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Herbst-Sonne

Fritz von Uhde (München)

Uhde

Man kommt als Professor der Kunstgeschichte
oft in Verlegenheit, wenn man den Studenten
sagen soll, was eigentlich deutsch ist. Denn die
rein künstlerischen Fragen, die in Bildern erörtert
werden, sind zur nämlichen Zeit in allen Ländern
die gleichen. Dürer, der deutscheste der Deutschen,
mühte sich um die Lösung der Probleme, die ihre
klassische Prägung durch die Italiener erhielten.
Und der Begriff des Nationalen ist auch sonst
schwer greifbar. Es läuft im Grunde doch auf
Phrasen hinaus, wenn Schlagworte wie die von
Gedankentiefe, Humor und Gemüt zur Charakte-
ristik deutschen Wesens verwendet werden. Wo
blieben Holbein und Feuerbach, wenn das Wort
Friedrich Schlegels, der deutsche Künstler habe
entweder gar keinen Charakter, oder er müsse treu-
herzig sein, spießbürgerlich und ungeschickt, wirk-
lich zu Recht bestünde.

Daß es etwas gibt, was die deutsche Kunst
von der romanischen unterscheidet, läßt sich gleich-
wohl nicht verkennen. Dürer ist trotz heißesten
Bemühens selten zu der Schönheit gelangt, die
jeder Italiener zweiten Ranges instinktiv erreichte.
Doch wenn man seinen Hieronymus mit dem
Bellinis vergleicht, fühlt man: das Werk des
Venetianers ist ein sehr geschmackvolles Kunstwerk.
In dem Dürerschen Kupferstich steckt noch etwas
anderes, das, über das rein Aesthetische hinaus-
gehend, zur Seele spricht. Man fühlt sich wohlig
berührt, glaubt selbst in diesem Zimmer zu sein,

wo alles Ruhe und Gemütlichkeit atmet, wo der
Sonnenschein durch die Butzenscheiben sickernd, so
traulich stimmungsvoll auf dem Tisch und den
Büchern spielt.

Mit Uhde geht es mir ähnlich, und dabei denke
ich nicht einmal an die Bilder, nach denen sich
die Vorstellung, die man mit seinem Namen ver-
knüpft, hauptsächlich formte.

Denn mit der religiösen Malerei war es im
19. Jahrhundert eine mißliche Sache. Daß sie
noch reizte und gerade einen Mann wie Uhde
reizte, läßt sich leicht verstehen. Gewisse zarte
seelische Dinge ließen nur unter Zugrundelegung
solcher Themen sich ausdrücken. Und daß seine
Werke die zartesten Paraphrasen sind, die das
Evangelium in unseren Tagen noch fand, kann
wohl niemand leugnen. Der Mensch schafft seine
Götter nach seinem eigenen Bild. In den Werken
der Primitiven sehen wir das 15. Jahrhundert
ebenso greifbar vor uns, wie das 17. in den
Werken Caravaggios und Rembrandts lebt. Sogar
der scheinbare Idealismus des Cinquecento, der
so vielen unschöpferischen Talenten unserer Zeit die
Rezepte zur Ansertigung ihrer öden Maschinen
gab, war ursprünglich sehr lebensvoll. Es gehört
kein Scharfsinn dazu, den Zusammenhang zu
empfinden, der zwischen diesen hoheitvollen Heiligen
und den gravitätischen Menschen besteht, die wir
aus den Bildnissen der Epoche kennen. Uhde
packte also die Aufgabe ganz so an, wie es die
großen Meister der Vergangenheit taten, und er
löste sie auch so gut, wie es unsere Zeit einem
Künstler überhaupt gestattet. Wundervoll ist das


Licht, das mit solchem Märchenzauber die Scenen
umwebt. Entzückend sind die Landschaften, in denen
die Geschehnisse spielen. Sehr schön, ohne jede
Zuhilfenahme einer toten, dem Arsenal alter Kunst
entlehnten Gebärdensprache und Mimik, sind oft
die Empfindungen wiedergegeben, wie sie Menschen
unserer Zeit beim Erleben der biblischen Wunder
gehabt haben könnten. Freilich, hier ist die Grenze,
die unsere Epoche dem Künstler steckt. Die alten
Meister vermochten Seelenzustände ähnlich denen,
von denen die Bibel erzählt, noch im Leben zu
sehen. Denn der Glaube regierte die Welt. Jetzt —
schon seit dem 18. Jahrhundert — regiert er sie nicht
mehr. Ein Künstler, der, erfüllt von dem poetischen
Stimmungsgehalt der Bibel, noch solche Sachen zu
malen sucht, kann sich also weniger als die Alten
auf die Wirklichkeit stützen. So sehr er vor Kostüm-
prunk und vor banal gewordenen edlen Gesten
sich hütet.— sogar die schlichteren Empfindungen,
die er wiederzugeben hat, muß er erst künstlich
Modellen einstudieren, damit sie das ausdrücken,
was der biblische Text verlangt. Da lassen die
bekannten Klippen, an denen die Historienmalerei
scheiterte, sich nicht immer vermeiden. Uhdes biblische
Bilder sind um so echter, je mehr er das Gewicht
auf die Landschaft, den Jnnenraum oder das rein
Genrehafte des Vorganges legte. Aber der Gegen-
satz zu dem, was die moderne Kunst erstrebt, springt
sofort in die Augen, wenn er in großen Figuren
Dinge zu malen versucht, für die das Leben von
heute, das eigentliche Leben, dem Künstler eme
Handhabe nicht mehr bietet. Hier steht Piloty
im Hintergrund, was er selbst einmal artbeutetfr
Register
Fritz v. Uhde: Herbst-Sonne
Richard Muther: Uhde
 
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