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wohin sie verzogen war. Ich habe auch nichts mehr
von ihr gehört bis heute.

Nur ein einzigesmal, denke Dir Georg, kurz
nach meiner Entlobung hörte ich von ihr. Ein Dienst-
mann hatte mir in meiner Abwesenheit die Lora
zurückgebracht.

Sie mußte von auswärts an eine hiesige Adresse
geschickt worden sein, durch- welche sie mir zugestellt
wurde.

Als ich den Käsig aufdeckte, war das Tier ganz
außer sich. Es hatte mich doch solange nicht mehr
.gesehen. Aber es sing zu lachen an, so zu lachen
und zu jubeln, daß cs ganz außer Atem kam. Wohl
eine Stunde lang lachte und jubelte sie und sang
und rief „Herr Doktor, Lora, brave Lora, gute Lora,
komm her, Papagei." Dann ries sie dem Peter:
„Päter, Pater, miau." Schließlich sang sie laut und
schreiend ihr: „Heil unscrm König Heil, Hurrra,

So begrüßte sie mich mit Hurra und ließ sich
dann den Kopf streicheln und da war mit ihr wieder
etivas ein gezogen in mein einsames Haus, von früher.

.Nun aber denke Dir Georg, am Abend, als ich.
hier in meinem Studierzimmer saß und es ganz
still geworden war, am Abend zu der Stunde, da
früher meine Freundin gekommen war, da aus
einmal begann Lora zu weinen. Sie sing zu weinen
an, so jämmerlich und so schluchzend und herzzer-
reißend . . nun, Du hast cs ja vorhin selbst gehört.
Da ward mir, als säße meine Freundin neben mir
und weine und schluchze. Es war ihre Stimme,
ihr Weinen und Schluchzen.

Da sah ich sic in ihrem einsamen Zimmer sitzen,
weit >veg von mir, sie die stolze, die starke; ich sah
sie einsam und von niemandem gehört in ihrem
Zimmer, auf ihrem Sofa und sah und hörte sie
weinen und den Kopf ins Kissen drücken, damit
niemand ihren Jammer sehe und höre. Nur Lora
hörte sie. Und so meinte sie wohl jeden Tag. Jeden
Abend, an dem sie sonst bei mir gesessen, saß sie
zu Hause, allein, cingeschlossen, und weinte vor un-
menschlichem Weh . . und sieh, Georg, jeden Abend
nun, Tag für Tag, wenn die Sonne sinkt und es
slill wird und einsam hier, sängt Lora zu weinen
an und weint und weint. Sie weint das Weinen
von ihr, in der Weite, in der Ferne..

Darum ist das Weinen der Lora mein Weinen,
Georg, mein Weinen. Mein Herz weint und meine
Seele weint am Abend, wenn ich allein bin, so
allein.. ach, so allein . .."

Georg antwortete nicht.

Er ging bald weg.

„Warum soll ich dem guten Meinhold weh tun?
Ja, die Frauen! Aber famos hat sie das dem
Papagei beigcbracht! Ein schönes Vermächtnis!"

Und sein gesundes Gesicht lachte, als Georg
seinen Weg dahinschritt. —

Randbemerkungen

Der Künstler wird von der Muse geküßt,
der Dilettant küßt der Muse die Hand.

Noch unangenehmer als ein eingebildeter Kran-
ker ist manchmal ein eingebildeter Gesunder.

Es gibt einen Rausch der Nüchternheit. Die
von ihm Ergriffenen gehören zu den widerlichsten
Besoffenen und eine Tempercnzbewegung ist hier
sehr am Platze.

Die Standbilder der Göttin Themis mit der
Wage sollen andcuten, daß die Justiz manchmal
einen schweren Gegenstand lange Zeit mit ans-
gestrecktem Arme in der Hand halten kann, ohne
müde zu werden.

Angeln Jank [München]

Uar der Schlacht

Jni Urwald

Sterben ist ein eigen Ding,

Bin schon hoch bei Tagen.

In den Adirondaks *) ging
Ich, den Hirsch zu jagen.

Flint' im Arme, sonngcbrännt,
Horchend nach der Meute,

Sichtete mein Aankeefreund
Durch den Busch die Beute.

Unterm Urwald kam das Tier
Königlich gegangen.

Die da bellten im Revier,

Wer, wer könnt ihn fangen?

Seine Läufe stark und fein,
Nimmermüde Ständer —•

Keine Dogge holte ein
Diesen V.ierzehnendcr.

Von der Tränke kam er satt,
Abendrotnmstossen.

Zweimal hat mein Freund aufs Blatt,
Grad aufs Blatt geschossen.

Wie zum Schlafe sank das Tier.

Ja, das war ein Birschen!

Weidmann Tod, mach's mal mit mir
So wie mit dem Hirschen!

*1 Wald- und Secncevier im Norden des Staates
Ncw-Uork.

.Ad. Jäy

Der Fremde

von Fritz Säuger

Lin stiller Abend zog über da; Gebirge und
breitete seine weichen Hände über das Dorf.

Zn den Straßen war es ruhig. Selten sah
man einen Menschen gehen, und da und dort
standen zweie beisammen, die über des Tages
Arbeit sprachen, über die Ernte oder über andere
Dinge.

Ganz draußen vor dem Dorf stand das Ar-
menhäuschen. Es gehörte der Gemeinde, und
der Mann, der mit den Seinen dort wohnte, zahlte
keine Miete und keine Steuern; er hatte keine
Rühe und keine lvchsen im Stalle; nur eine
Ziege.

Er hatte keine vollen Scheunen n»d Keller,
und manch mal ging es sehr knapp her. Die
fünf Rinder, die »in den Tisch saßen, konnten
sich dann nicht recht satt essen.

So wenig stand auch heute wieder auf dem
Tisch. Und al; sic alle dasaßen, und die Mutter
die Wassersuppe verteilte, da ging ans einmal
die Tür auf, und da trat ein Mann herein, groß
und hager, mit nackten Füßen und unbedecktem
Dzanpt. Schlicht und einfach, als wenn alles so
sein müßte und immer so gewesen wäre, nahm
er den letzten Stuhl, der noch frei war, und setzte
sich an den Tisch.

„Grüß Gott," sagte der arme Mann und alle
sahen erstaunt den Fremden an.

„Gott dank es Luch," gab dieser zurück. Es
lag so etwas Herzinniges und Trautes in diesen
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