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Der IDald

Du Wald, der meinen toten Vater sah,

Du rausche fort durch meiner Heimat Tal,

So tief, so kühl.

Was meiner Jugend Schmerzliches geschah,
Zorn, Augst und Leid, der Liebe süße Dual,
Weiß Deiner Wipfel düsteres Gewühl.

Ich darf nicht sein, wo deine Kronen schauern
Den Hügel, langst begrünt, an braunen Mauern,
Darf ich nicht sehn.

In wilder Fremde muß ich stehn.

Das Herz voll Heimweh, ehernen Gesichts,
llmtost, umklirrt. Das alles gilt mir nichts.
Doch eines Tages, nach verbrausten Jahren,
Einmal im Herbst, Gewölk weist mir den Pfad,
Komm' aus der Ferne ich zu dir gefahren
Und suche deiner Dämmrung Trost und Rat.

Einmal im Herbst, Gewölk fährt übers Land —
Dann raunt ans jedem Baum Vergangenheit
Und löscht mich aus wie einer Kerze Brand.
Dann über alle Sehnsucht, alles Leid
Komme dein Rauschen kühl wie einer Mutter Hand.

Wilhelm Michel

Die gute Haut

In jeder Hinsicht bezeichnend für dielen vor-
züglichen Menschen waren schon die Umstände
seiner Geburt: er kam als Zweiter von Zwillingen
auf die Welt! Obwohl ihn die Natur zum Ersten
bestimmt hatte! Und obwohl er als Erster ein
recht stattliches Rittergut zu erwarten gehabt hätte!
Der Frau Mama und dem Hausarzt machte diese
Programmänderung in zwölfter Stunde genug
zu schassen. Sie hielten das für einen unglück-
lichen Zufall. Aber wer den guten Aloys kannte,
wußte es besser! Die gute Haut ließ einfach Robert
den Vortritt, dessen angeborne Begabung zum
wohlhabenden Agrarier neidlos und frühzeitig er-
kennend. Und diesem Bruder bewahrte er sein
Leben lang die aufopferndste und hingebendste
Liebe. Aus Dankbarkeit: weil Robert den Weg
ins Diesseits gemeinsam mit dem guten Aloys
als Zwilling angetreten hatte. Einzeln, als Illing,
soulsagen, hätte sich der schüchterne Junge nie ans
Licht der Welt getraut und so sah er in seinem
Bruder den Mann, dem er eigentlich das Leben
verdankte. Robert hat sich übrigens — das muß
hier schon gesagt werden! — vielfach nicht nett
benommen gegen seinen Bruder.

Tie Geschichte begann bereits am Busen von
Libussa Czrmbrckzrb, der ungeheuren Böhmin,

welche die Zwillinge nährte. Sie liebte die Ord-
nung und Ruhe, teilte Aloys die Linke, Robert
als dem Majoratsherrn, als Ehrenplatz die rechte
Seite ihrer Kolossalbüste zu. Jeder hätte genug
bekommen — aber, wie oft, wenn Libussa schlief
und Robert seine Hälfte ausgetrunken hatte, kroch
er hinüber auf die andere Seite und usurpierte
dort, was dem kleinen Aloys zukam. Und dieser
duldete schweigend, um die gute Libussa nicht
aufzuwecken und den Bruder nicht zu verraten,
der auf diese Weise fett und rosig wie ein Span-
ferkel wurde, während Aloys schon früh unter
Nahrungssorgen litt.

So^ging's ihm selbstverständlich auf der Schule
auch. Sein Bruder und seine Kameraden stibitzten
ihm sein Frühstück, seine Bleistifte und Federhalter,
ließen sich von ihm Aepfel und Rüben stehlen und
er bekam nicht einmal was ab, als höchstens die
Schläge, wenn sie erwischt wurden.

Auch im Hause wurde er mißachtet, ja seine
Mama — sie hatte immer ein Faible fürs Forsche
und Schneidige — hatte ihn im Verdacht, daß er
nicht von dem gleichen flotten Vater stammte, als
sein lustiger Zwillingsbruder, sondern entweder
von ihrem Manne oder dem Kreisarchivrat Schmitt.
Nur einen Menschen gab es, der ihn verstand und
liebte: die Tante Moni, die selbst so gut war,
daß sie in früher Jugend schon niemandem etwas
abschlagen konnte, weshalb man sie in der Familie
auch lange verkannte, bis man ihre Herzensgüte
einsah, nachdem ihr ein reicher alter Junggeselle,
mit dem sie näher bekannt gewesen war, sein Ver-
mögen vermacht hatte, worauf man sie liebevoll
wieder in die Familie aufnahm.

Diese Tante Moni nun schätzte in Aloys das
verwandte Temperament und setzte ihn zu ihrem
Universalerben ein. Als das Robert erfuhr, machte
er dem Bruder herbe Vorwürfe wegen dieser Be-
vorzugung. Da faßte Aloys den hochherzigen Plan,
sich selber der Tante zu verleiden. Mit blutenden!
Herzen und kleinen Kieselsteinen schmiß er die
mächtigen Glasballons entzwei, in denen Tante
Moni ihren geliebten Nußlikör an der Sonne ans-
ziehen ließ; mit bitteren Tränen und einer Papier-
scheere schnitt er dem Lieblingskater der Guten den
Schwanz ab; unter Gewissensbissen goß er ihr
Alizarintinte in das Weihwasserkesselchen, das sie
so oft benützte; mit zerrissener Seele ließ er einen
Feuerwerksfrosch in ihrem Schlafzimmer los oder
tat ihr heimlich Brausepulver in — die Wasch-
schüssel. Als er sie einmal bei einem Familientee
mit dem Schlafrock ans Tischtuch angenäht und
dann mittels eines Nadelstiches in die Höhe ge-
sprengt hatte, drohte sie mit Enterbung! Und als
er den Abend daraus heimlich ihr Schlafzimmer
von außen zugesperrt hatte, so daß der Herr
Kooperator, welcher um zehn Uhr im Pfarrhof sein
mußte, sich beim Sprung durch das Fenster den
Fuß verstauchte, da enterbte die Tante den Aloys
wirklich! Er triumphierte. Aber sein Verzicht half
dem geliebten Bruder gar nichts! Tante Moni

kaufte sich einen hübschen Operettenteuor, der um
37 Jahre jünger war und wurde in Hoheit! Alter
noch eine junge Frau.

An Aloys aber zeigte sich's, daß sich Güte
manchmal doch belohnt. Sein Onkel Theobald,
ein alter boshafter Junggeselle, welcher die Tante
Moni nie leiden konnte, hatte an jenen wohl-
gemeinten Schandtaten so viel Vergnügen, daß jetzt
er den Nevö in seinem Testament bedachte und
da er bald nachher wegen seiner Kurzsichtigkeit
auf dem Heimwege von der Sedansfeier in den
Stadtbach fiel und ertrank, konnte der inzwischen
zum Jüngling erblühte Aloys sein Leben in vollen
Zügen genießen. Er hielt sich ein Reitpferd, eine
Jagd, ein Automobil und eine ideale Freundin,
die Sängerin Mary Kürbis vom Sublimen Theater.
Aber Aloys teilte dies alles getreulich mit seinen
Freunden, sogar die kleine Mary Kürbis. Wer
sie jedoch von ihm entlieh, der uülßte erst sein
Ehrenwort geben, sie mit unverdorbenem Gemüte
wieder abzuliefern.

Mit allen Menschen war er lieb und nett.
Als ihn der Senior der Furorteutonia einmal
auf der Straße angerempelt und deshalb auf
Säbel gefordert hatte, erfuhr Aloys zufällig, daß
sein Gegner am Tag der Mensur Geburtstag hatte.
Um nun dem Senior eine kleine Freude zu bereiten,
ließ er die erste pyramidale Hochquart, die er
kommen sah, unpariert und bekam eine Abfuhr, die
man überhaupt nicht mehr mit der Hand, sondern
nur mit der Maschine nähen konnte. Der Schmiß
lief von der Stirn über Brust und Nabel hinunter
zwischen den Beinen durch und den Rücken wieder
hinauf bis zum Hinterkopf!

Ein Jahr darauf schenkte er die Mary Kürbis
einemmittellosen jungen Theologen zu Weihnachten
und heiratete ein hübsches, sehr wohlerzogenes
junges Mädchen, welches den lieben Gott schon
lange um einen so guten Mann gebeten hatte,
während sein Bruder, zwecks Errichtung einer
Zuckerfabrick auf seinen Gütern, eine reiche und
umfangreiche ältere Witwe heimführte. Als die
Fabrik verkracht und die Witwe mit dem Kutscher
durchgegangen war, die Frau des Aloys aber das
große Los gewonnen hatte, machte Robert dem
Bruder begreiflich, daß er als Majoratsherr eine
junge repräsentationsfähige Frau viel nötiger hätte,
als Aloys. Der gute Aloys trat ihm auch wider-
spruchslos seine Molly ab, welche ohnedies schon
ein Verhältnis mit Robert hatte, was ihr Gatte
freilich nicht wußte, weil er meinte, sie hätte es
bloß mit dein Assessor Einglas, dem Rittmeister
Winditz und dem Kunstmaler Feschinger zu tun.
Seine Schwiegermutter aber behielt er im Hause,
weil Robert keine weiteren Ansprüche auf die alte
Dame erhob.

Im übrigen ging es Aloys vortrefflich. Seine
Güte gewann ihm das Vertrauen aller Mitbürger.
Die angesehensten Männer baten ihn um sein
Giro auf ihre Wechsel, Mitglieder des höchsten
Adels bewarben sich um seine Bürgschaft bei

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Register
Wilhelm Michel: Der Wald
Fritz Frh. v. Ostini: Die gute Haut
Otto Geigenberger: Zeichnung ohne Titel
 
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