Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1908

einziges Mittel des Ausdrucks . . . dem Gefühl, daß eS
Heldenschicksal war, was wir als unbeholfene, ohn-
mächtige, erschütterte Zuschauer hier sehen mußten, —
daß ein Drama auf seinem Höhepunkte angelangt war,
das zu den größten Tragödien der Welt gehörte.

Was?! Es war möglich gewesen, diesen Riesen zu
fällen, der in seinen Händen das Jahrhundert trug, es
geknetet, geformt, nach seinem Sinne gemodelt hatte und
es wie einen Spielball der Ewigkeit entgegenrollte? Der
groß genug gewesen, seinen Namen an den Himmel zu
schreiben, daß er leuchtete bis in fernste Ecken der Erde?
Der wie die Esche Agdrasil für uns zum Baum der
Geschicke geworden war, zum Lebensträger und Wesens-
schirmer — es war möglich gewesen, ihn zu entwurzeln?

Ich erinnerte mich, ihn vor Jahren in Berlin ge-
sehen zu haben. Mit dem großen Schlapphut, die Dogge
hinterdrein, war er im Tiergarten eine Allee herauf-
geschritten, langsam, wuchtig und groß wie ein Gewitter,
und alle Füße waren vor ihm zur Seite gewichen, alle
Häupter hatten sich entblößt. Nur ich stand, an einen
Baum gelehnt, den Hut auf dem Kopf, mit der Neugier
der Jugend, die vor nichts Respekt hat, und ließ im
Geiste, während er herankam, die Geschichte seiner Zeit
an mich herankommen ..

Herrgott, welch eine Geschichte! Ein Erwachen wie
aus Gräbern am jüngsten Tag, ein Ausstieg wie aus
dunklen Tiefen des Erebus zu dem Lichte auf dem
Gipfel des Olymp! Was war dies Deutschland ge-
wesen und was war es heut'? Was hatte dieser Mann
mit dem mächtigen Körper und dem feinen Kopf, mit
den groben Braun und den zarten Händen aus seiner
verlachten, verachteten, verängstigten, zurückgebliebenen,
in hundert Fesseln von Junker-, Pfaffen und Philistertum
schmachtenden Nation gemacht! War das noch ein
Mensch, der da vornberging ? War es nicht der dröhnende
Tritt einer gewaltigen, riesenhaften, strahlenden und vor-
wärtsschreitenden Epoche, war es nicht die Weltgeschichte
selber, die vorüberging?

Und ich zog meinen Hut und behielt ihn in den Händen,
bis der Schritt verklungen war —, denn das muß keiner
denken, daß Jugend, wenn sie auch vor nichts Respekt
hat, ohne Ehrfurcht ist.

Nein! Nicht ohne Ehrfurcht. Alles Große, Schöne
und Bollendete erregt Jugend, begeistert, fesselt und ent-
fesselt sie, wühlt ihre Tiefen auf, schürt ihre Liebe und
ihren Haß, ihre Leidenschaften und Schmerzen. Oh, wie
haben wir in jenen Tagen gehaßt! Wie stark und ehrlich
geliebt und gehaßt! Wie schmerzlich gelitten! Denn wir
fühlten diesen Bruch als einen, der uns Alle anging,
einen Bruch, den kein Wort, keine Bitte um Verzeihung,
keine Versöhnung und kein Friede mehr gut machen
konnte, der allen Kitt überklingen würde mit seinem leeren,
schalen, klanglosen Klang, — den Bruch der Treue.

Das war eS, was uns weinen, schimpfen und fluchen
machte und in jedem von urrs stürmte mit gleicher Kraft
und gleichem Ingrimm: Daß wir den Glauben an
deutsche Treue verloren hatten...! Wenn es
geschehen durfte, daß man einen Bismarck beiseite warf,
dann durfte Alles geschehen! Aller Verrat, aller Undank
jeder Hohn und jede Härte schien erlaubt, jeder Dienst
vergeßbar, jede Wohltat vergeudet, dann war nichts mehr
gültig als das Recht der Rücksichtslosen! Es war die
Tragödie des Undanks, die Geschichte von Apel und
Hawermann, ins Gigantische, Weltbedeutende gesteigert...

Ich weiß nicht, wer zuerst auf den Gedanken kam,
diese Geschichte aufznschlagen. Vielleicht der Friese. Denn
ich weiß nur, daß wir den Worten, die er vorlas, lausch-
ten wie den Worten einer Tragödie im Theater:

_ „Den annern Morgen Klock fiev' was Hei all in de
Bern' un gung sihr fründlich up den olln Mann tau,
de sm Wirken up den Hof hadd: ,Lieber Herr Hawer-
mann, ich habe mir das reifllich überlegt —, Sie dürfen
>mr das nicht übel nehmen —, ich habe beschlossen, diese
Ernte ganz für mich allein selbst zu besorgen und die
dahin zielenden Anordnungen selbst zu treffen/ —

De oll Mann stunn vor em. verdutzt, verbas't. Tau-
st vor un bedrängt ut sine Bost herute: ,Un
fm )stbr bloß zusehn?* — Un hei temmte

!^st-^"dstock so vor sik hen un kek den jung'n Mann
™>9,öen an' so jung herute lücht'ten ut bat olle

Wa oaS n!lr nst sin Dauhn UN Wirken in sinen
m^?/st..^ewen dorin mit einmal lewig morn, un ut frie
iad her: »Herr, Sie waren ein kleiner Junge, als

Nr. 30

Bismarck-Statue

Aus der in der Hamburger Bismarckdenkmal-Konkurrenz mit dem 2. Preise ausgezeichneten
Arbeit von Bildhauer E. Be y rer (München) und Architeki Fr, Rank (München).
Index
Eduard Beyrer: Bismarck-Denkmal in Hamburg
 
Annotationen