Nr. 6
1908
I
Die Brücke
Durchs offne Fenster trugen Deine Neben
Berauschend schwül den Duft des jungen Weins,
Der wie auf roten Schwingen schien zu schweben
Auf dieser Glut des letzten Sonnenscheins.
Wir saßen uns im Zwielicht gegenüber
Und plauderten — wovon? Ich weiß es nicht.
Von Nichts und Allem; wie der Mund tut Fieber
In Träumen oder Trunkenheiten spricht.
Denn hinter unsrer Worte starren Schranken
Sehnsüchtig lauernd standen ohne Ruh
Die tiefen ungcsprochenen Gedanken
Und drängten immerfort einander zu . . .
Und plötzlich schwiegen wir. Dein blonder Knabe,
Der zwischen Dir und meinen Knieen stand,
Ergriff, als ob er uns verstanden habe,
Im Spiele meine Hand und Deine Hand.
Und legte schelmisch lächelnd sie zusammen. -
— Da siel die Schranke. Und mit wilder Wucht
Entgegen flogen sich wie freie Flammen
Die Seelen, die sich heimlich lang gesucht.
Zu Deinem Knaben beugt' ich mich hernieder,
Ihn küssend, weil er Deine Züge trug;
Dann zogst Du ihn zu Dir und küßtest wieder
Den süßen Mund, der uns die Brücke schlug.
Wieviele Küsse wir uns so gegeben
Auf keuschen Kinderlippen, — wußte Ke ins . . .
Durchs offne Fenster trugen Deine Reben
Berauschend schwül den Duft des jungen Weins.
A. De Nora
Heimweh
Von 2\. A. Rowalsky
.... Ich stand an den Ufern der Verbannung,
wie die Flügel eines gefangenen Vogels, mall
und wehmütig, flatterte und bebte mein Herz.
Das Meer rollte zu meinen Füßen in kurzen,
trägen Wellen, mit dunkeln, öligen Flecken darauf.
Ringsum dehnten sich schmutziggraue Sandflächen,
braungelbe Felsen, von der heißen Sonne des
Südens verbrannt, kahl, ohne Halm und Gras.
Darüber der scharfblaue Fimmel.
Das Auge streifte verloren die unermeßlichen
Wasserfelder; einer ungeheuren, scharlachroten
Angel gleich, stieg die Sonne den flammenden
Horizont hinab.
o
Und es trat zu mir der Unsichtbare. Lockend
und neckend, wie die Frlihlingswasser meiner
Heimat, flüsterte er mir ins Mhr.
„Dort, wo du einst warst, dort, wo du nicht
inehr bist, dort sind so viel Wälder und wiesen
und Hügel. Dort kleidet sich der Hain in saftig
grüne Blätter, die bunteil Blunien sprengen ihre
Knospen, im Morgenrot singt schon die Hirten-
flöte. Aber der erste Strahl der ans goldeneil
Nebeln aufsteigenden Semite sucht vergebens dich tu
den Feldern, wo du sonst jagtest auf feurigem Roß.
Dort, wo alle Kräfte deiner Seele wurzeln,
traueril Augen von hiinmlischer Sckönheit im
Silberglanz des jungen Mondes uild rufen dich
herbei aus dem zarteil Frühlingsdampf, der über
die grüiteil wiesen zieht.
Dort, wo dein Liebstes, deiil Teuerstes weilt,
will eine alte, zitterilde Hand den fernen Sohn
zu dem schwereil Kampfe segnen; die dürren
Lippen erschließen sich bereits, um den, vielleicht
letzteil Kuß, auf die Wange des Rindes zu
drücken.
Dort, in der zu neuem Lebeil erblühendeil
Trde, tief m stillen Särgen, liegt dein Kinder-
lachen, liegeil deine Iugendträume begrabe'.l... was
dir das heiligste war! Dort, neben der halb
verfallenen Treppe ächzt die graue Eiche in der
Rächt und die Freunde schließen ihre ermüdeten
Reihen fester zusainmeil. Aber du bist nicht dort!..
Tr verstummte.
Die Wellen allein brausten weiter.
Leer und einsam war es ringsum, wie tu
der Seele eines Meilschen, vor dem die Zukunft
wie ein kahler Herbstweg liegt.
Und als die Felsen und die Wellen und die
Abendwolken in glühendeil Flammen versanken,
als die gläilzeildeil Farbenakkorde ringeild stürzten,
sich aufs neue erhoben, um schließlich zu er-
löschen, erklang tu der feurigen Pracht der Lüfte
ein klarer, kühner Ruf.
Es waren Störche, die nach Nordost zogen.
Da fiel ich nieder auf die Knie und flehte die
ferneil Vögel meiner Heimat an: „Vögel des
Himmels! Tragt auf euren starken Flügeln zu
jenem Lailde diese drei Tränen.
Aus die bleichen wangeil des Mädchens, das
beim Silberglanz des jungen Mondes trauert,
laßt die erste fallen, damit es wisse: ich Hab es
nicht vergessen!
Auf der zitternden Hand des Greises, der den Sohn
zudem schweren Kampfe segnet, soll die zweite ruhen!
Uild die dritte Träile legt wie eineil Grabsteiil
im frischen Grase auf deil stillen Särgen meines
Kinderlachens, meiner Iugendträume nieder.
Vögel des Fimmels! Tragt diese Träilen zil
meiner Heimat uild seid dafür gesegnet!"
Der wachtrus ihres Führers ward mir zur
Antwort und es blitzte auf seinen Flügelil.
Leer und einsam war es wieder um mich her,
wie im Kerzen eitles Menschen, für den die Gegen-
wart trübe uild ohne Hoffnung ist.
Die Nacht sank plötzlich nieder. Bleiche Engel
züildeten am Himmel ihre Fackeln an und die
Lichter schimmerten, voil kalten wiildstößeil be-
wegt, wie blailker Stahl.
Das Meer erhob immer droheilder seine salzigen
Wellen, die zornig schäuinend gegen das wehrlose
User stürzten.
Aber das Tosen und Brausen ringsum konnte
deil Wehruf ineiner Seele nicht ersticken: von
wilder Sehnsucht nach der fernen Heimat erfaßt,
strebte sie hinaus, wie ein Gefangener aus seinem
Kerker, wie ein Pfeil aus straff gespailntem Bogen
von Nordeil her blies eisiger wind und trieb
wütende, feindselige Wellen vor sich her.
(Autorisierte Uebersetzung aus dem Russischen
t). Max Sie.)
Liebe Jugend!
Das schölle Fräulein N. vom Hoftheater zu di.
erfreut sich des besteil Rufes bei den Bewohnern
der kleinen Residenz; auch die lieben Kollegen,
sowie der Herr Intendant können der „Unnah-
baren" beim besten willen nichts „Schlechtes"
nachsagen. —
Eines Tages verzögert sich der Beginn einer
Vorstellung, da Fräulein N. kurz vor ihrem Auf-
tritt voll einem heftigen Nasenbluten befallen
wird. — Der Herr Intendant betritt von feiner
kleinen Loge aus die Bühne, um nach der Ursache
der Verzögerung zu forschen, uild erhält vom In-
spicieuten die Melduiig, Fräulein N. sei ge-
fall eil. — voil deil Lippen Sr. Excellenz ertönt
ein freudiges: „Endlich!"
Max, der Sohn eines Mffiziers, kommt zu
spät zur Schule und gibt als Entschuldigung
an, er sei auf dein Schulwege in den Rinnstein
gestoßen wordeil und habe deshalb nach Hanse
geheil und sich umkleiden müssen. Auf die Frage
des Lehrers, wer ihn denn in den Rinnstein ge-
stoßen habe, erfolgt die Ailtwort: „Na natürlich,
so'n duinmer Zivilist."
*
Als Lütkes heirateten — Herrgott, war das
eine Traurede!
„Aejje die Braautlojte in den haajligen Stand
der Aejje träten —" fing sie ail, und floß eine
deutsche Meile fort, unaufhaltsam. Iinmerzu
voil der Braut, die der Pastor getaauft, erzoogen
und koilfirmiiert hatte.
Dailn eilte Fi eine Abschweifung zum Bräutigam.
„Mild noil, liebe Christen," sprach er, „kehren
wir zorüück zo der so oft berührten Braaut. . ,
1908
I
Die Brücke
Durchs offne Fenster trugen Deine Neben
Berauschend schwül den Duft des jungen Weins,
Der wie auf roten Schwingen schien zu schweben
Auf dieser Glut des letzten Sonnenscheins.
Wir saßen uns im Zwielicht gegenüber
Und plauderten — wovon? Ich weiß es nicht.
Von Nichts und Allem; wie der Mund tut Fieber
In Träumen oder Trunkenheiten spricht.
Denn hinter unsrer Worte starren Schranken
Sehnsüchtig lauernd standen ohne Ruh
Die tiefen ungcsprochenen Gedanken
Und drängten immerfort einander zu . . .
Und plötzlich schwiegen wir. Dein blonder Knabe,
Der zwischen Dir und meinen Knieen stand,
Ergriff, als ob er uns verstanden habe,
Im Spiele meine Hand und Deine Hand.
Und legte schelmisch lächelnd sie zusammen. -
— Da siel die Schranke. Und mit wilder Wucht
Entgegen flogen sich wie freie Flammen
Die Seelen, die sich heimlich lang gesucht.
Zu Deinem Knaben beugt' ich mich hernieder,
Ihn küssend, weil er Deine Züge trug;
Dann zogst Du ihn zu Dir und küßtest wieder
Den süßen Mund, der uns die Brücke schlug.
Wieviele Küsse wir uns so gegeben
Auf keuschen Kinderlippen, — wußte Ke ins . . .
Durchs offne Fenster trugen Deine Reben
Berauschend schwül den Duft des jungen Weins.
A. De Nora
Heimweh
Von 2\. A. Rowalsky
.... Ich stand an den Ufern der Verbannung,
wie die Flügel eines gefangenen Vogels, mall
und wehmütig, flatterte und bebte mein Herz.
Das Meer rollte zu meinen Füßen in kurzen,
trägen Wellen, mit dunkeln, öligen Flecken darauf.
Ringsum dehnten sich schmutziggraue Sandflächen,
braungelbe Felsen, von der heißen Sonne des
Südens verbrannt, kahl, ohne Halm und Gras.
Darüber der scharfblaue Fimmel.
Das Auge streifte verloren die unermeßlichen
Wasserfelder; einer ungeheuren, scharlachroten
Angel gleich, stieg die Sonne den flammenden
Horizont hinab.
o
Und es trat zu mir der Unsichtbare. Lockend
und neckend, wie die Frlihlingswasser meiner
Heimat, flüsterte er mir ins Mhr.
„Dort, wo du einst warst, dort, wo du nicht
inehr bist, dort sind so viel Wälder und wiesen
und Hügel. Dort kleidet sich der Hain in saftig
grüne Blätter, die bunteil Blunien sprengen ihre
Knospen, im Morgenrot singt schon die Hirten-
flöte. Aber der erste Strahl der ans goldeneil
Nebeln aufsteigenden Semite sucht vergebens dich tu
den Feldern, wo du sonst jagtest auf feurigem Roß.
Dort, wo alle Kräfte deiner Seele wurzeln,
traueril Augen von hiinmlischer Sckönheit im
Silberglanz des jungen Mondes uild rufen dich
herbei aus dem zarteil Frühlingsdampf, der über
die grüiteil wiesen zieht.
Dort, wo dein Liebstes, deiil Teuerstes weilt,
will eine alte, zitterilde Hand den fernen Sohn
zu dem schwereil Kampfe segnen; die dürren
Lippen erschließen sich bereits, um den, vielleicht
letzteil Kuß, auf die Wange des Rindes zu
drücken.
Dort, in der zu neuem Lebeil erblühendeil
Trde, tief m stillen Särgen, liegt dein Kinder-
lachen, liegeil deine Iugendträume begrabe'.l... was
dir das heiligste war! Dort, neben der halb
verfallenen Treppe ächzt die graue Eiche in der
Rächt und die Freunde schließen ihre ermüdeten
Reihen fester zusainmeil. Aber du bist nicht dort!..
Tr verstummte.
Die Wellen allein brausten weiter.
Leer und einsam war es ringsum, wie tu
der Seele eines Meilschen, vor dem die Zukunft
wie ein kahler Herbstweg liegt.
Und als die Felsen und die Wellen und die
Abendwolken in glühendeil Flammen versanken,
als die gläilzeildeil Farbenakkorde ringeild stürzten,
sich aufs neue erhoben, um schließlich zu er-
löschen, erklang tu der feurigen Pracht der Lüfte
ein klarer, kühner Ruf.
Es waren Störche, die nach Nordost zogen.
Da fiel ich nieder auf die Knie und flehte die
ferneil Vögel meiner Heimat an: „Vögel des
Himmels! Tragt auf euren starken Flügeln zu
jenem Lailde diese drei Tränen.
Aus die bleichen wangeil des Mädchens, das
beim Silberglanz des jungen Mondes trauert,
laßt die erste fallen, damit es wisse: ich Hab es
nicht vergessen!
Auf der zitternden Hand des Greises, der den Sohn
zudem schweren Kampfe segnet, soll die zweite ruhen!
Uild die dritte Träile legt wie eineil Grabsteiil
im frischen Grase auf deil stillen Särgen meines
Kinderlachens, meiner Iugendträume nieder.
Vögel des Fimmels! Tragt diese Träilen zil
meiner Heimat uild seid dafür gesegnet!"
Der wachtrus ihres Führers ward mir zur
Antwort und es blitzte auf seinen Flügelil.
Leer und einsam war es wieder um mich her,
wie im Kerzen eitles Menschen, für den die Gegen-
wart trübe uild ohne Hoffnung ist.
Die Nacht sank plötzlich nieder. Bleiche Engel
züildeten am Himmel ihre Fackeln an und die
Lichter schimmerten, voil kalten wiildstößeil be-
wegt, wie blailker Stahl.
Das Meer erhob immer droheilder seine salzigen
Wellen, die zornig schäuinend gegen das wehrlose
User stürzten.
Aber das Tosen und Brausen ringsum konnte
deil Wehruf ineiner Seele nicht ersticken: von
wilder Sehnsucht nach der fernen Heimat erfaßt,
strebte sie hinaus, wie ein Gefangener aus seinem
Kerker, wie ein Pfeil aus straff gespailntem Bogen
von Nordeil her blies eisiger wind und trieb
wütende, feindselige Wellen vor sich her.
(Autorisierte Uebersetzung aus dem Russischen
t). Max Sie.)
Liebe Jugend!
Das schölle Fräulein N. vom Hoftheater zu di.
erfreut sich des besteil Rufes bei den Bewohnern
der kleinen Residenz; auch die lieben Kollegen,
sowie der Herr Intendant können der „Unnah-
baren" beim besten willen nichts „Schlechtes"
nachsagen. —
Eines Tages verzögert sich der Beginn einer
Vorstellung, da Fräulein N. kurz vor ihrem Auf-
tritt voll einem heftigen Nasenbluten befallen
wird. — Der Herr Intendant betritt von feiner
kleinen Loge aus die Bühne, um nach der Ursache
der Verzögerung zu forschen, uild erhält vom In-
spicieuten die Melduiig, Fräulein N. sei ge-
fall eil. — voil deil Lippen Sr. Excellenz ertönt
ein freudiges: „Endlich!"
Max, der Sohn eines Mffiziers, kommt zu
spät zur Schule und gibt als Entschuldigung
an, er sei auf dein Schulwege in den Rinnstein
gestoßen wordeil und habe deshalb nach Hanse
geheil und sich umkleiden müssen. Auf die Frage
des Lehrers, wer ihn denn in den Rinnstein ge-
stoßen habe, erfolgt die Ailtwort: „Na natürlich,
so'n duinmer Zivilist."
*
Als Lütkes heirateten — Herrgott, war das
eine Traurede!
„Aejje die Braautlojte in den haajligen Stand
der Aejje träten —" fing sie ail, und floß eine
deutsche Meile fort, unaufhaltsam. Iinmerzu
voil der Braut, die der Pastor getaauft, erzoogen
und koilfirmiiert hatte.
Dailn eilte Fi eine Abschweifung zum Bräutigam.
„Mild noil, liebe Christen," sprach er, „kehren
wir zorüück zo der so oft berührten Braaut. . ,