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OJald mit Dir

Wenn abendlich Dein Lächeln wiederkchrt
Und mir lich neigt, reich, wie der (lag vergangen,
Spür ich im Atemzug an lzaar und Wangen,
Dah Wald mit vir Nt und Dich sanft beschwert;
Mein Schmiegen schweigt, Dein Dust

wird sroh und zeigt,

wie alle zarten Dinge an Dir hangen.

Und ohne aufzuschauen, kann ich sehii^

Das Dunkel und den Schimmer unsrer bannen,
Die tief in Lrde, hoch in Sonne ltehn,

Dis herbes, wonniges zusammenrannen:

Der starre Ligenhauch, der Lüfte Streit,
Wildblumendüften, Dalsamkraut und Moose,
Und öeerenprickeln und Harzbitterkeit,

Und Dlütenftauden von den ?elsaltanen,

Und haldeflimmer und der Quellen irische,
Der volle würzgerud) der Wurzelerde
Und aus dem Wipfelwind das Zauberische:
was rauschende Wälder in die User bannen,
?loh in die wellen-haare Dir hinein:

Mit leisen Händen kann ich es umspannen
Und schlürf es ein.

Zoiei Schandcrl

Vermächtnis

von Max Nassauer (München)

Georg war von einer Reise zurückgekommen, die
er als Schiffsarzt unternommen hatte. Die Fahrt
hatte ihn nach Ostasien geführt. Dort war er ein
paar Jahre lang auf Küstenschiffen zwischen den
Inseln hin- und hergefahren und hatte sich schließlich
noch ein Jahr lang in Japan in einem Hospital
aufgehalten.

Nun war er zurückgekommen und sag bei seinem
Freunde Meinhold in dessen Studierstube. Sie hatten
sich seit vier bis fünf Jahren nicht mehr gesehen.
Schon als Studenten hatten sie sich eng aneinander
angeschlossen gehabt und sie waren Freunde geblieben.

Es herrschte stille Novemberdümmerung im abend-
lichen Zimmer. Der Diener hatte den beiden Jung-
gesellen den Tee serviert, und nun rauchten sie eine
Zigarre.

Meinhold war schon seit mehreren Jahren als
Arzt ansässig und gab seinem Freunde Georg, der
etwas landfremd geworden war, warme Ratschläge
für seine Zukunft.

Es war minutenlang sehr still. So still, wie es
bei zwei Menschen ist, die sich verstehen und die
nicht allzuvieler Worte bedürfen, um sich auszu-
sprechen. Was gesagt wird, ist gesagt. Und was
geschwiegen ist, bleibt geschwiegen und wird ver-
standen.

„Du bist eigentlich recht alt geworden," meinte
Georg. „Du hast graue Haare bekommen und
Deine Augen sind unruhig. Hast Du einen Kummer?
Oder nimmt Dich die Stadtpraxis so mit?"

„Ach nein. — Du hattest es freilich gut. Du
konntest Jahre lang draußen bleiben, auf der frischen
See, bei fremdem Volk und Land. Du hattest keine
Zeit, trüben Gedanken nachzugehen. Und wenn Du
von Borneo wegfuhrst, dann liehest Du eben in
Borneo all Deine dortigen Erinnerungen und das
Schiff schnitt sie durch und auf Sumatra konntest
Du ueue anknüpfen. Nun bist Du hier, lausend
Meilen von all dem und kostest die Früchte Deiner
Fahrten — stolz und freudig und stark und mit
kraftvoller Sehnsucht. Und wenn die zu mächtig
wird, na, dann fährst Du halt wieder hin ins Land
Deiner Sehnsucht. ."

Georgs wettergebrüuntes, gesundes Gesicht über-
zog ein frisches Lachen: „Du hast recht, Meinhold.

Ein Leben lang kann ich zehren von all dem Ge-
schauten und Erlebten. Aber weiht Du, es fehlt
uns, die wir so in vollen, breiten Zügen schlürfen,
doch etwas: das ist die Vertiefung. Darum kann
uns auch das einzelne nicht so packen und beschäftigen
und festhalten."

Sie schwiegen.

„Wo steckt denn Dein Kater Peter?" frug dann
Georg. „Ich vermisse ihn. Er war doch immer um
Dich herum, Du Tierfreund."

„Der ist mir gestorben im vorigen Jahr."

„Und die weiche, zarte Hand, die ihn, außer Dir,
bisweilen streicheln durste... wo ist sie?"

Meinhold wurde unruhig. Er stand auf und
ging im Zimmer auf und ab. Georg sah ihm nach
und frng ein anderes, freundschaftlich und warm:
„Und mit Deiner Verlobung . . . wie ist denn das
ausgegangen? Ich habe Deine Anzeige in Hongkong
bekommen und hoffte, Dich als Ehemann und viel-
leicht Vater anzutreffen und nun bist Du allein, wie
früher?"

„Wie früher? Mehr allein, wie früher, Georg!"
sagte Meinhold. Dann lehnte er sich an den Ofen,
und rauchte nervös seine Zigarre.

Da auf einmal hörte man aus dem Nebenzimmer
die Stimme einer Frau. Ganz leise und zart, eine
weibliche Stimme, die mit sich selbst sprach. Dann
ging die Stimme über in ein leises, leises Weinen.
Dann ein Stöhnen aus tiefstem Herzen, ein Aus-
bruch stillen Jammers, der ergreifend klang. Und
nun hörte man deutlich, wie sich der weinende,
schluchzende Mund der Frau in einem Kissen ver-
barg, um das Weinen nicht zu laut werden zu lassen.
Aber aus dem Kissen heraus drang das herzer-
schütternde Schluchzen und Weinen, stohweise, die
Brust der Weinenden erschütternd. Dazwischen hinein
ein Flehen: „O Gott, o Gott, mein Gott!" All-
mählich ward das Weinen zu einem gedämpften
Aufschrei, als wenn der Schmerz den Kopf aus dem
Kissen herauswürfe, in das er sich vergraben hatte.
Und nun wieder ein tiefes, heißes Weinen, als wenn
ein körperlicher Schmerz die Frau erschüttern mache.
Und leise verklang das Weinen der armen Frau.

Georg war aufgestanden und zu Meinhold hin-
getreten. Leise sagte er:

„Meinhold, warum hast Du mir nicht gesagt,
daß eine Frau im Hause ist. Ich wäre sonst schon
lange gegangen; es tut mir leid, daß ich das ge-
hört habe."

Er wollte gehen. Meinhold hielt ihn zurück.
Er nahm ihn bei der Hand, öffnete die Türe in das
Nebenzimmer und führte ihn hinein. Dort brannte

eine einzige, kleine Flamme. In einer Ecke de)
Zimmers aber stand ein Käfig mit einem Papagei

Der Papagei schaute die beiden Männer
der Seite an, hängte sich dann oben an das Gitter
und sagte: „Brave Lora, Kopferl krabbeln." Da trat
Meinhold an den Käfig und strich mit zarten Fingern
dem Papagei über den Kopf. Dieser hatte seinen
Kops ganz fest an die streichelnde Hand Meinholds
gepreßt, die Augen geschlossen und ließ sich mit sicht-
barem Behagen den Kopf streicheln.

„Das ist ja die Lora," sagte Georg, „die Du
seinerzeit von Deiner einzigen Schiffahrt ans Bra-
silien mitgebracht hattest."

„Ja, das ist meine Lora," erwiderte Meinhold
„Gelt, sie hat viel dazu gelernt? Brave Lora, gute
Lora, konnte sie, wie Du Dich erinnern wirst, schon
immer sprechen."

„Und lachen konnte sie, Meinhold, lachen, daß
wir mitlachen mußten, bis uns die Tränen herab-
liefen. Dann ahmte sie wieder unser Lachen nach,
und so lachten wir oft viele Minuten lang mit-
einander."

„Ja. Und jetzt weint sie."

„Aber das war nicht Dein Weinen, Meinhold!"
sagte Georg und er ergriff ihn bei der Hand.

„Nein. Das ist nicht mein Weinen. Und doch
ist es mein Weinen. Mein Weinen.."

Meinhold stellte sich ganz in den Schatten des
Zimmers, so daß ihn sein Freund kaum sehen konnte.
Dann sagte er leise: „Du weißt Georg, als ich mich
niedergelassen hatte, ich und draußen der Johann
und mein Kater Peter und die Lora, da gab es
noch eine fünfte Person . . . Du hast selbst von einer
zarten Hand gesprochen, die den Peter oft streicheln
durfte und streichelte und die der Lora Zucker gab
und die auch mich streichelte und mir Zucker gab..
Sie war lustig und war ernst, wie ich es wollte
und wie ich es brauchte. Sie konnte plaudern und
konnte schweigen, wie ich es brauchte. Sie konnte
singen und lachen, wenn ich verstimmt war, bis
auch ich lachte. Sie war stolz und sie war demütig.
Sie war immer so, wie ich sie gerade wollte, wie
ich sie gerade brauchte. Ganz von selbst.

Und als der Tag kam, wo sie glaubte, das; sie
mich hindere, daß sie mir eine Last werden könne,
da ging sie lächelnd, und sie kam nicht wieder. Sie
wußte, daß wir nicht dauernd beisammen bleiben
konnten, und da ging sie. Und ihr weiteres Leben
war ein stolzes und ihr Leben war ein frohes, neues.
Wenn wir uns zufällig irgendwo trafen, da war sie
freundlich und schien glücklich. Nur ihre Haare
waren weiß geworden. Vielleicht auch hatte sie die
Haare weiß gefärbt.

Dann habe ich mich verlobt.

Da ward es anders. Hier in meiner Wohnung.
Vor meinen: Peter fürchtete sich meine Braut. Daher
mußte er, wenn sie kam, von Johann in die Küche
gesperrt werden. Dort weinte er kläglich. Der arme
Kerl! Die Lora war ihr ein grüner, beißender
Vogel. Sonst nichts. Allerdings biß sie auch immer
nach meiner Braut. Ich sah, die beiden konnten
sich nicht leiden.

Da mußte ich denn an das glockenhelle Lachen
denken — es war ja unrecht meiner Braut gegen-
über — und dann habe ich eines Tages meiner
Freundin von früher die Lora zugeschickt, ohne eine
Zeile. So kam Lora aus dem Haus.

Aber mit der Zeit, — es verging kein halbem
Jahr, bis ich mir klar ward — kam auch meine,
Braut aus dem Haus. Sie war anders, wie ich
gedacht hatte; ich wa'r anders, wie sie es sich viel-
leicht gedacht hatte... ich kann Menschen nicht leiden,
die keine Tiere lieben. Das und noch anderes ..

Nun war ich wieder allein. Du siehst, mehr
allein wie früher.

Peter, in die Küche verbannt, war eines Tages
tot. Die Lora fort. Und die erste, ich wußte nicht
Index
Paul Rieth: Zeichnung ohne Titel
Max Nassauer: Vermächtnis
Josef Schanderl: Wald mit Dir
 
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