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Jim lüormsafall

(hoch vogesen)

Hörst du die Stimmen
Im Wasserfall?

Sie brausen mit tausendfachem Schall.

Es dröhnen die starken,

Ls klingen die feinen
Und wollen rum großen
Liede sich einen.

Doch tief — abseits —

Oie gewaltigsten sagen,

Sie haben dir nid)t zu singen — zu Klagen!
Und leihst du lauschend
Den Stimmen dein Ohr,

Ihr Tosen wächst mächtiger stets empor.
So brüllt der Leu
Jfn der 6iltertür,

So stöhnt der zu Tode
getroffene Stier.

So hebt sich seit fernen
Schöpsungstagen
.Hus der blühenden Welt
Lin wildes Klagen —

Lin grollen und Kämpfen —

Lin Stürmen und Schäumen —

Lin gegen das Schicksal
Sid) ohnmächtig bäumen.

Das eintönig, dumpfe
Lied ohne Kuh',

Das traurig trotzige,
hörft nur du! —

[)an$ Rar! JTbcl

Aphorismen

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!
sagt das Christentnm, aber es sagt nicht den
Grund dieser so paradoxen Vorschrift, denn
es kennt ihn selber nicht. Den Grund weiß
nur die indische Lehre, in deren Geist dieses
Licht zuerst und ani hellsten aufgegangen ist.
Er heißt: tat twam asi — das bist du. Du
selber bist dieser Nächste, denn du bist in allein
Seienden und alles Seiende ist in dir. Die
Individuation ist nur ein Traumbild.

Seichtigkeit mit undurchsichtiger Oberfläche
erscheint den Meisten als unergründlich.

Mancher ist eine ganze Sammlung vor-
trefflicher oder interessanter Eigenschaften und
ist doch keine Persönlichkeit.

Durch dein Tun und Lassen, dein Denken
und Fühlen, durch deine Gesinnungen mehr
noch als deine Taten, zeichnest du fort und
fort ans unsichtbarem Grunde die Linien eines
Musters ein. Dieses Muster, keinem mensch-
lichen Auge erkennbar, enthält dein einzig
wahres Bild, und wenn es ein künftiges Leben
gibt, so richtet sich nach diesem Selbstportrait
der Platz, den du künftig entnehmen wirst.

Isolde Kurz

coir

igen

H. Wilm

Die Versuchung des jfrafer Dionps

Don An da Maria Birnbacher

Frater Dionys stand in der Dorhalle der kleinen
Rapelle und läutete zum Abendsegen.

Das Glöcklein bimmelte in erregter Wichtig-
keit und klang schrill in den stillen Frieden hinein.
Die Waldlichtung lag im Dämmerblau, durch die
Stämme der Tannen und Föhren schimmerte
der rot überstrahlte Abendhimmel. Frater Dionys
zog den Strang mit Eifer und Ausdauer, bald
duckte er sich klein zusammen, um rasch wieder
in die höhe zu schnellen. Man sollte es in Dorf
und Schloß deutlich hören, daß ein neuer Bewohner
seinen Einzug in die seit Wochen verwaiste Ere-
mitage gehalten hatte.

Endlich war auch seinem Pflichteifer Genüge
getan, er verschloß die Tür der Rapelle, beugte
andächtig sein Rnie und trat hinaus. Das Glöckchen
gab noch ein paar klägliche Laute von sich und
verstummte. Da trug der wind über die Rronen
der Bäume volle, klingende Töne dahin. Die
Rlosterglocken! Die konnten's doch noch ganz
anders! Den guten Frater wollte leises Heim-
weh beschleichen. Nun versammelten sich die
Brüder im Refektorium und Scherzworte flogen
hin und her.

Der Frater seufzte, bekreuzte sich und trat in
sein Häuschen. Dorsorglich schloß er Tür und
Laden, machte Licht und nahm sein kleines Mahl.
Dann setzte er sich mit dem Brevier in den großen
Armstuhl und begann zu lesen. Aber es wollte
nicht recht vorwärts gehen. Die große Umgestaltung
seines Lebens, das sonst friedvoll gleichmäßig
dahinfloß, erregte ihn zu mächtig.

Er blickte in der Stube umher, die sich im
flackernden Schein des Lämpchens traulich aus-
nahm . . . traulich und dennoch fremd. Und rings-
um eine, unerhörte Stille, die schwer von geheimnis-
vollem Geschehen war. Ja, ja... da hauste er
nun mitten im Walde . . Frater Dionys der
Eremit. Daß dieser Rindheilswunsch Erfüllung
gefunden hatte!

Nach solchem Gottesfrieden hatte er sich in-
brünstig gesehnt, denn auch im Rloster war der
nicht daheim, wie schön Gott dies alles gefügt
hatte! Mußte er nicht gerade in das Stift ein-
treten, dessen Schutzherr der Marquis war? Und
war's nicht alter Brauch, daß das Stift einen

der Brüder in die Eremitage sandte, die im nv,
park des Marquis errichtet war? Dann a
Bruder Erasmus, der steingrau im Häuschen
worden war, und die Wahl des Priors fiel ^

Dionys. Und der war darob von Herren'
wenn ihn auch das Ungewohnte der Situni^'
noch etwas beklemmte. Nun wollte er den ^

en

rienaltar in der Rapelle betreun, sein Gärt^
bepflanzen, allerlei Waldgetier zähmen, umaeb
von Blumen und Tieren, ganz wie sein Liebl'
heiliger, der Franz von Assist, Gott sein «
weihen. Er malte sich die Zukunft mit sonn
Lächeln aus, aber bald sank ihm der Rovf
auf die Brust herab. Er durfte nun wob!
Schlafen denken, verrichtete vorerst noch die Jin

mfibe

dacht vor dem Marienbild am Hausaltar U
nach, ob das Lämpchen davor wohl aenuasam
mit Del versehen war, und streckte sich dann auk

Lager-richtete sich aber sogleich wieder aus

und sog erstaunt die Luft in die geblähten Rüstern

was war dies für ein seltsamer Duft der
ihm schwer und betäubend entgegenwallte' und
woher kam er? Aus den rauhen Decken 'seiner
kärglichen Liegerstatt doch nicht? Und dennoch
ja . . die schienen wie durchlränkt mit wohlgeruch^

So überlastet mit Süßigkeit lag die Luft an
schwülen Sommerabenden auf dem Rosenflor im
Rreuzgarten. Sonderbar. . . kopfschüttelnd leerte
er sich zurück und schloß die Augen. Und der
feine Duft umschwebte ihn, drang neugierig in
sein Hirnkämmerlein, pochte wie mit leisen Fingern
an allerlei verschlossene, verstaubte Schreinchen,
die da ein halbvergessenes Dasein führten, und ließ
nicht nach, bis in des Fraters Gedanken seltsame
Bildchen und Erinnerungen auftauchten, über die
er sich recht verwunderte.

Nanu — das war ja das Schulgärtlein vor
seines Daters Haus und. zwischen all den gut
beschnittenen Taxushecken und kunstvollen Blumen-
rabatten stolzierte auf Hackenschuhen ein niedliches
Persönchen umher — sieh da, Lolette, das Zöschen
der Frau Gräfin im Schloß! Sie drehte und
wendete sich, knixte und tänzelte und nannte
Dionys einen dummen Jungen, wie schmerzlich
ihn das traf!

An einem lauen Sommerabend saßen sie in der
Geißblattlaube beisammen, und da ... auf ein-
mal ... er wußte selbst nicht wie es kam ... gab
ihm Lolette einen herzhaften Ruß .. ja damals ..
und da hatte er auch zum erstenmal solch be-
täubenden Wohlgeruch auf sich überströmen ge-
fühlt, der ihn gänzlich verwirrte. Don unerhörtem
Mute beseelt, wollte er das himmlische Mädchen
an sich reißen, aber Lolette machte sich lachend
los, lief eilends davon und er hörte noch von
ferne ihr spöttisches „DH, Du dummer Rarr".

Die ganze Nacht hindurch hatte er dann in
der Laube gesessen, die den berauschenden Duft
gefangen hielt, und ihm war's, als müßten ihm
die Sinne vergehn. Lolette, wie war sie reizend
mit dem Spitzenhäubchen auf dem hochgekämmten
haar . . . wie zitterten die Bändchen am Hals-
ausschnitt im leichten wogen ihres Busens . . .

wie

hier fuhr Frater Dionys plötzlich empor, waren
das nun Gedanken, die sich für einen Eremiten
und Rlosterbruder schickten? Der Böse glaubte
wohl, hier, ferne vom heiligen Rlostergebiet, es
mal mit ihm versuchen zu können.

Entschlossen sprang der Frater auf, nahm
sein Gebetbuch, schlug beim Schrill des Lämpchens
am Altar das Gebet gegen Anfechtungen des
Fleisches auf und wiederholte es so lange, ws
ihm ganz wirr im Roxfe ward. Nun war ie
sündhafte Regung wohl gänzlich unterdrückt.

Beruhigt suchte er sein Lager wieder aus
und verbot seiner Nase, den Duft so gwng l

sich aufzunehmen, aber leider---^ie 1 ?

war nicht gut gezogen. Immerhin lag er en
weile still und regungslos, fast schleus, as

schliefe er-da schlug's wie feines Srngen

an sein Dhr, und — was war das, am Ende
Bettstatt saß rittlings ein allerliebstes Dingelchen,

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Register
Isolde Kurz: Aphorismen
Hubert Wilm: Die Kirche
Anda Maria Birnbacher: Die Versuchung des Frater Dionys
Hans Karl Abel: Am Wormsafall
 
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