst und es schweigt.
In einem blauen Tale
Da blüht ein Mädchen stolz und stumm —
Die Kammer stünde offen
Und keiner weiß darum.
Victor I)arciung
Der Froschtekch
Wo Sonnengold an Birkenglanz ermattet,
Am Rand der Lichtung, hingestreckt im Moos,
Vom dichten Laubdach wohlig überschattet,
Im Halblicht ein paar Knaben, splitterbloß.
Sie springen auf und betten sich gleich wieder,
Sie regen, dehnen, recken fröhlich frei
Die junge Kraft der schlanken braunen Glieder
Und bilden balde eine lange Reih' —
Und flugs im Sturmschritt durch die Wiesensonne
Aus Mückenschwarm und Julimittagsglut
Mit keckem Sprunge: Klatsch! Klatsch!
Klatsch! — O Wonne! —
Kopfüber in die schlummerlaue Flut.
Rene Prevöt
Die Göttin
Don E. von Stehlin
Die Türe des Ateliers öffnete sich und die
königliche Gestalt trat ein.
Es schien, als jauchze der harmonische Raum
auf, als glühe das elektrische Licht geheimnisvoller
und wärmer unter den gelblichroten Seidenum-
hülluugen, denn sie war da, endlich — die Schönste,
die Schönste! —
Die vornehme Frau blieb auf der Schwelle
stehen. Ihre stolzen Augen überflogen den Raum,
sogen die weihevolle Stimmung, die der Künstler
ihm verliehen hatte, mit hohem, sinnlichem Genuß
in sich auf. Dann suchte ihr Blick den Meister.
Sie lächelte ihm strahlend zu.
„Da bin ich! Ich habe Wort gehalten!"
Und sie reichte ihm die Hand. Er beugte sein
häßliches, prachtvolles, mächtiges Hanpt darüber
und deutete einen Handkuß an.
„Ich bin glücklich, daß Sie da sind," sagte er
mit seiner tiefen, langsamen Stimme. „Aber —
Sie sind stolz darauf, gekommen zu sein. Warum?
— Ist es etwas Merkwürdiges oder gar Unrechtes,
wenn Sie zu einem Maler in sein Atelier kommen?
Fürchten Sie den Klatsch?"
Sie lachte kurz und nervös auf. „Fürchten?
Rein. — Wie sollte ich ihn fürchten? Aber er
ist häßlich, — schmutzig, — und ich hasse alles
Unreinliche. Und dann — von mir reden die
Menschen ja kaum. Ich bin unpopulär. Die
Frauen können mich nicht leiden," — wieder strahlte
ihr Lächeln auf und sie sah ihm in die Augen, „ich
bin größer als die meisten, körperlich meine ich,
— natürlich. Wenn ich in einen Salon trete,
fragen sich die Männer, wer ist die große, schöne
Frau und bekommen lüsterne, glänzende Augen."
Sie zog hochmütig die Schultern hoch. „Und
die Männer können mich auch nicht leiden, denn
ich finde gerade diese Augen ekelhaft."
Der Maler sah ihr klug und durchdringend
ins Antlitz: „Ich glaube, Sie haben nie jemanden
geliebt?!"
„Geliebt?" — Ihr Blick haftete träumerisch
auf einer silbernen Schale voll leuchtender Blumen.
„Als ich meinen Mann heiratete, da war ich wohl
verliebt in ihn. Aber — er ist kein Mann zum
Lieben. Er ist vornehm, kühl; er ist auch —
ein bißchen alt. Er sieht gut aus mit seinem
schönen, weißen Haar, das Gesicht glatt rasiert.
Sehr appetitlich! Und sonst?"
-te wandte sich, ,0Q
de» Handschuh ab, stpj
mü der kühlen fiIatteu
Hand über eine kleine
bronjene Diana,
„Einen Geliebten? Nein
MI die Lüge, und all die
Berttellung, - und all
die Angst vor Entdeckung
und all der Schmutze
Für ein paar selige Mo-
mente, an die ich nicht
glaube, — damit sich
dann nach kurzer Zeit das
eingebildete Glück in eine
tranrige, schreckliche, ekel-
hafte Erinnerung löst?" -
Sie lachte ironisch auf.
Dann glitt sie in einen
niederen Lehnstuhl, der
vor dem Teetisch stand.
Sie beugte sich vor. und
rührte mit ihren schlanken
Fingern an das schirm
mernde Silber, neigte sich
zum Teekesselchm, ließ sich
den heißen Wasserdampf
um das feine Haupt wir-
beln und bereitete den
Tee; dann warf sie den
Kopf zurück und sah ihn
fragend an.
„Warum kommen Sie nicht? Was stehen Sie
da und starren mich an?" —
Und er stand und blickte auf sie. Er hatte
noch nie etwas so Herrliches gesehen. Sie erschien
ihm nicht mehr menschlich; etwas Göttliches hatte
sie an sich, wie sie in dem goldenen Licht saß mit
dem herrlichen Körper, den wunderbaren, vor-
nehmen Bewegungen, dem feinen Kopf mit dem
rotbrannen Haar, und dem stolzen Racken mit der
weißen, weißen Haut. —
Langsam ging er auf sie zu und sah auf sie
nieder. Er dachte: Du bist schön, schöner als
alle, — Du bist kein Erdenweib, wie eine Göttin
bist Du. Doch was er sprach, klang beherrscht
nnd gemessen: „Sagen Sie mir das alles, weil
Sie mir versprochen haben, mir alles zu sagen in
aufrichtiger, ehrlicher Freundschaft, die wir uns
gelobt haben — oder — haben Sieeinen Grund?"—
Sie zog die dunklen Brauen erstaunt in die
Höhe. „Grund? — Ja welchen denn, — wieso
denn? Sie sind doch mein Frennd und ich bin
Ihr Freund und da sage ich Ihnen eben, was
mir durch den Kopf geht. Sie können mich ebenso
gnt fragen: Warum bin ich Ihr Frennd? Warum
sind wir uns so sehr sympathisch? — Run kommen
Sie her, und stehen Sie nicht so steif und still
und langweilig in der Mitte Ihrer Höhle, — wie
ein Tierbändiger sind Sie, der eine ganz gefahr
liche Bestie beobachtet. Erzählen Sie mir doch von
sich. Was treiben Sie und wie geht es Ihnen
mit Ihrer Arbeit?"
Da begann er, ihr, wie schon oft, von sich zu
erzählen. Seine Arbeiten konnte sie jetzt am Abend
nicht sehen, dazu sollte sie einmal bei Tage wieder
kommen. Aber einen weiblichen Akt zeigte er ihr
Und dann fing er an zu klagen und kam in Erregung
und seine großen, kraftvollen Hände spreizten stch
traurig und verzweifelt. „Es ist alles nichts! Wte
soll man einen Akt machen nach diesen armseligen,
traurigen Mädeln, die glauben, sie seien gut ge«
wachsen und könnten Modell stehen? Da ist mchls
Großartiges, nichts Vollkommenes."
Sie sah ihn verständnisvoll an und nickte.
Und er sprach weiter, und während er sprach
kam ein seltsames Funkeln in seine Augen, wn
wenn er einen zündenden Gedanken gehabt haue.
Er redete listig und berechnend, und umfing ste Mi
seiner warmen, tiefen Stimme, sprach feurig und hem
wie er sich sehne nach dem Anblick eines vol
kommeuen Frauenkörpers, — eines gepflegten,
herrlichen, der nicht gemeine Wünsche und
790