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Das weibliche Schwabing

„Ach, ich kann ja nicht sagen, wie ich mich nach einem Rinde sehne."

doch an die Roten Radler!"

E. Preetorius

„Telephonier

i£in Ausstellungsrundgang

Von unferm Berichterstatter
VII. Fortsetzung

Wir betreten jetzt die hochinteressanten Räume
No. 435—50, in welchen die bayerische Negie-
rung sich selbst und die Abgeordnetenkammer
ausgestellt hat.

Saal No. 435 ist der Nepräsentationsraum der
Regierung. Ein wenig düster, aber großartig!
Der byzantinische Saal ist schwarz ausgeschlagen
und hat Draperie und Möbelbezüge in Prälaten-
violett. Unter einem purpurnen Baldachin sieht
man die Büste des Staatssekretärs Merry del Val

und ihr gegenüber die Kolossalstatue des heiligem
Ignatius von Loyola. An den Wänden prangen,
die Silhouetten Ihrer Exzellenzen der HH. Staats-
minister, von: Silhouettenschneider am Vergnü-
gungspark aus tiefschwarzem Papier ausgeschnitten..
Darüber in Silberstickerei allerlei Kernsprüche,.
z. B. „Mei Ruah will i hab'n!" oder „Suprema,
lex Centri voluntasl“ oder „Nur nix überhudeln!"
„Semper retrorsum ltt :c. Im Mittelpunkt steht
die geistvoll konstruierte Negierungsmaschine, welcher
die Gestalt des bayerischen Löwen gegeben ist. Die
Wünsche der Ultramontanen werden, auf Zettel
geschrieben, vorne in den Nachen des Löwen ge-
steckt, man dreht an einer Kurbel und dann kommen
die Zettel rückwärts, mit der Unterschrift des
Ressortministers versehen, wieder heraus.

In sieben anstoßenden Kabinetten sind w
die Leistungen und Spezialitäten der einzelnen smü?
sterien charakteristisch ausgestellt. So bat w
Kabinett des Ministerpräsidenten die Gestalt ein s
entzückenven Jagdzimmers mit Trophäen aller
an der Wand hängt eine Lederhose und eine
liste, auf dem Tisch liegt eine Zither mit HM
kalligraphierten Schnaderhüpferln. Der Raum C
Kultusministeriums ist leider so finster, daß
darin nichts sehen konnte und darüber nichts b?
richten kann. Im Zimmer des VerkehrsmiM^
hängt der Fahrplan der Starnberger Linie mii
Angabe der ordnungsmäßigen Zugsverspätunaen
und darunter die Photographie des Erveditms
Wilhelm Meier, von dem die Sage geht, er sei
der Einzige, der sich in diesem Fahrplan auskennt
Prächtig ist der Raum der Abgeordneten-
kamm e r mit den wunderbar ähnlichen Gipsköpfen
der Herren von der Majorität geschmückt. Der
Raum stößt an die Halle der Brauereiausstelluno
weshalb es hier auch stimmungsvoll nach Bier
und Würsteln riecht. Unter der Decke des Saales
laufen friesartige Gemälde des Kunstmalers Finster
ling hin, welche Momente aus dem Leben des
Ritters Georg von Orterer darstellen. Hier sehen
wir die Bilder: Georg der Große wird nach München
versetzt; Georg der Große, einen liberalen Abge-
ordneten maßregelnd; Georg der Große läßt sich
in der Aula seines Gymnasiums als Zentrums-
führer huldigen; Georg der Große steigt in Tunten-
hausen zum Volke herab; Georg der Große nimmt
die Bürde immer neuer Staatsämter auf sich.
Graphische Darstellungen an den Wänden zeigen
die Leistungen der kgl. bayer. Wahlkreisgeometrie,
die Zunahme der Sekundärbahnen in ultramon-
tanen Wahlbezirken, die Abnahme des parlamen-
tarischen Anstands in der ultramontanen Kammer,
die interessanten Beförderungskurven ultramontaner
Kleriker und Staatsbeamter.

Das Verhältnis der Sessionsdauer zur geleisteten
Arbeit ist in origineller Weise anschaulich gemacht
durch Nebeneinanderstellung eines Achtzighektoliter- :
fasses und eines Schoppengläschens.

Einen originellen Witz hat sich Dr. heim ge-
leistet : er stellt eine unbeschriebene weiße Tafel
aus mit der Unterschrift: „Meine Tätigkeit als
Reallehrer bis zu meiner Pensionierung." In ähn-
licher Weise hat Dr. Pichler die Stellung der
Lehrer symbolisiert: ein leeres Glasgefäß trägt die j
Aufschrift „Die staatsbürgerlichen Rechte der bayr.
Volksschullehrer". Ein in der Ecke stehendes kug-
liges Gebilde ist nicht, wie manche meinen, ein
Globus, sondern der Entwurf eines Dallerstand-
bildes für Freising.

Ein anderes originelles Kunstwerk ist für eine
Sakristei in Regensburg bestimmt, ein Relief: in-
mitten der 14 Nothelfer sehen wir den Wahlpakt
des Zentrums mit der Sozialdemokratie durch die
Gestalten eines Engels und eines Teufels, die sich
zärtlich umschlungen halten, symbolisch darge>tellt.
Die Schlange Liberalismus windet sich, von bei'
Masse zerquetscht, wehrlos zu ihren Füßen. Die
Tafel, im reinsten Jesuitenstil ausgeführt, ist ans
schwarzem, rotgefleckten Marmor und zeigt nt
gotischen Buchstaben die Umschrift: „Mit uns
kämpfen Götter selbst vergebens!"

Durch eine kleine Seitentüre gelangt man von
diesem Saal in das neue, konfessionell getrennte
W. C. für unser Landtagsgebäude, das hier mtt
ausgestellt wurde. Das Kabinett für die Zentrums'
abgeordneten, in dem auch die Sozialdemokraten
hospitieren dürfen, ist von den Vereinigten Werk' j
stätten in Ebenholz kostbar ausgeführt, mit Elfen- >
bein- und Perlmuttereinlagen, Szenen aus dem
Leben bedeutender Partei-Agitatoren darstellend,
ein Meisterstück moderner Kunstschreinerei, vor-
nehm und behaglich. Die Abteilung für Ketzer um
Liberale ist einfacher gehalten, aus ungehobeltem
Fichtenholz. Im Sitzbrett stecken Nägel nut den ^
Spitzen nach oben. An der Wand sieht man
Schilderungen aus Hölle und Fegseuer, im oxv
ginellen Marterl-Stil vom Tuifelemaler Klmbem
schädel zur Bekehrung der verirrten Seelen geferM .
Hier erkennt man u. A. den Minister v. Lutz, der em
den lieben Gott in seinem Ebenbilde und Stell-
vertreter Orterer gelästert, am Spieß bratend u. I-111.

(Fortsetzung folgt)
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Emil Preetorius: Das weibliche Schwabing
 
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