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Richard Rost (München)

Profit Pleujahr!

„Jedes Jahr hat seinen Lenz,
Winters Frost zu lindern.
Ständig gibt daS Glück Audienz
Frohen Menschenkindern!

Wahrt Euch die Begeisterung
Für der Schönheit Gaben!

Wer nicht mit der Jugend jung,
Lasse sich begraben!"

Helios

Die beiden Ideale oder Kunst, Alkohol und Wissenschaft

Der unglaublich berühmte Bildhauer Professor
Protection-ky betrat seit längerer Zeit zunl ersten
'JJtalc wieder sein Atelier, wo eben Johann Schmitt,
sein Schüler und Faktotum, an einer Marmorfigur
hernmhieb, daß die Trümmer nur so in alle Ecken
flogen.

„Was machen Sie denn da, Schmitt?" fragte
der Professor leutselig.

.Ich mache schnell noch Ihr Werk für die
Große Kunstausstellung fertig, eine weibliche Akt-
stgur „Das Ideal"!"

»Mir ist doch, als hätten wir ausgemacht,
das; es ein Mäuueralt Fürs Vaterland! wer-
den sollte!

„Ja. aber, ich erlaubte mir. zu bemerken, daß
S. Durchlauchtigste Hoheit unser erhabener Mäcen
eine ästbetisch tiefbegründete Vorliebe für das
Weibliche . . .

„Richtig — ich entsinne mich! Also hauen
Sie nur ruhig weiter. In vierzehn Tagen ist
Ablieferungstermin. Seien Sie pünktlich, ver-
langen Sie den Ehrenplatz im kleinen Kuppelsaal
und vergesien Sie nicht, daß mich Heuer die Große
Goldene Ertra-Ehren-Medaille trifft. Machen Sie
meinen Vetter im Kultusministerium noch beson-
ders darauf aufmerksam! Und dann: daß die
Figur um die Hüften herum nicht zu dürftig wird

Sie verstehen mich! — Durchlaucht mag das
nicht! 'n Morgen, Schmitt — ich verreise auf
ein halbes Jahr nach Italien!"

Der Professor verlieb mit der ihm eigenen
Würde seine Werkstatt — eine prachtvolle Er-
scheinung ! Seine Familienähnlichkeit mit dem
Zeus von Ctricoli war stadtbekannt

AlS er an dem Nachbaratelier vorbeikam. wo
ein anderer Bildhauer, namens Schöpple hauste,
vernahm er wüsten Lärm. Poltern, Klirren und
unartikulierte Schreie.

„Pfui!" dachte der Professor. „Der Kerl ist
schon wieder sternhagelvoll, jetzt um 11 Uhr Früh.
Der versäuft auch noch sein ganzes Talent!"

Kopfschüttelnd und düster begab er sich zum
Frühschoppen.

Inzwischen raste der gute Hans Schöpple mit
dem Schlegel in der Hand in seinem Atelier um-
her und jagte auf Ratten und Mäuse, welche aber
durchaus nicht vorhanden waren. Wenigstens nicht
da, wo er sie suchte. Schöpple bildete sich nämlich
ein, daß die Biester sich auf den Köpfen und
Armen, auf allen vorspringenden Teilen seiner
Gipsmodelle zu schaffen machten, und schlug wie
toll auf diese los. Das ganze Atelier war schon
mit gipsernen Extremitäten überstreut, der ganze
Bildhauer war schneeweiß überpudert. Zuletzt
schlug er noch eine Mädchenfigur, die er aus Ton
modelliert hatte, zu einem Klumpen zusammen,
setzte sich behaglich aufatmend in die weiche graue
Masse, verspeiste seine Frühstückswurst und besah
die Strecke.

Sieben Nasen, achtzehn Hände und Arme,
vier Köpfe und zwölf Beine! Dazu ungezählte
Trümmer von Rümpfen, männlichen, weiblichen
und sächlichen.

Plötzlich verkündete ein mephistophelisches
Grinsen im Angesichte Schöpples, daß irgend
ein wahnsinniger Gedanke in seinem entgleisten
Gehirne aufgedämmert war —

Er begann zu lallen: „Das Ideal — das
Ideal!" Tann schüttete er reichlichen Toppel-
kümmel auf die Lampe seiner erlöschenden Energie
— und rührte sich einen großen Kübel voll Gips-
brei an.

* • *

Vierzehn Tage später hielten zwei Tienst-
männer mit einem großen Handkarren vor dem
AtelierhauS.

Auf den Karren luden sie zunächst Herrn
Professor ProtectionSkyS prächtiges neues Werk,
eine nackte Frauengestalt von berückendem Schwung
der Hüften. Dies Weib aus Marmor sollten sie
im AuSstellungSpalast abliefcru.

Hieraus traten sie in das Atelier Hans
SchöppleS ein. der selbst nicht anwesend war.
Er war inzwischen umgezogen — in das Irren,
haus. In seiner Werkstatt aber sah man ein
höchst wunderliches Ding: einen riesigen Block, zu-
sammengesetzt aus zahllosen nnzusammengehörigen
gipsernen Körperteilen. Ta ragte ein Kops neben
einem Bein, dort wuchs eine Vaud statt der Nase
aus einem Gesicht, hier reckten sich fünf Arme
nebeneinander in den tollsten Stellungen aus dem
Gliederwirrsal heraus und da wieder rundete sich
ein Frauenbusen zwischen etlichen Füßen, Nasen
und einem Kranz von Ohrmuscheln. DaS Alles
war durch Gips zu einer grotesken und riesenhaften
Einheit verbunden und am Sockel des ungeheuer
licheu Blockes stand mit Stiefelwichse in Niesen
lottern geschrieben: „Das Ideal!"

Dieses Chaos sollte in die Psychiatrische Klinik
transportiert werden, denn der berühmte Nervenarzt
Professor Cerebrelius wollte es als DemonstrationS-
objekt zu seinen Vorträgen über Alkoholismus und
zu Versuchen verwenden, die beweisen sollten, daß
nur wieder stark alkoholisierte Gehirne einem solchen
degenerierten Künstler und Potator in daS Dunkel
seiner Wahnideen zu folgen vermöchten.

Sehr interessant!

Aber es kam anders, als es im Programm stand:

Der Alkohol, der in dieser wahrhaftigen Er-
zählung eine so dämonische Rolle spielt, Hatte sich
auch jener beiden Dienstmänner am frühen Morgen
schon bemächtigt. Zur Knust hatten sie weiter

keine persönlichen Beziehungen.

Als sie sich aber zur Fortbewegung der schweren
Last in einer Destille noch einmal gründlich ge-
stärkt hatten, verwechselten sie die Adressen.

Tie Dame mit dein Hüftenschwung wanderte
in die Psychiatrische Klinik. —

Der Menschensalat in die Große Kunstaus-

stellung!

-'ti H &

Die Dame mit dem Hüftenschwung führte

Herr Professor Cerebrelius seinen Hörern in der
Vorlesung vor.

Ein schallendes Gelächter begrüßte sogleich die
Gestalt, als sie entschleiert wurde. An jeder Einzel-
heit wies der große Forscher die Degeneration des
künstlerischen Vorstellungsvermögens nach, an
welcher der Verfertiger gelitten haben mußte. Er
wies nach, daß kein Mensch von gesundem Geiste
sich einbilden könne, durch eine derart brutal sinn-
liche Gestalt das Ideal zu symbolisieren. Er wies
nach, daß die, zu offenbarer Steatopygie aus-
geartete, hypertrophisch entwickelte Gesäßpartie der
Statue eine bei Säufern typische Perversion der
Empfindungen verriete. Er zeigte eine solche ver-
blüffende Menge von Details der bildhauerischeu
Technik, der Anatomie, der Stellung der Figur,
welche auf Degeneration hindeuteten, daß er zu
dem Schlüsse kam, diese hochgradige Entartung
könne unmöglich durch die bacchischen Exzesse eiues
einzigen Menschen zustande gekommen sein. Und
der Gelehrte konstruierte eine ungeheure erbliche
Belastung für den guten Schöpple, stellte ihn als
den unglücklichen Abkömmling von Generationen
von Säufern hin, als die letzte Frucht eines Stamm-
baums, neben dem sich die Rougon Macquarts
wie eine wässerige Quäkerfamilie ausgenommen
hätten.

Das „Ideal" des Herrn Professor ProtectionSky
war mit einer Nektarschale in der Hand dargestellt
— Professor Cerebrelius schloß daher seinen Vor-
trag mit den Worten:

„Sie sehen, meine Herren, sogar im Aeußer-
lichsten konnte der Mann seinen krankhaften Trieb
nicht beherrschen: ein scheußliches Weib mit einem
Saufgerät in der Hand — das nennt er sein
Ideal! Tahin führt der Alkohol einen son't
zweifellos hochveranlagten Künstler!"

Dann begannen die Experimente. Mit all-
mählich gesteigerten Gaben von Alkohol mußten

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Index
Richard Rost: Prosit Neujahr
Fritz Frh. v. Ostini: Die beiden Ideale oder Kunst, Alkohol und Wissenschaft
Helios: Prosit Neujahr
 
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