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Nr. 28

JUGEND

1908

schwarzen Mantel und schien sich fast das Aus-
sehen eines Mephisto geben zu wollen, obwohl
er mehr einem durch ewige Sitzarbeit sauer ge-
woröenen Ratsschreiber glich. In der linken Hand
hielt er ein Blatt Papier, auf das er im Gehen
von Zeit zu Zeit einen Bleistiftstrich machte.
Und jedesmal knirschte es dann, als würde mit
einer schlecht gespitzten Kreide auf eine Schiefer-
tafel geschrieben.

wäre mir dieser Mann an einein anderen
Orte begegnet, so hätte ich die Achseln gezuckt,
ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. Die
Welt ist so voller Originale, daß nur die Inter-
essantesten des Studiums wert sind. Aber in
dieser Umgebung machte der Fremde einen so
seltsamen Eindruck auf mich, daß ich beschloß,
mich ihm zu nähern. Ich stieg von der Terrasse
herab, schritt eine weile neben ihm her, und be-
gann schließlich kurzerhand ein Gespräch.

„Ein köstlicher Abend!" sagte ich. „Sehen
Sie nur die Sterne! Hören Sie nur das Zwitschern
der Vögel!"

Er maß mich mit einem verachtungsvollen
Blick und antwortete: „was das Gekrächze der
Nachtigallen und den Radau der Amseln anbetrifft,
so verstehe ich nicht, wie ein künstlerisch veran-
lagter Mensch daran Gefallen finden kann! Man
muß diese Art Geräusche der verständnislosen
Bewunderung des Pöbels überlassen! Aus den
Sternen wäre vielleicht etwas zu machen ge-
wesen, wenn sie, statt wie ausgespritzte Tinten-
klexe zerstreut zu sein, in wohlgeordneten Recht-
ecken, Quadraten oder Dreiecken am Fimmel
stünden! So aber macht ihr Anblick das geübte
Auge des Künstlers nur nervös!"

Er hatte diese Worte mit herausforderndem
Dünkel gesprochen. Zweimal hatte er in einem
Atemzug betont, er sei Künstler — der beste Be-
weis, daß es mit seiner Künstlerschaft nicht weit
her sein konnte.

„Sie scheinen wenig Freude an der Natur zu
haben, mein Herr!" erlaubte ich mir zu bemerken.

Er lachte kurz und höhnisch auf. „wie kann
ich an etwas Freude haben, das ich selbst viel
besser machen kann!"

„Du wirst auch nicht an allzugroßer Be-
scheidenheit sterben!" dachte ich mir.

wir waren am Eingang zum Vergnügungs-
park angelangt, machten nun Kehrt und wandelten
den breiten weg an den fallen vorbei zurück.

Unterwegs blieb der Fremdling stehen, stampfte
zornig mit dem Fuß, zog eine hochmütige Grimasse,
und machte zwei dicke Striche auf sein Papier.

Neugierig frug ich ihn nach der Bedeutung
dieser Striche.

„Das ist mein GemerkI Jedesmal, wenn ich
einen Fehler sehe, mache ich einen Strich! Da,
sehen Sie, die Rückseite ist schon ganz mit Strichen
bedeckt!"

„Einen ,Fehler'? Ich verstehe nicht recht,
was Sie damit sagen wollen?"

„So geht's, wenn man sich als Meister mit
einem Laien einläßt! Ein Fehler ist, was den
überlieferten Regeln der Kunst widerspricht! Diese
Ausstellung wimmelt von Fehlern! Ls ist zum
verzweifeln! Betrachten Sie nur dort die Halle!
Das rote Schieferdach ist falsch, grundfalsch! Und
dann die Linien des Giebelbau's! Sind das über-
haupt Ausstellungshallen?"

„Ich denke doch!"

„weil Sie eben von den ewig unveränderlichen
Gesetzen der wahren Kunst, wie wir Meister sie
beherrschen, keinen blassen Schimmer haben! Eine
Ausstellungshalle muß ein viereckiger Kasten sein,
in dem sich die Gegenstände hübsch in Reih und
Glied aufslellen lassen, vorn und hinten eine
Tiire, und damit basta! Alles andere ist falsch!
Einfach falsch! Und diese Gartenanlagen! Kommt
man sich nicht vor, wie in dem park eines
Schlosses?"

„Aber das finde ich gerade schön!"

„Lächerlich! wie kann etwas schön sein, wenn
es falsch ist? Haben Sie das Künstlertheater ge-

sehen? Ist es nicht zum Lachen? Ein Theater
ohne Kulissen! So etwas Falsches war noch nicht
da! Hahaha!" Sein Lachen klang wie das Ge-
mecker eines Ziegenbocks. Der Mensch wurde nur
unheimlich.

Mitten im Lachen brach er plötzlich ab, wurde
kreidebleich und begann am ganzen Leibe zu zittern.

„was haben Sie?" schrie ich erschreckt.

„Hören Sie nicht?" stammelte er. „Die
Musik-"

Ich lauschte, vom Hauptrestaurant klangen
die weisen des Orchesters herüber. Walthers
Preislied.

„Ich kann es nicht ertragen!" jammerte er.
„Es ist von Wagner! Dieser Dilettant ist mein
Todfeind! Ich hasse ihn!" Und er wollte mir
entlaufen. Ich aber hielt ihn am Mantel fest
und rief kategorisch: „Nicht eher, bis ich weiß,
wer Du bist!"

Blitzschnell drückte er mir eine Karte in die
Hand, riß sich verzweifelt los und rannte in
grotesken Sprüngen davon. Ich trat näher an
eine Bogenlampe heran und las die Karte. Sie
enthielt in altdeutschen Lettern den Namen:
Sixtus Beckmesser.

Da mußte ich hell auflachen. Aber trotz meiner
Heiterkeit stieg der bittere Gedanke in mir auf:
„wie oft, Sixtus Beckmesser, werde ich Dir noch
an den heiligen Stätten der Kunst begegnen
müssen?" —

3m Ausstellungspark

Hier zwischen den Bäumen in Dämmernacht
Hab' ich das Fest erst mitgemacht!

Da stellt unterm Dach tiefleuchtenden Blau's
Der junge Münchener Sommer aus:

Geniale Blätter, famoses Gras
Aus lauter Smaragd uud Chrysopras,

So wunderreich, und so schlicht doch nur,
Chef8 d’oeuvre der angewandten Natur!

Und wie ich so schaue und wandre allein,
Kommt mir entgegen im grünen Schein
Ein schönes Kind, das just wie ich
Dem Trubel da drüben einsam entwich.

So sicher schritt der blonde Schatz,

Ließ baumeln den Strohhut an ihrem Arme,
Als käme sie gar nicht aus dem Schwarme,

Als wär' sie daheim an diesem Platz.

Und als ich die Kleine näher sah,

Mit einem Male bemerkt' ich da
Zu meinem Erstaunen und fast erschreckt,

Daß sie selber hier ein Ausstellungsobjekt:

Daß ihrer Glieder schlanke Blüte,

Die Augen, darinnen die Sehnsucht glühte,

Die brennenden Wangen, die schwellende Brust
Ein Opus der Münchener Sommerlust!

Wir blieben stehen, statt auszuweichen —

Es war, als dächte sie selbst dergleichen:

Als hätte auch sie in mir entdeckt
Ein interessantes Ausstellungsobjekt!

Und beide benahmen wir erst uns recht dumm —
Von Haus aus sind die Objekte ja stumm —
Doch sprachen wir endlich, wenn ich nicht irre,
Vom lachenden Himmel und Laubgewirre,

Vom Vogelfang, den man vernimmt ganz sacht,
Wenn die Blechmusik eine Pause macht,

Und von mehr noch — alles behielt ich nicht,
Denn ich sah ihr dabei in das süße Gesicht.
Und schließlich, hinter den Zweigen versteckt,
Küßt' ich von Herzen mein Schwesterobjekt!
Das schien uns selbstverständlich nur
Im Sinne der angewandten Natur.

Sassafrass

Liebe Jugend!

Ein Negerprinz reiste, wie das heute so
üblich ist, ins Abendland, um dort Menschen
und Sitten zu studieren und sich nebenbei für
die heimische Monotonie durch europäische
Genüsse zu entschädigen. Die Reise geht
durch Frankreich und Spanien und alles ge-
fällt der schwarzen Hoheit ausgezeichnet, nur
mit der ungewohnten Kost kann sich der Sohn
der Natur nicht recht befreunden. Selbst die
raffiniertesten Finessen der Pariser Küche lassen
ihn kalt, ja verursachen ihm sogar Unbehagen.
Die Mahlzeiten sind der einzig dunkle Punkt
in der lichten Oase der Europareise. So kommt
man endlich auch nach Deutschland und hier
nach München. Und siehe da, schon am ersten
Tage heitert sich die Miene des Negerleins
auf und mit wahrer Gier verschlingt er hier
die ihm in einem Restaurant Vorgesetzten ver-
schiedenen Braten und sonstigen Speisen. Sein
Begleiter ist natürlich über diese Wandlung
ebenso erstaunt wie erfreut und voll Genug-
tuung fragt er daher den Prinzen: „Nun,
es schmeckt Ihnen wohl hier vortrefflich?" Wo-
rauf der Prinz, mit vollen Backen kauend, er-
widert: „Ausgesaichnet; grad wie zuhaus.
Nix Soß und alles halb roh." ng.
Index
Arpad Schmidhammer: Münchner Kindl
Hg.: Liebe Jugend!
Sassafrass: Im Ausstellungspark
 
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