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Streiflichter der „Jugend

Pius X.

Als

Zur Morgenstunde der modernen Kultur
Lamennais seiner Kirche die Tatkraft der Selbst-
behauptung und des Sieges predigte, schmiedete
er in der Glutesse seiner Leidenschaft den Stahl
der ihn selber fällen sollte, und so manchen andern
noch bis zu Hermann Schell.

Und es war doch ein guter Geist, der aus ihm
sprach, von einer einigen, weltbeherrschenden
Kirche sprach, die der Menschheit voranschreiten
möchte auf den Pfaden lebensvoller Zukunft.

Die Huldigung fand Gehör, nicht aber der
Ruf zur Pflicht. Rom heischte die Allmacht nicht
um großer, lebendiger Cmten willen.

Der alte, ewige Hohn: Der Seelenschrei des
Bekenners, der zun: verlogenen Schlagwort wird
auf seelenlosen Lippen, was jener Schwärmer
hellseherisch geahnt und mit seiner Seele adeln
wollte, davon riß der Skeptiker Renan den ver-
schönenden Schleier. Der wußte, was kommen
sollte, fühlte das eiserne Band sich straffer und
straffer um das unfaßbar wesenlose schmiegen:
die scholastische Tragik. Das Vatikanum schloß
den Reifen. Und seither ist Begrenztheit das
Reich des unbegrenzten Gottes. Kühnheit — die
seltene — mag wohl den Sprung ins weite wagen.
Unentschlossenheit aber zappelt und reckt sich um-
sonstnach den Horizonten ihrer heimlichen Sehnsucht.

Rur bis zur Eisenwand der Unfehlbarkeit!

Als Leo XIII. die Schliiffelgewalt übernahm
und den edlen Rewman zum Kardinal erhob, da
nwchten wohl einige wähnen, er würde wieder

A. Schmldhammer

Streiflichter der „^urrenb"

Naumann und Snmbart

von einem Pfarrer will ich erzählen. Der ist
nicht wie Pfarrer sonst sind.

Eines Morgens, da just ein tauender März-
wind stob, ging er ihm nach, barhäuptig in die
erwachende Frühlingswelt hinaus, bis er seinen
Kirchturm nicht mehr sah.

Und kehrte nicht heim von seinem Feldgang.

Fand die weite Erde so schön, die ewig junge,
lebensträchtige.

Konnte aber die alte Kanzel nicht vergessen.
Die stand nun so unerreichbar weit. Baute sich
eine neue aus jungem Holz. Und fuhr fort,
Menschen zur Seligkeit zu führen, — zur neu-
erkannten. Die kamen gern zu ihn:, oenn was
er ihnen zu kosten gab, war der unverfälschte
Most seiner Seele, und die war rund und schmack-
haft wie ein Apfel. Und sie machte:: ihn schließlich
zum Manne ihres Vertrauens im hohen Rat.

Dort stellte er nun seine Kanzel auf, und legte
zu den täglich neuen Aktenstöße:: das Bündel
seiner alten Ideale.

Eines Tages, wie er just die Schwelle seiner
neuen Wirkungsstätte betritt, kommt ihm ein
einstiger Bekannter in die Vuere. Kein Pfarrer,
ein „Philosoph." Kein gewöhnlicher jedoch: statt-
lich schön, gebürstet und kultiviert. Und desiei:
wohl bewußt. Der spricht:

„Bin entsetzt, Verehrtester, Ihnen an der
Pforte dieses unwürdigen Dauses zu begegnen.
Ein Glück für Sie, daß ich Sie grad noch abfing.
Sie staunen? Plaudern wir ein Weilchen."

Hinter der blanken Kristallscheibe eines mo-
dernen Eafös nehmen die beiden Platz; der „Philo-
soph" steckt sich eine Havanna an, lehnt sich be-
haglich zurück, wirft einen Blick auf die belebte
Straße und sagt vergnügt:

„So lieb ich mir die Welt anzuschauen und
rate Ihnen, imitieren Sie micb. Es ist das einzig
Zweckvolle, — denn es ist zwecklos. Ist etwa nicht
alles zwecklos, was zweckvoll scheinen möchte?"

Und lächelt dabei liebenswürdig überlegen, wie
jene vornehn:en, seidenen Abbäs taten, die Vol-
taire auswendig kannten, und zu denen Prin-
zessinnen zur Beichte kamen.

Redet dann weiter über dies und das, —
klar, gefällig, wie einer, dem das Denken ein Spiel
ist, ein leichtes, ergötzliches Spiel. Zerschlägt
mit feinem stählernem Hämmerchen die spröden
Kristalle des Lebens zu Staub, und bläst ihn
weg mit dem duftigen Rauch seiner Havanna.
Klopft hier und dort herum, und siehe: alles
klingt hohl und geht beiin ersten Schlag in Brüche.
Klopft schließlich auch dem Pfarrer auf den
schwärmenden Starrkopf. Da wohnen die alten
Ideale. Und horch: die sind nicht tot, die brechen
wild aus den alten Schleusen, wachsen zu Sturz-
wellen an und wollen nicht mehr schweigen.

Und der Pfarrer steht hochaufgereckt und träumt
einen wachen Trauin. halb Erinnerung, halb
Zukunftshoffen. Sein Gesicht strahlt vom Glanze
all der fragenden Augen, die er aus dem geweitete::
Raum auf sich gerichtet fühlt, und er hebt die
Hände zu jener weiten Gebärde, die sie einst segnete
und jetzt emporheben möchte, die vielen da unten.

Und wie ihn der „Philosoph" so dastehen sieht,
in seiner frohgemuten Gläubigkeit, da beneidet er
ihn schier um die Lebenskunst der Illusion.

Dann bläst er den Rauch weg, der ihm einen
Augenblick vor den Augen schwamm, und schaut
wieder durch die klare Scheibe auf das Leben.
Und spricht zu sich selbst: Man soll vom Apfel
nie verlangen, daß er ein Pfirsich werde.

Eos

Wahres Gesdricbtcben

Die junge Tochter des Hauses erzählte von
ihre::: Gespräch mit dem hübschen kleinen Dienst-
mädchen über das Dasein Gottes: „Die habe ge-
sagt: Frau Hartmann meinte auch, wenns einen
Gott gäbe, brauchte sie nicht am Waschfaß stehn.
Und die Köchin und die alte Näherin seien der
gleichen Ansicht."

Oer Block

,,Keine Angst, Durchlaucht! Wenn es Ihnen
oben zu brenzlich wird, — wir halten das
Sprungtuch bereit!"

Splitter

Mit der Religionspeitsche treibt man die Schäf-
lein in den politischen Stall.

Nicht jeder Zerstörer muß auch aufbauen. Meist
ist es schon sehr verdienstlich, Platz geschaffen zu
haben. Kilian

Selbst diejenigen, welche Gleichheit von Mann
und Weib behaupten, lassen erkennen, daß die
beiden Geschlechter von einander verschieden sind:
wenn die Weiber genial aussehen wollen, schneiden
sie sich die Haare ab, und wenn die Männer genial
aussehei: wollen, lassei: sie sich die Haare lang
wachsen. Junius

Liebe Jugend!

Werkmeisters Lieschen, ein körperlich schwäch-
liches, aber geistig begabtes Mädchen von ;o Jahren,
hat die Volksschule mit der Töchterschule vertauscht,
um später vielleicht einmal als Lehrerin sich durchs
Leben zu bringen. Infolgedessen hat Lieschen
naturgemäß bald andern Umgang bekommen.
Nach einigen Monaten wird sie nun von ihrer
früherei: Spielgefährtin Frieda, dem neunjährigen
Töchterchen des benachbarten Schuhmachers, bei
paffender Gelegenheit also gestellt: „Du, Lieschen,
weshalb spielst Du dein: gar nicht :nehr mit mir?
Jetzt wo Du auf die Töchterschule gehst, bin ich
wohl nicht mehr gut genug für Dich? — Aber
ich habe doch auch Klapxhosen ai: wie die vor-
nehmen Mädchen!"

aufschließen.

Allein das Dogma ist ein tückisches Vexier-
schloß. Läßt sich zwar immer fester schließen,
de:: Reifen enger und enger schiüirend, geht aber
nicht mehr auf.

Und Pius X. nimmt sei:: Schließeramt furcht-
bar ernst.

Ihn begrüßte seinerzeit die Welt, zumal die
nichtkatholische, als den „religiösen" Papst. Heute
stellt sie sich enttäuscht. Zu Unrecht.

Leos staatsmännische Verschmitztheit liegt ihm
fern. Er ist gläubig, nur gläubig.

Das bedeutet aber für den einstigen Zögling
von Castelfranco Veneto und jahrzehntelangen
bescheidensten Diener der Hierarchie nur das eine:
Gehorsam.

Der sich sein Leben lang unter die Fuchtel
gebeugt, gebraucht nun die in seine Hand gelegte.

Um der höheren Weisung willen, die er bangend
immerdar über sich fühlt. Wie der Sklave, der
Sklavenwärter wird.

Gewiß, er ist unbescholten. Kennt weder Kom-
promiß noch Intrigue. Kennt dafür nur Ge-
sinnungstreue.

Und der Intrigant leiht sich ihr ehrliches Ge-
wand und spielt vor Pius de:: Inquisitor, wie er
vor Leo den Diplo:naten spielte.

Und der alte Mann nennt ihn seinen lieben
Sohn, hebt unbeirrt die deinütig gefaltete:: Hände,
auf daß der Herr Segen und Geißel in sie lege, ^
und sieht am wetterleuchtenden Horizonte nicht d:e
Gewitterdrohung freigewordener Menschheit.

Der starre Fels weicht dem Blitz nicht aus.
ahnt ihn nicht. Der aber kann ihn spalten.

Rentf Prtfvöt

Cdabres Gescbicbtcben

Die Klavierlehrerin zur fünfzehnjährigen
Lissy: „Du spielst ja heute ordentlich mit An?
druck und Gefühl."

Lissy (halb altklug-naiv, halb bewußt-geziert):
„Fräulein, ich glaube, ich liebe."
Index
Kilian: Splitter
René Prévot: Streiflicher der "Jugend": Pius X.
Junius: Splitter
Eos: Streiflichter der "Jugend": Naumann und Sombart
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
Arpad Schmidhammer: Der Block
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
 
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