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UJilder SchneEball

B. PEfZQldt

An den Menschen

Der Bach zu deinen Füßen klingt,

Du aber weißt nicht, was er spricht —
Au Häupten dir ein Vogel singt,

Und was er singt, verstehst du nicht.

Die Bienen summen dir ins Dhr
Ihr ewig unenträtselt' Lied,

Mit hundert Zungen spricht das Moor,
Der Wald, die Haide, Rain und Ried —

Und hundertfältig um dich her
Ist Leben, reich wie deins gewebt,

Du aber weißt davon nicht mehr.

Als einer, der im Monde lebt!

Und dennoch dünkst du unerreicht
Dich über alle sie gestellt
Als einzig weisester! — Vielleicht
Bist du der einz'ge Rarr der Welt.

A. De Nora

Mie man Aphorismen „macht"

von Rarl Ettlinger

„So vertieft in Deine Arbeit?" frug ich meinen
Freund, den Schriftsteller wortdeichsler. „VOas
schreibst Du denn? Ich dackte, wir wollten zu-
fammctt in's Theater gehen?"

„werden wir auch! Ich will nur schnell noch
ein Dutzend Aphorismen machen!"

„Aber wir haben nur noch eine Viertelstunde
Zeit!"

„Tine ganze Viertelstunde? — Da kriege ich
mindestens zwanzig Stück fertig! Bitte, nimm
die Feder, ich werde diktieren! — Du kannst mir
übrigens helfen. Schlage einmal den -Büchmann*
auf!"

„welche Seite?"

„weiß ich's? — Irgend eine!"

Ich gehorchte. „Seite 365."

„Bitte, lies mal vor!"

„Kürze ist des Witzes Seele —"

„ßalt! Sehr gut! Das gibt drei Aphorismen!
Schreibe: Bei Witzen und Mädchenröcken —
nein, das geht nicht! Einen Augenblick! —
Jetzt Hab' ich's: ,Ie länger der Witz, desto kürzer
der Erfolg/"

„Du?"

„Ja?"

„Ist das der Aphorismus?"

„Der ist sogar vorzüglich! Die Blätter werden
sich drum reißen! Aber, bitte, keine langen Beden,
sonst werde ich nicht fertig! Jetzt kommt der
zweite Aphorismus! Den machen wir über die
Seele. Schreibe: ,Die Seele mancher Menschen
gleicht einein Witzes"

„wieso gleicht sie einem Witze?"

„Ich habe keine Ahnung! Aber das kommt
gleich! Bur etttett Augenblick Nachdenken . . . .
-gleicht einem Witze* . . . hurrah, hat ihm schon:
,wenn man sie einmal kennt, Fautt man nicht
mehr drüber lachen*!"

„Soll das geistreich sein?"

„Bein, sondern ein Aphorismus! Schreibe,
bitte: ,Zu nichts gehört weniger Geist, als zum
Geistreich-fein*."

„Jetzt fehlt noch der Dritte im Bunde! —
Der Dritte? — Da fällt mir was dabei ein:
,Die Ehe ist ein Skatspiel. Deshalb gehören auch
dreie dazu*. — Hast Du's?"

„Mensch, Du bist entweder übergeschnappt oder
Du stellst Dich dümmer, als Du bist!"

„Sehr gut! Ausgezeichnet! Schreibe das gleich
nieder. ,Für verrückt hält die Welt einen Menschen,
der entweder zu dumm ist oder zu klug*! — So!
Also, jetzt kommt wieder die Kürze als Seele des
Witzes dran! weißt Du was? Drehen wir das
Zitat einfach um. -Die Kürze ist der Witz der
Seele*!"

„Blödsinn!"

„Ganz Deiner Ansicht! Also machen wir's
anders, wir haben ja Zeit! Sagen wir das
Gegenteil davon: -Der Prüfstein des Ernstes ist
die Dauer*."

„verstehst Du das?"

„I wo! Aber siehst Du, weder der Redakteur
noch der Leser werden es verstehen, folglich wird
es als tiefsinnig gelten. — Das ist notabene
gleichfalls wieder ein Aphorismus. Schreibe: -Der
Unsinn ist der Zwillingsbruder des Tiefsinns; sie
gleichen einander so, daß sie oft nicht einmal der
Vater unterscheiden kann*."

„Leidest Du schon lange an dieser Krankheit?"
erkundigte ich mich teilnehmend.

„Seitdem ich weiß, daß solche Pseudoweisheit
gedruckt und honoriert wird! — wieviele haben
wir bis jetzt?"

„Ich werde nachzäblen! Sieben Stück!"

„Macht vierzehn Mark! In fünf Minuten
verdient! Ja, mein Lieber, wir leben im Zeit-
alter der Elektrizität!"

„Soll ich eine neue Seite im -Büchmann* auf-
schlagen?"

„Bitte! — Oder nein, machen wir's anders!
Schlage, bitte, irgend eine Seite im Konversations-
Lexikon auf!"

„Geschah bereits!"

„was steht Alles auf dieser Seite! Lies mal
vor!"

„Hühner, Hühneraugen, Hühnercholera —"

„vortrefflich! Hühneraugen ist prachtvoll!"

„Geschmackssache! wie gedenkst Du übrigens
aus einem Hühnerauge ritten Aphorismus zu
machen?"

„Auf sehr einfache weise. Ich suche ein
tertium comparationis. Hühneraugen sind am
Fuß. was hat außer dem Menschen: sonst Alles
Füße?"

„Der Tisch, der Vers, der —

„Der Vers! Schreibe: ,Die überzählige!: Silben
sind die Hühneraugen der Versfüße.*"

„pfui Deiwel wie schön!"

„Diese Kritik ist ein neuer Aphorismus: Mi
den vollendeten Aesthetiker hat selbst die Häßlich-
keit einen gewissen Grad von Schönheit.* — ttw
sagst Du mm?"

„Ich sage nichts, ich denke nur!"

„Ausgezeichnet! Schreibe das nieder: -Die
treffendsten Kritiken werden nicht geschrieben
sondern gedacht, wie würden unsere Schrift-
steller erst über die Verrohung der Kritik zetern,
wenn sie Gedanken lesen könnten!* — wieviele
haben wir jetzt?"

„Zehn."

„Fehlen noch zwei. Machen wir noch was
über das menschliche Leben ! In jeder Aphorismen-
serie muß anstandshalber auch ein Aphorismus
über das menschliche Leben sein. Das Publikum
kann das für fein gutes Geld verlangen. — Sieh
mal im -Zitatenschatz* unter -Leben* nach!"

„La—Lau—Le—Leben, hier ist es: -Das Leben
ist ein Traum, — Ich habe nichts als mein
Leben, das muß ich dem Könige geben — Das
Leben ist der Güter höchstes nicht — Das Leben
ist ein Kampf — Giebts ein schönres Leben als
Studentenleben — Grün ist das Le—*"

„Genug! Das Leben ist ein Kainpf. wer hat
das gesagt?"

„Hiob."

„Dann brauchte ich das eigentlich garnicht
umzuändern, wer kennt Hiob? Aber ich will
nobel sein. Schreibe: -Der Tod ist ein Waffen-
stillstand*."

„Und die Erbschaft der Friedensschluß."

„Bravo, Du lernst was von mir!"

„Ja, Dummheiten lernt man immer am
leichtesten."

„Schreibe das auf: -Die Dummheit ist der
klügste Lehrmeister: sie hat die ineisten und ge-
lehrigsten Schüler."

„Schluß! Zwölf Stück! Oder gibst Du noch
einen als Znwage?"

„Du hast mir ihn ja eben selbst diktiert.
Schreibe: „Aphorismen sind die Zuwage in der
großen Metzgerei des menschlichen Geistes*. —
Nun ein Kuvert und die Adresse an die Ke-
dakiton geschrieben — so! Eine Zehnermarke
drauf! Uff, das Tagewerk ist vollbracht!"

Er nahm Hut und Mantel und machte sich
zum Gehen bereit. Ich wagte eine schüchterne
Frage: „wenn Dir aber Niemand den Kohl
abnimmt?"

Er lachte. „Dann nenne ich das Zeug -Ehine-
fische Sprichwörter* oder -Lichtstrahlen ans den
Werken des abeffynifchen Philosophen Lütiti* und
ich bringe es an den Mann!"

„Und ich Naivling dachte immer, zuin Apho-
rismenschreiben gehörte große Erfahrung und
Menschenkenntnis I"

„Zweifellos! Glaubst Du ein Mann ohne
Menschenkenntnis würde es wagen, solches Blech
für Aphorismen auszugeben? .

Aber es ist 3A 7 Uhr! wir müssen uns aut
den weg machen. Hoffentlich kriegen wir noch
einen guten Platz!" — — — " ,

von morgen ab werde ich gleichfalls Aphoris-
men schreiben.

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Register
A. De Nora: An den Menschen
Gustav Petzoldt: Wilder Schneeball
Karl Ettlinger: Wie man Aphorismen "macht"
 
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