Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Derlin, den 21. Hlärz 1871.

3n unerwartet schneller 5olge haben sich im Laufe von ö wahren die gelchicke
meines Landes zu dem Elanzpunkte entwickelt, auf dem es heute stehet. Zn diese
Zelt fällt die Thätigkeit, zu welcher ich Sie vor 10 Zähren zu mir berief. Zn welchem
Maahe Sie das öertrauen gerechtfertigt haben, aus welchem ich damals den Ruf
an Sie ergehen lieh, liegt offen vor aller Hielt. Zhrem Rath, Zhrer Umsicht,
Zhrer unermüdlichen Thätigkeit verdanken Rreutzen und Deutschland das
weltgeschichtliche Lreignih, welches sich heute in meiner Residenz verkörpert."

Emil Schüller

<Aus einem Briefe Kaiser Wilhelms I. an Bismarck, geschrieben am Tage der Eröffnung des ersten deutschen Reichstags.)

Der Wanderer

Zu dem Titelblatt von Arpad Schmidhammer

Schwarz und bleiern starrt die Wolkenwand,
Tief in Dunkel ist die Welt begraben —
Wandert Einer durchs eutschlafne Land,

Um die Schultern ftattern ihm zwei Raben.

Fest umgreift die Hand des Speeres Schaft,
Drohend bohrt sein Blick sich in die Weiten:
Wandrer, hoheitsvoll und rätselhaft,

Sag', was kündet uns Dein nächtlich Schreiten?

„Wetterahnung spür' ich in der Luft
Und Gefahr für Eure besten Güter!

Als ein Mahner steig' ich aus der Gruft,

Als ein Warner komm' ich und ein Hüter!

Lag zehn lange Jahre bang und stumm.

Doch nun hielt mich länger kein Besinnen:
Wache Deutschland! Feinde sind ringsum!
Wache Deutschland! Feinde sind tiefiunen!

Ränkevoll umklammert Dich der Haß,
Mordbereit, in häßlichem Gelüsten
Spähen sie, vom gelben Neide blaß,

Nach der Pracht und Blüte Deiner Küsten!

Einzeln wagt es Keiner, Dir zu nah'n,

Nur zu knurren wagen sie, zu kläffen —

Doch im Nudel hofft mit scharfem Zahn
Dich die Meute auf den Tod zu treffen.

Hast wohl manchmal ihrer mehr gezähmt,
Wenn's von allen Seiten Dich bedräute,

Doch, wenn ihn ein böser Zauber lähmt,

Wird ein Riese auch des Zwergvolks Beute!

Und ein Nachtalb, Deutschland, wie mich dünkt,
Lähmt die Kräfte Dir, ein arger, schlimmer
Und der Vampyr, der das Mark Dir trinkt.
Ist die Zwietracht— war sie's nicht schon immer?!

Um Gewalt und Vorteil tobt der Streit
Wilder heut als je in Euren Gauen,

Ost um Worte nur sind die entzweit,

Die sich helfen sollen und sich trauen!

Pocht die Not Euch dröhnend einst ans Tor,
Ja, daun macht Ihr wohl im Hause Frieden —-

Aber besser taugt's, vereint zuvor
Starke Riegel an dies Tor zu schmieden!

Hütet Euch, daß nicht an Oft und West
Flammenschein die Wut der Feinde kündet,
Eb', was deutsch ist, sich in Treue fest
Brüderlich zu Trutz und Wehr verbündet!"

Sagt's und segnet mit dem Speer das Land
Und die großen Seheraugen funkeln —
Schwarz und bleiern starrt die Wolkenwand,
Und begraben liegt die Welt im Dunkeln ..

Spann die Nacht uns alle Hoffnung ein?
Müssen wir am eignen Volk verzagen?

Sieh: der Himmel sprickst ein tröstend Nein;
Fern am Horizont beginnt's zu tagen!

Fritz von Ostlni

Das Lied von der Treue

Eine Rhapsodie von A. De Nora

Hinter den gelben Dünen der Nordsee lag da?
Meer wie ein grünlich schillernder Drache und
seine Millionen Wellenschuppen glitzerten fahl, so
oft die weiße Märzsonne ihre wechselnden Lichter
durch die Wolken warf. Durch jagende, bleigrane
Wolken, die mählich langsamer wurden, dichter, sich
stamen, eine Mauer bildeten, und schließlich wie
ein schwarzer fester Eisengürtel um das Untier
lagen.

Aber das Untier fühlte die Umspannung und
wehrte sich. Hatte es zuvor seine Krallen nur leise,
wie spielend, katzenpfotig, über den Sand gestreckt
und seinen Niesenleib nur in oberflachen, langen
Atemzügen gedehnt, so begann es jetzt unruhig
zu werden, sich zu recken, zu rollen, und bäumte
den Rücken. Mit tausend weißen Nägeln krallte
es sich in den Dünenensand, als wollte es der
llmarmung entrinnen, und fiel wieder zurück.
Sprang wilder, heftiger an, und fiel tiefer, schwerer
rückwärts. Ein zorniges Pfauchen und Stöhnen
begann, hier und da ein klagender Schrei, end-
lich ein wütendes, immerwachsendes, immerwäh-
rendes Brüllen.

Und aus seinem dunklen, schäumenden, riesigen
Rachen sprang der Frühlingssturm an den Strand
und schwang seine jauchzenden Arme. Er lief
über die Geest, daß seine Tritte tiefe Furchen im
Sande zogen, klomm über die Deiche und hielt
sich an den Büschen der Marsch, daß ihm manche
davon in den Fingern blieben. Dann flog er
ins Land hinein. Die grauen Haiden, auf denen
noch der schmutzige Schnee lag, empfingen ihn

demütig und still und bogen den Rücken untk,
seinen Fuß. Die Hütten und Höfe duckten fto
wie Hühner unter ihre alten, wetterharten Linde«
und hielten den Atem der Kamine an, bis (t
vorüber war. Aber die Wälder, die Eichen- und
Buchenforsten empfingen ihn, wie Ritter eine«
Schwarm sarazenischer Reiter, enggedrängt, die
Spitzen der Speere ihm entgegen. Ein Anprall
ein Krachen, ein wilder Schrei desZurückgeworsc»!
Des Gehemmten und wieder Anstürmenden, dn
bald ausbog, bald wich, bald von neuem hereiu
brach! Mancher der starken Streiter sank zu Soben,
im Fallen die Schildknappen mitreißend, und bi«

ganze Nacht währte der Kampf-Frühlings-

kampf_Werdesturm....

Das Neue gegen das Alte. Junge, kaum fljjgg
gewordene Kraft gegen alte, harte, festgewmK
Stärke. Eine Kraft, die niemand kannte, dem
Wege und Ziele im Verborgenen lagen, im Dunkel
der Tage, im Einst! Eine sprungweise, heftige,
zurückweichende und jäh vorstürmende Kraft gegen
bewährte, gewohnte, bodenständige Stärke...

So ging der Sturm in den späten Märztagm
des Jahres 1890 durch das Land, und als ei
vorbei war, kamen die Wetterberichte geflogen.

Einer der tieferschütterndsten und schwersten
war: Der Eichbaum, der ein halbes Jahrliundeit
lang das deutsche Reich überragt und beschirm!
ist gefallen — Bismarck gestürzt!...

Ich weiß noch wie heut', was für eine Bot-
schaft das war! Wie Geierschrci über Lämmer-
hürde, wie ein Faustschlag in ahnungslose Gk-
sichter.

In einer Münchner Studentenbude saßen mir.
drei junge, lebfrische Menschen, und krampsten dos
Zeitungsblatt in der Faust, das die Nachricht ent-
hielt: Peter, der lange Friese, der selten ein Wort
sprach, fluchte wie ein Besessener und schlug dn
schweren Knöchel auf den Tisch, daß Gläser und i
Tinte tanzten. Jeder Fluch eine Majestätsde-
leidigung .. . Albert, der Pfälzer, hielt flammend!
Reden, bewies, daß sich Deutschland diese A«'
nicht gefallen lassen dürfe, und empfahl, wenn ge°
setzliche Mittel nichts hälfen, die Revolution,
„Allweil misse mer Barrikadde baue, und ttf
Pardon werd' gewwe —" war der Schlußstein des
dialektischen Baues, den er in zehn Minuten bis
zu schwindelnder Höhe führte. Ich, der Münchner,
der „Dichter", wie sie mich nannten, lag über der
großen, nach Druckerschwärze riechenden und von
unfern hastigen Händen zerknitterten Zeitung »m
weinte.

Ja, weinte.

Ich schäme mich nicht, es zu sagen. _ ES wai
über mich gekommen wie ein Zwang, eine wnoe,
zersprengende, nach Erlösung schreiende Traue,
und als die Tränen strömten, schwemmten sie M
das Gefühl mit fort, sondern gaben ihm nur tz»

|i
Register
[nicht signierter Beitrag]: Briefzitat
Emil Schuller: Ornamentleiste
Fritz Frh. v. Ostini: Der Wanderer
A. De Nora: Das Lied von der Treue
 
Annotationen