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V.
A. Schmidhammer
Boheme
(Ein Münchner Erlebnis; mit obiger Zeichnnng bon
A. Schmidhnmmcr)
Begegnet der bürgerliche Normalmensch einem
Individuum mit ungepflegten Haaren und einem
Schlapphut darauf, dann denkt er: pah, ein
KünstlerI Das mär' auch was, — so ein Tauge-
nichts, der schmutzige Wäsche trägt und seine
Miete schuldig bleibt! Pardon, er bemalt auch
bisweilen einen Quadratmeter Leinwand oder
dichtet eine Stanze.
Das auch noch!
Doch gibt es Stunden der Schwäche, die selbst
den Bürgerlichsten auf den Abweg der „Boheme“
locken. Er möchte doch auch mal so was Saloppes
mitmachcn. Und geht also gen Mitternacht ins
„Künstlercafe." —
Rotumschleiertes Dämmerlicht. In heiinlichen
Winkeln „dämonische" Weiblein mit tühnem Blick
und verwegener Frisur. Klaviergeklimper, Gui-
tarrengezupf und allerhand Singsang. Vortragende
Dichter, wirkliche mtb — andere.
Da sitzt der Kommis neben seinem Ladenmädel
und vergißt für ein paar selige Stunden seine
Senftöpfe und Heringstonnen. Und der Student
das drohende Staatsexamen. Da weht eine
schlechte Lust. Tut nichts, sie macht frei!
Und tritt dann so ein Individuum eiu mit
ungepflegten Haaren und einem Schlapphut da-
rauf, — ah, ein Künstler! heißt es da versöhn-
licher schon. — Und wenn's dann gen Morgen
geht, wird'Bruderschaft getrunken: — spielerische
Konträrsuggestion aller Zünftigkeit: Boliöuus!
lind jüngst einmal solch ein seltener Sabbat:
Auf engem Marmortisch, in wallendem Seiden-
hemde — Jsadora, die berühmte. Die rotver-
hängte Lampe zeichnet durch das dünne Gewebe
die geschmeidigen Formen ihres Leibes.
llnd sie tanzt.
Nicht Beethoven, nicht Chopin,-„Su-
sanna, wie ist das Leben doch so schönt" spielt
das Klavier.
Und Jsadora tanzt dazu.
Rund um sie herum drängt sich, hoch auf
Stühlen und Tischen, die Schar flaumbärtiger
Studenten. Und wie sie sich so wiegt und reckt,
mit zurückgeworfenem Haupt, weitgebreiteten Ar-
men und halb geschlossenen, leise bebenden Lidern,
da jubeln hundert junge Zigeunerseelen mit:
„Susanna-!"
Mit leichtem Flügelschlag streicht drüber hin
die Illusion, die gute:-wie ist das Leben
doch so schön! — —
Ganz hinten nur, in der finstern Ecke, hockt
ein Kritiker. Der lächelt skeptisch. Das ist sein
Beruf. Und putzt am Tischtuch den Kneifer blank,
durch den er tiefer in die Seelen schaut.
Auch er war einst ein Bohemien, eh' er noch
wußte, das; Boheme: Einsamkeit der Seele heißt.
War oft dabei, als in dämmerigen Ateliers, für
die man den Zins schuldig blieb, nackte Mädchen
im flatternden Haar Tarantella tanzten.
Und weil eUs immer so nackt gesehen, ohne
den Musselinschleier der Illusion, das Leben —
drum muß er immer so lächeln. Das ist jetzt
sein Beruf' Kolibri
*
Berliner Volkshumor
„Hast De schon jehört: Dieses Jahr jiebt et
'n neues Hofzeremoniell!"
„Nee! Wie denn?"
„Künftig wer'n im weißen Saal immer drei
Kammerherrn den Kaiser umjeben! Der zur
Rechten trägt den Reichsapfel, der zur Linken det
Reichszepter, un der vor dem Kaiser jeht, det
Reichskurs buch!"
fort mit den Monologen!
Der Direktor des Wiener Kleinen Schauspiel-
hauses hat ein in einem Drama vorkommendes
Gebet des Helden mit der Motivierung gestrichen,
daß in Wien Monologe nicht gesprochen werden
dürfen. Wie wir erfahren, wird diese direktoriale
Auffassung demnächst bei einem Schiller-Zyklus
in umfassender Weise zur Geltung kommen. Wil-
helm Tell wird die hohle Gasse nicht mehr allein
betreten, sondern iu Gesellschaft vieler Flurschützen
und Geßlerscher Reiter, denen er in ruhigem
Gesprächston seinen Gedankeugang („Hier voll-
end' ich's — Die Gelegenheit ist günstig") dar-
legen wird. Durch diese sehr glücklich zu nennende
Aenderuug wird der biedere Charakter Tells erst
ins rechte Licht gerückt.
Geradezu genial muß aber die Methode ge-
nannt werden, nach welcher der Monolog der
Jungfrau für das Kleine Schauspielhaus ein-
gerichtet werden wird. Ls bedarf hiezu nur einer
geringfügigen Aenderung des Personenverzeich-
nisses, indem außer den von Schiller selbst ange-
führten noch die folgenden Personen (unter der
Sammelbezeichnung „Mädchen aus der Bretagne")
genannt werden: Alma und Berta Berg, Frieda
und Melanie Trift, Amalia und Rosalia Thaler.
Diese Mädchen umgeben die Jungfrau in der
berühmten Szene. Johanna geht von einer zur
andern, reicht jeder die Hand und spricht sodann
(unter strenger Einhaltung der beigefügten Regie-
weisungen) die herzlichen Abschiedsworte:
„Lebt wohl, ihr Berge" (umarmt diese),
„ihr geliebten Triften" (küßt jene»,
„Ihr traulich stillen Täler" (wirft sich schluchzend an
deren Brust),
„lebet wohl!" L. Sch
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A. Geigenberger
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